Er schaute sie an, lächelte: „Mädchen, du hast dich etwas verändert...“
„Ja“, sagte Anna Walentina Serowa, „aber du auch! Du hast recht, ich habe mich verändert, natürlich habe ich das, ich bin älter geworden. Ab 50 verändern sich alle, vor allem Frauen, glaube ich. Kalle, können wir uns bitte später darüber... Das wird mir jetzt in diesem Rahmen zu privat, bitte. Wir..., wir wollen etwas mit dir besprechen. Beruflich, nicht privat! Privat bitte später!“ Sie holte einmal tief Luft.
„Darf ich dir jetzt bitte erst einmal meine Freunde vorstellen? Bevor ich gar nicht mehr reden kann?“
Sie musste offenbar genauso schlucken wie Kalle. „Das wäre mir nämlich kollossal peinlich...“. Ihre Stimme brach fast.
Mit einer Handbewegung in Richtung des älteren Herren sagte Anna Walentina: „Das ist mein Chef, vielleicht kennst du ihn ja aus dem deutschen Fernsehen, das ist nämlich der Herr Schröder, und das“, sie zeigte auf die junge Asiatin, „ist seine Frau Kim So-yeon“.
Schließlich deutete sie auf den jüngeren Mann neben sich, der aus der Nähe betrachtet aber gar nicht mehr so jung aussah, „und das hier ist mein Kollege Alexei Iwanowitsch Orlow.
Ich bin gekommen, nein, entschuldige bitte, Kalle, wir sind auf die schöne Insel Rügen gekommen, um mit dir zu reden. Wir müssen reden. Es gibt da ein Problem...“
Ihr deutsch war immer noch perfekt mit diesem süßen Akzent, dem er damals schon nicht hatte widerstehen können. Und das Dreier-Schwerkraftzentrum hatte den fehlenden vierten Partner zur Vollständigkeit gefunden! Wer etwas von Menschen verstand, konnte diese Tatsache auch ohne Messgerät greifen.
Herr Schröder hatte sich in der Zwischenzeit der Flasche bemächtigt, die Kalle mitgebracht hatte, ihr Etikett genau studiert und sagte plötzlich in eine aufkommende Stille hinein: „Doch, doch, das ist aber ein sehr schöner Stoff, Herr Kalle... Darf ich Kalle sagen, alle haben mir von ihnen immer nur als dem Kalle Scheller vorgeschwärmt, es würde mir jetzt schwer fallen, sie anders zu nennen – das Alter wissen sie, ich bin ihnen da ja weit voraus.
Also, das muss ich zugeben, so einen Cognac hätte ich hier am Strand keinesfalls erwartet, nicht einmal in einen Restaurant auf Rügen... Er ist zwar nicht der allerbeste von Hennessy, aber er ist ziemlich nahe dran, und zwar so nahe dran, dass es mich sehr reizen würde, ihn zu probieren... Dafür haben sie ihn doch mitgebracht, vermute ich. Erlauben sie?“
„Klar doch, Herr Schröder, bedienen sie sich.“
„Ach was, was soll´s, wir sind am Strand, das Wetter ist sensationell, wir haben die Gesellschaft wunderschöner Frauen, übrigens, wie heißt eigentlich ihre Kellnerin, Herr Kalle?“, lachte Schröder, um fortzufahren: „Wir öffnen eine unglaubliche Flasche Cognac – ich bin der Ältere, ich darf das sagen: Kalle, für dich bin ich ganz einfach der Gerhard, basta, Kalle!“
Frau Kim So-yeon verzog keine Mine als ihr Mann unverblümt nach Mandy fragte, aber vielleicht lag das daran, dass sie Koreanerin war und denen sieht man ja selten Gefühle im Gesicht an. Oder sie sprach kein deutsch, soll es ja geben. Oder es war ihr egal, soll es ja auch geben. Oder sie wusste, das alte Alpha-Männchen sich in Gesellschaft so geben mussten. Zuhause würde er schon wieder zahm sein. Das war am wahrscheinlichsten.
Anna Walentina machte dagegen ein Gesicht, als ob ihr das Verhalten ihres Chefs peinlich wäre. Dem war das egal, ihm war es jedenfalls nicht peinlich.
„Anna Walentina“, sagte Kalle mit inzwischen wieder fester Stimme, „es ist schön, Dich wiederzusehen, sogar wunderschön nach all den Jahren, aber ihr seid doch nicht wegen meiner Tees gekommen, oder?“
„Auch nicht wegen des Cognacs, obwohl das fast ein Grund gewesen wäre, wenn wir gewusst hätten..., ich darf noch ein Schlückchen, Kalle...?“, warf Gerhard ein.
„Kalle“, fuhr er nachdenklich lächelnd beim Eingießen des teuren Cognacs fort, „nachdem, was ich von dir gehört habe, könntest du problemlos mit den drei Miss Kuba der drei letzten Jahre das schönste Appartement in Havanna bewohnen oder in St. Petersburg oder sogar beim Klassenfeind in Florida am Strand..., nein, da vielleicht besser nicht, aber du verstehst?
Nein, du betreibst ein Strandcafé“, er schaute sich dabei um, als wollte er sagen, „ein popeligen Etwas von Strandcafé in einer wackeligen Bretterbude auf Rügen und dann noch in einer der abseitigsten Ecken Deutschlands...“. Das sagte er aber nicht. Stattdessen fragte er: „Darf ich dich fragen, obwohl du das als indiskret betrachten kannst, aber alte Männer sind so und ich erst recht!“, lachte er, „Warum tust du dir das hier an?“
„Weil...“, zögerte Kalle etwas mit einer Antwort, „ ja das ist verdammt indiskret, Gerhard, und wenn du dich damals dem Bush nicht beim Irak-Krieg verweigert hättest, würde ich dir jetzt auch nicht antworten. Es ist ganz einfach: Weil ich es so will!“
Schröder nickte: „Ja, das verstehe ich! Gefällt mir... Männer, die so denken, gefallen mir. Nein, wir sind nicht wegen Tees oder Cognac gekommen... Obwohl Tee und Kaffee hier wunderbar sein sollen, sagt man an allen Stränden rund um die Ostsee, habe ich mir sagen lassen“.
Alexei Iwanowitsch Orlow übernahm in perfektem Deutsch nahtlos den Gesprächsfaden: „Wir sind also nicht wegen small talk gekommen und auch nicht, weil Anna Walentina sie endlich wiedersehen wollte – obwohl ich unsere Anna Walentina jetzt besser verstehe.
Sie, Kalle, scheinen tatsächlich etwas Besonderes zu sein. Sie haben diese Ausstrahlung wissen sie, die nur bestimmte Männer haben. Männer, die Großes leisten können. Auch rücksichtslose Männer besitzen sie. Männer, die sich durchsetzen wollen oder können oder es einfach tun. Ich kenne nur einige Geschichten ihrer Taten, bei uns daheim sind sie ein Held oder vielleicht auch ein Mythos. Irgendwann müssen sie mir mal die wahren Geschichten erzählen, das wäre schön. Aber ein anderes Mal, bitte.
Aber ich stimme Herrn Schröder zu, es ist schon überraschend, sie in dieser Umgebung zu treffen. Ich hätte auch ein anderes Ambiente erwartet. Um es endlich offen auszusprechen, Kalle, heute kommen wir wegen der Pipeline.“
Anna und Gerhard nickten zustimmend, als Orlow fortfuhr: „Sie ahnen es natürlich, wenn Russen von Gazprom nach Vorpommern kommen, geht es vermutlich um NorthStream. Verstehen sie unseren überraschenden Besuch bitte nicht als Überfall, auch wenn es ihnen wie einer scheinen mag, nein, wir bitten sie um ihren Rat. Und wir wollten nicht, dass konkurrierende Interessenten oder Gegner vorher von unserem Besuch erfahren. Deshalb die Überraschung.
Natürlich können wir die Erkenntnisse des russischen Geheimdienstes nutzen. Und ganz ehrlich, wir von Gazprom haben unseren eigenen. Wir sind eine reiche Firma, und wir könnten uns jeden Berater kaufen. Jeden! Aber ihre Vita ist es, die uns fasziniert. Wir bitten sie, uns zu helfen. Bitten ist nicht immer unser Ding, wissen sie. Aber sie bitten wir.
Sie sind ein extraordinärer Seemann, sie sind, nein, sie waren ein extraordinärer Agent, sie haben Sachen gemacht, die nur sie fertig gebracht haben. Sie haben ganze Kriege verhindert! Sie waren unbezahlbar, sie waren unser russischer James Bond – aber nicht nur im Film, sie waren real. Verstehen sie jetzt, warum wir sie noch einmal wollen?“
Er machte eine Pause, um ein Schlückchen von seinem Wodka zu nippen.
„Wir haben erfahren, dass die USA Sanktionen gegen die Pipeline und alle am Bau und Betrieb beteiligten Firmen verhängen wollen. Die werden schon ein Schlag werden, das geben wir zu, aber sie werden nicht tödlich sein. Nein, da müssten die anderen mit größeren Geschützen aufwarten... Sie wissen es natürlich nicht, vermute ich, deshalb sage ich es ihnen: Anna Walentina und ich leiten das Sicherheitsbüro, das bei Gazprom für die Ostsee-Pipeline zuständig ist. Für uns arbeiten ca. 200 Mitarbeiter. Topp-Leute allesamt. Wir befürchten, dass da mehr kommen wird als nur Sanktionen, wir befürchten unter anderem physische Angriffe auf das Projekt. Ganz offen gesagt, wir haben Informationen aus den USA, dass es Vorbereitungen für eine Attacke auf die Pipeline gibt.“
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