„Ein Glas Wasser, vielleicht“, bat Pattie und unterdrückte ein Lächeln, „danke, nichts sonst.“
Etwas „Stärkeres“ hätte sie in diesem Rahmen ohne weiteres brauchen können, traute sich aber nicht, darum zu bitten. Wer weiss, was das für eine Prüfung war? Obwohl die Herren offenbar schon „Stärkeres“ in ihren Gläsern hatten, die auf einem kleinen Tischchen mit vier Sesseln darum gruppiert standen.
Wie auf ein Stichwort öffnete sich die Tür zum Vorzimmer und Sandie brachte eine Karaffe mit Wasser und ein Glas auf einem Silbertablett. Wie konnte sie das gewusst haben, fragte sich Pattie. Niemand hatte das bestellt. Offenbar hatten die Wände hier nicht nur Augen, sondern auch Ohren.
„Was kann ich für sie tun, meine Herren?“, fragte Pattie, „Sie haben mich gerufen... Ich bin ihrem Ruf gefolgt!“
„Das gefällt mir“, sagte Ron mit der hellblauen Krawatte, „gleich die Longhorns bei den Hörnern packen. Ja, das ist Amerika: Nicht groß drum herumreden, gleich aufs Wichtigste zu sprechen kommen!“
Senator Lopez nickte ihm über der roten Krawatte beipflichtend zu und übernahm das Gespräch: „Mein Assistent oder besser, mein wissenschaftlicher Mitarbeiter, Mr. O´Reilly, hat uns laufend von ihren Plänen und Vorstellungen unterrichtet – er scheint mir ziemlich begeistert von ihren Ideen zu sein. Sie müssen ihn tief beeindruckt haben. Das haben wir hier noch nicht oft erlebt. O´Reilly ist sonst immer sehr zurückhaltend in seinem Urteil. Bei ihnen war das anders, deshalb wollten wir sie kennenlernen, Mrs. Bronski.“
„Ich glaube, wir können uns die Präsentation, die sie sicherlich vorbereitet haben, sparen, Mrs. Bronski,“ sagte Tom leise und deutete auf den Laptop in Patties Hand, „seien sie bitte nicht enttäuscht, das ist kein Desinteresse an ihren Problemen und Ideen, ganz im Gegenteil, daraus spricht höchste Anerkennung, denn wir kennen ihre Unterlagen, Pläne und Argumente durch Mr. O´Reilly ja schon sehr gut, und wir stimmen ihnen ja auch 100%ig zu.“
„Was soll ich dann hier?“, fragte sich Pattie bei sich. Die Antwort kam umgehend.
„Sie fragen sich sicherlich, was sie dann hier sollen? Die Frage ist ihnen an der Nasenspitze abzulesen, Mrs. Bronski, oder darf ich Pattie sagen?“, lachte Ted sie freundlich mit glühender Nase an, „Wir sind Ted, Ron und Tom. Wir sind die Kerngruppe derer, die sich die Vertretung der Interessen der US-Energie-Industrie auf die Fahnen geschrieben haben. Das sind eigentlich mindestens alle Republikaner in Kongress und Senat und einige auch ganz brauchbare Demokraten. Doch, doch, die gibt es. Vor allem, wenn die Fernsehkameras abgeschaltet wurden. Einerseits geht es um sehr viel Geld, andererseits ist Energiepolitik vor allem Machtpolitik, weil die Beherrschung der weltweiten Energiequellen und Verteilungshardware eine Machtfrage ist, wenn sie nicht DIE Machtfrage der nächsten 50 Jahre sein wird. Hier in diesem Raum schlägt im Moment das machtvolle Herz der USA. Mit drei Herzkammern sozusagen, könnte es sein, dass wir in dir die vierte gefunden haben?
Das „Du“ ist sozusagen dein Ritterschlag, Pattie, deine Eintrittskarte in diesen – zugegeben sehr elitären – Zirkel. Da wollen viele rein, und nur sehr wenige schaffen es!
Also, deine Argumente liegen auf dem Tisch und sind 100%ig akzeptiert. Amerika ist zu klein für das ganze Gas, das ihr da draußen produziert. Japan als Hauptabnehmer ist auch zu wenig, wir brauchen mehr, wir brauchen im Grunde den Weltmarkt, aber wir wollen, deinen Ideen folgend, erst einmal damit beginnen, Europa zu übernehmen. Habe ich das richtig zusammengefasst?“
Pattie nickte nur. Europa übernehmen! War es das, was sie wollte? Sie wollte den Europäern doch eigentlich nur einen Teil des in den USA geförderten Gases zu teuren Preisen verkaufen. Von „Europa übernehmen“ war in ihren Ideen bisher nicht die Rede gewesen! Darunter verstand sie eigentlich etwas anderes. Wann hatte sie da was verpasst?
„Wir wollen von jetzt an mit dir besprechen, wie wir weiter vorgehen. Wir wollen die Frage, und vor allem die Antwort aus dem Kreis der Industriellen und damit der Dollars, auf die emotionale Ebene der Nation und ihrer Bedürfnisse heben.
Von nun an ist dein – sei nicht böse – im Grunde kleines Gas-Problem, Pattie, eine Frage der Nationalen Sicherheit der USA geworden. Wer sich uns in den Weg stellt, stellt sich nicht mehr einer Firma oder deinem Interessenverband, der vor allem Geld verdienen will, entgegen, sondern Pattie Bronski und der sich hinter ihr aufbauenden furchteinflößenden dunklen Seite der Macht der USA.
Um es ein für alle Mal klarzustellen: Die Russen haben uns viel zu lange auf der Nase herumgetanzt! Sie haben es ab sofort wieder mit einer entschlossenen Weltmacht USA zu tun, die auch wieder aktiv in die Welt hinaustritt. Wer sich uns in den Weg stellt, wird weggeräumt, Pattie, wie auch immer! Und wenn es sich zunächst nur um einige Zig Milliarden Dollar für Gas dreht – das ist das Vehikel, das wir brauchen, um die Bolschewiken ein für alle Mal auf die Größe zurückzuschneiden, die wir ihnen zugestehen.
Unser Präsident mag seltsame Freunde haben, ich sage nur Kim oder Putin – sein Ding! Er hat uns aus der Weltpolitik zurückgezogen – und das ist eben nicht sein Ding!
Präsidenten kommen und gehen. Jeder US-Präsident nach dem Zweiten Weltkrieg, jeder (!) hat bisher irgendwo auf der Welt mindestens einen gerechten und profitablen Krieg für Freiheit und Demokratie begonnen, nur unser jetziger nicht, er will sogar US-Truppen aus der ganzen Welt heim ins Reich holen... Was für ein Fantast! Was glaubt er, wer er ist? Das geht ja nun gar nicht.
Präsidenten mögen einen Koffer für den Start von Atomraketen haben – aber sie glauben nur, sie hätten die Macht, sie auch zu starten...“, lachte Ted.
„Nein, Pattie, Präsidenten mögen sich einbilden, sie könnten Dinge entscheiden. Falsch, völlig falsch, entschieden werden Dinge im Senat! Und da sitzen wir. Wir können sie springen lassen – dahin wo wir wollen!
Schau einmal Pattie, du erinnerst dich an dieses Exportverbot für Erdöl, das seit der Energiekrise in den 1970er Jahren und bis 2015 in Kraft war? Deswegen durften die USA kein Erdöl exportieren. Wer hat das geändert? Obama, ein Demokrat. Warum? Er wollte es nämlich gar nicht, er hat sich mit Händen und Füßen gewehrt – aber wir vom Senat wollten es! Weil US-amerikanische Firme und Konzerne es wollten. Wenn man in den USA und auf der Welt etwas wirklich Großes bewegen will, dann spricht man mit uns!
Der Präsident wird also tun, was wir wollen – er bekommt dafür kleine Geschenke, will sagen, er darf Kleinigkeiten entscheiden. Und wir wollen, dass ihr wieder verdienen können – und Politik und Kirchen den „Zehnten“ als Spenden abliefern könnt. Mein Gott, es ist so einfach, es ist ein großes Rad, das gedreht werden muss. That´s it !“
„Ja“, lachte Tom mit der lindgrünen Krawatte, „du musst dir das wie den Kampf zweier Straßengangs oder Straßenköter vorstellen – keine Regeln, kein vornehmes Abtasten. Wer zuerst hart zuschlägt, gewinnt – aber er muss so hart zuschlagen, dass der andere sofort verletzt, blutend und mutlos am Boden liegt. Und dann hilft man dem Gegner nicht wie ein Gentleman auf, man tritt solange zu, bis er endgültig am Boden liegen bleibt. Und dort lässt man ihn liegen. Im Großen nennt man das Machtpolitik, Pattie, und darauf wird es auch hinauslaufen. Das ist unser Spiel und wir machen die Regeln...“
Es klopfte leise an der Tür, die öffnete sich lautlos ein Stückchen, Sandie steckte ihren Kopf durch den Spalt und sagte leise lächelnd: „Die Wagen sind vorgefahren, meine Herren...“
Pattie schaute die drei der Reihe nach an und dachte bei sich: „War es das jetzt?“
„Ach so“, lächelte Ted (rote Krawatte), „ich glaube, ich vergaß zu erwähnen, dass wir noch einen Termin im Weißen Haus haben...“.
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