„Soll ich dir mit deinem Schaukelproblem helfen, ich hätte da eine äußerst gute Lösung!“
„Die wäre?“, frage ich interessiert und wische mir die Grashalme von meiner Hose.
„Wir nehmen eine Leiter!“ Mit seinem filmreichen Lächeln präsentiert er den Gegenstand wie ein Verkäufer auf einer Messe. Na toll, auf die Idee bin ich selbst gekommen. Aber das löst mein Höhenangstproblem nicht.
„Ich steige da nicht hinauf!“, dementiere ich sofort.
„Dann mache ich das, gib mir mal das Brett bitte!“
Ehe ich reagieren konnte, schnappt er sich was er braucht und klettert damit in die Höhe. Ich muss mich arg zusammenreißen ihm nicht unaufhörlich auf sein trainiertes Hinterteil zu blicken.
„Lukas, wo bist du? Ich brauche dich!“, schimpft Herr Wilson. Davon abgesehen, dass er niemals in einem liebevollen Ton gesprochen hatte, seitdem er auf unserem Grundstück arbeitet.
„Ja gleich, ich habe Arbeit gefunden!“, rief sein Praktikant, welcher konzentriert das Seilende befestigt.
Wütend stapft sein Chef in unsere Richtung und bestraft mich mit einem bösen Blick. „Ich schaffe ihm hier die Arbeit, kein anderer!“
„Schon gut!“, flüstere ich und gehe einen großen Schritt zurück. Ich achte genau auf jede Unebenheit auf dem Boden. Dieses Mal weiß ich ein weiteres Stolpern zu vermeiden.
„Was machst du da überhaupt, Lukas?“, murrt der alte Mann mit seinen Händen in den Hüften gestemmt. „Ich brauche dich beim Blumenbeet.“
„Er hilft mir. Das dauert keine fünf Minuten. Was ist schlimm daran?“, verteidige ich meinen Helden des Tages und bin stolz darüber, mich das getraut zu haben. Ich hätte es vermutlich zu keiner Zeit geschafft, stattdessen würde ich noch am Abend dastehen und irgendwann verzweifelt aufgeben und letzten Endes nie wieder schaukeln können.
„Still! Ich habe ihn gefragt!“
Wie konnte es Lukas mit diesem Stinkstiefel aushalten, keinen Tag würde ich ihn als Chef haben wollen. Mir reicht meine Mutter. Lukas hingegen steigt entspannt Sprosse für Sprosse herab und klopft mir auf die Schultern: „Viel Spaß beim Schaukeln!“
„Ähm, wow. Danke!“ In diesem Moment treffen sich unsere Blicke und ich versinke in der Tiefe seiner Augen. Dieses Grün und dieses Glänzen. Mein Herz zieht sich zusammen, vergisst zu schlagen. Es war kurz davor, stehen zu bleiben. Ich vergesse meine Schaukel, ich vergesse die Flecken auf meiner Hose, ich vergesse alles um mich herum.
„Ich mach weiter. Wir sehen uns!“
„Wir sehen uns!“, sage ich geistesgegenwärtig und bewege mich keinen Zentimeter von der Stelle. Was war das? Ein Drogenrausch? Oder eine Fata Morgana? Ich musste im Wald irgendeine giftige Pflanze eingeatmet haben. Ja! So musste es sein!
„Na wie schaukelt man auf der neuen ultimativen regenfesten Superschaukel?“, erkundigt sich meine Freundin Fritzi bei einem unserer selten gewordenen Videochat-Treffen. Wie immer sieht sie trotz ihrer Augenringe perfekt aus. Sie trägt ihre irrsinnig langen, glatten Haare zu einem einwandfreien Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich hingegen habe zumindest nach meiner Begegnung seit Tagen meine Haare wieder gewaschen.
„Hast du heute etwas vor?“, reagiere ich auf ihr Äußeres worauf mir ihre Frage komplett entfällt.
„Nein, ich komme von der Arbeit…was ist jetzt mit der Schaukel?“
„Ich dachte du hast ein Date…und achso die Schaukel hängt!“, verkünde ich mit stolzem Lächeln.
„Man sollte immer gut aussehen! Dafür braucht man kein Date. Stell dir vor, ein Fremder läuft dir über den Weg. Gut, damit kennst du dich weniger aus. Sorry…“
Ich hasse ihren arroganten Tonfall.
„Da täuschst du dich!“, antworte ich ihr und versuche ihre hochnäsige Mimik zu imitieren.„Was meinst du, Thea?!“
„Ich beschreibe dir das Aussehen eines jungen Mannes und du sagst mir, was du denkst!“
„In Ordnung!“, nickt Fritzi und rückt ihren Kopf näher Richtung Kamera, als könnte sie auf diese Weise besser zu hören.
„Gut, dann passe auf. Braune, gepflegte Haare. Länger als üblich, aber zu kurz um lang zu sein. Verstehst du was ich meine?“
Sie bestätigt mit einem bejahenden Blinzeln. Ich fahre fort: „Smaragdgrüne Augen und ein Lächeln, wie aus einer Zahnarztwerbung.“
„Körperbau?“
„Schlank, trainiert und trotzdem breit gebaut.“
„Sag mir bitte den Filmtitel, ich wollte längst wieder sabbernd vor der Glotze sitzen!“
Ich schüttele mit dem Kopf: „Kein Film!“
„Was dann? Sänger? Comedian? Kein Politiker bitte!“
„Nichts von allen dem!“
Bewusst lasse ich sie zappeln und ignoriere ihr flehen.
„Bitte sag schon. Mensch, Thea!“
„Er heißt Lukas!“
„Schön, aber wo kann ich ihn bewundern!“
„In meinem Garten!“
Fritzi klopft mit der Faust energisch auf den Tisch. „Veräppel mich nicht, sag schon.“
„In meinem Garten!“
Anstatt zu antworten, bricht sie in Gelächter aus. Erst als sie sich wieder fängt, plaudert sie eingeschnappt: „Und ich treffe morgen den Präsidenten von Amerika!“
„Glaubst du mir etwa nicht?“, frage ich sie mit gedrückter Stimme.
„Deine Mutter würde das niemals zulassen!“
Mit diesem Satz zerfiel die bisher gute Stimmung zu einem Staubhaufen. Meine Mutter würde tatsächlich alles in ihrer Macht stehende tun um mich von männlichen Wesen fernzuhalten. Wieso lässt sie überhaupt junge Männer auf unser Grundstück? „Lukas ist der Praktikant des Gärtners und er ist eine Augenweide!“, schwärmte ich trotzdem weiter. Ein Lächeln huscht über ihre Wangen. „Was sehe ich denn da?“ „Was meinst du?“ Überrascht drehe ich mich um und prüfe mein Zimmer. Außer meiner Unordnung und einem Stapel frisch gewaschener Kleidung gibt es nichts Aufregendes zu sehen. „Du bist verliebt!“, zieht sie mich auf. „Nein, ich finde ihn hübsch. Mehr nicht!“, wehre ich ihre Vermutung ab. „Verliebt! Thea, du bist verliebt!“ „Nein!“ „Das ist so unendlich süß!“ „Auf gar keinen Fall! Er ist hübsch, mehr nicht. Aber never, never, never werde ich mich in den Praktikanten unseres unfreundlichen Gärtners verlieben!“ „Sag niemals nie!“, äußert sie mit einem mahnenden Zeigefinger. Wenn sie mir gegenübersitzen würde, hätte ich sie von ihrem Stuhl geschubst. Ich weiß gar nicht wie man sich verliebt, das werde ich nie erfahren und nie wissen. Das ist Fritzi bewusst. Dementsprechend soll sie mir von so einem Quatsch die Ruhe lassen…
Die letzten zwei Nächte träumte ich von Lukas und jeden Tag beobachtete ich ihn bei der Arbeit. Selbstverständlich aus sicherer Entfernung, damit er mich in kein peinliches Gespräch verwickeln konnte. Zudem brauche ich dringend stilvollere Shirts und Hosen. Mit meinen abgetragenen Jogginghosen und meinen öden zusammen gebundenen Haaren versprühe ich eher den Charme einer Obdachlosen. Aber wieso sollte er sich überhaupt für mich interessieren und überhaupt hat er bestimmt längst eine Freundin. Männer wie er sind immer vergeben.
„Lucinda!“, rufe ich unser Hausmädchen. „Könntest du etwas für mich tun?“
Postwendend lässt sie den Wäschekorb stehen und kommt zu mir ans Fenster. „Klar. Was immer du willst!“
Obgleich wir eine Haushaltskraft haben, die uns alles tun würde, könnte ich selbst waschen, bügeln und kochen. Lucinda fehlte einmal einige Wochen. Anstatt eine andere Kraft einzustellen, bat ich darum die Aufgaben selbst übernehmen zu dürfen. Ich hatte Sorgen, dass sie komplett ersetzt werden würde. Sie ist die erste, die nicht jenseits der fünfzig ist. Im Gegenteil sie ist kaum älter als ich, weshalb ich mich mit ihr gut unterhalten kann. Darüber hinaus sie ist nett und hilft mir in beinahe allen Lebenslagen. Ich hoffe, auch in dieser. Meine Eltern waren zwar wenig begeistert, aber offensichtlich überzeugte sie mein Dackelblick. Was sollte auch passieren? Dass ich an Überanstrengung sterben?
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