Endlich ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich auf meinen alljährlichen Käsekuchen stürzen kann.
„Ausnahmsweise!“ Sie hat dabei diesen typischen Blick, diesen mitleidigen und zugleich verständnisvollen, der mir mitteilen soll, es unbedingt zu genießen, denn ich müsste mindestens ein Jahr darauf verzichten. Eventuell kann ich an Weihnachten wieder süße Leckereien naschen. Mein Immunsystem verdankt es mir, aber ich träume heimlich von den süßesten Sahnetorten, Schokolade im Überfluss oder kleinen bunten Bonbons, die das Paradebeispiel für Zuckerkonsum sind. Manchmal träume ich nachts sogar davon ein Süßigkeitengeschäft zu überfallen und all die Köstlichkeiten auf einmal aufzuessen.
„An was du wohl gerade gedacht hast!“, überlegt mein Vater laut. Hoffentlich ist mir bei den Gedanken an die Leckereien kein Sabber aus dem Mund gelaufen.
Nachdem meine Freundin Fritzi wegen eines Infekts das Betreten des Grundstücks verwehrt bekam, sitzen wir zwei Wochen nach meinem Geburtstag bei geschnittenem Obst und frisch gepressten Orangensaft in unserer Gartenlaube, von der aus man die beste Aussicht auf den kleinen Froschteich hat. Ich liebe es Besuch zu haben. Abwechslung!
Obwohl es mindestens 28 Grad hat, sorgte meine Mutter im Voraus dafür, dass Lucinda uns Decken und Kissen bereitlegte. Sie muss in regelmäßigen Abständen prüfen, ob mir heiß oder kalt ist und ob sich ein Schwächeanfall aufgrund der fremden Keime anbahnen könnte. Mich umgibt die schwachsinnige Theorie meiner Mutter, dass ich von Infekten hauseigener Personen geschützt sei. Das ist aus medizinischer Sicht absoluter Blödsinn, doch Einbildung ist bekanntlicherweise auch eine Bildung. Zudem widerspricht man meiner Mutter nicht. Sie hat all ihr Wissen aus Sachbüchern, die ihrer Meinung absoluter Richtigkeit sind und wenn man ihr widerspricht, lässt sie das nur bei Vorlegen geeigneter anderer Sachbücher zu. Ihr Erfolg hat offensichtlich Nachwirkungen bei ihr hinterlassen…
„Ich liebe euren Garten!“, schwärmt Fritzi, die sich wie im Wunderland fühlen muss. Die Stadtwohnung, in der
sie lebt, bietet lediglich einen kleinen Balkon, auf dem man sich kaum umdrehen kann. Für die zweiköpfige Familie reichte das. Ihr Vater machte sich vor ihrer Geburt aus dem Staub. Ich bewundere Frau Haller. Sie kümmerte sich trotz aller Umstände rührend um ihre Tochter und das tut sie auch heute noch.
„Glaube mir, ich würde gerne einmal etwas Anderes sehen!“, antworte ich ihr mit gesenkter Stimme, obgleich
ich unseren riesigen Garten liebe. Auf unserem Grundstück finde ich tatsächlich alles was mein Herz begehrt. Da gibt es den kleinen Teich, in dem Frösche aufgeregt quaken und voller Lebensfreude von Seerose zu Seerose hüpfen. Mittlerweile ist ein Urwald aus Schilf darum gewachsen, weshalb man nur an wenigen Stellen mehr Zugang zum Wasser hat. Auf der anderen Seite des Gartens ruht der alte Lindenbaum, der seit Jahren meine Schaukel trägt und von unzähligen Blumenbeete umzingelt ist. Auch einige Büsche haben sich dazugesellt, weshalb es dort wie ein kleiner Pflanzentreffpunkt ist. Möglicherweise unterhalten sie sich in der Nacht miteinander. Ganz am Ende des Grundstückes befindet sich ein kleines Waldstück, durch den ein kleiner Bach fließt. Oft sitze ich dort und zähle die winzigen Fische, dessen Weg sie entlang des strömenden Gewässers führt. Inmitten der vielen Bäume bin ich stets in bester Gesellschaft. Spechte klopfen Löcher in die Rinde, Hasen ruhen in ihren Gruben und emsige Ameisen gehen ihrer Arbeit nach. Dann gibt es da noch diesen Felsen, von dem aus die Baumkronen mit dem Himmel verschmelzen und der Horizont gleichzeitig fern und doch so nah ist.
„Am meisten beneide ich dich dafür, dass du alles bekommst, was du dir wünscht!“
„Was sollte dir denn fehlen? Du hast doch alles?“, entgegne ich ihr mit einem Anklang von Empörung. Ich vernehme irgendeine Sehnsucht in ihrer Aussage, kann mir aber nicht vorstellen, was ihr fehlen könnte. Sie besuchte jahrelang eine normale Schule, hat einen großen Freundeskreis (ich kann froh sein, dass sie mich nie vergaß … bisher!) und arbeitet als Schreinerin in einem kleinen Betrieb. Bereits als kleine Kinder schnitzten wir gemeinsam kleine Holzstöcke oder bauten aus größeren Ästen ein Häuschen im Garten. Fritzi rollt mit den Augen, wir kamen anscheinend an den Punkt, an dem ein Themenwechsel unumgänglich ist. Ich beiße in eine Wassermelone um die Stille mit Kauen zu überbrücken. Zudem befeuchtet es meine vom Reden ausgetrocknete Mundhöhle.
„Wie läuft es eigentlich mit Ole? So hieß er doch, oder?“
„Hör mir mit dem auf. Fünf andere hat der gleichzeitig. Stell dir das vor!“, schimpft sie auf einmal so laut los, dass sogar die Vögel das Weite suchen. Dabei drückt sie ihre Augen zusammen, so dass ihre Augenbrauen
wie ein „V“ zusammenstehen. Sie sieht süß aus, wenn sie sauer ist, aber sie könnte dennoch ein wenig die Ruhe bewahren. „Ausgenutzt hat der mich, der sammelt wohl Blondhaarige. Spätestens als ich ihm von meinem Job erzählte, fand er mich weniger interessant. Nicht sexy genug!“
Manchmal frage ich mich, ob ich froh darüber sein sollte von solchen Idioten bewahrt zu sein? Trotz meiner fehlenden Erfahrung muss ich eine passende Antwort auf ihr Ärgernis finden.
„Meiner Meinung nach macht dein Job dich richtig sexy! Wichtig ist doch, dass du dir selbst gefällst, alles
andere kommt von selbst!“
„Da musst du selbst Grinsen!“, schmunzelt Fritzi. „In welchem billigen Ratgeber hast du das gelesen?“
Ertappt! Tatsächlich zitierte ich die Werbung eines Massagestudios.
„Möglicherweise stand das in einer Zeitschrift über Psychologie…“, gebe ich zu.
„Ich dachte, du liest Romane und die Zeitschriften von Opern und Balletten.“
„Schon, aber ich kann doch trotzdem etwas Anderes lesen…“
Dass sich die Stimmung allmählich anspannt, können sogar die Vögel in den Baumwipfeln über uns spüren. Warum sollten sie sonst mir nichts, dir nichts davonfliegen.
„Deine Mutter versucht weiterhin dein Styling zu ändern?“, mustert sie mein T-Shirt. Sogleich ist die gute Stimmung zerstört, wobei ich ihre Anmerkung verstehen kann. Lindgrüne Streifen durchkreuzen gelbe Punkte auf hellblauen Hintergrund und mittlerweile haben sich Tropfen der Wassermelone darauf versammelt und runden das ganze weiter ab. Ehrlich gesagt hasse ich es, halte jedoch mein Versprechen es anzuziehen. Vor Scham laufe ich rot an, da ich bis zu diesem Zeitpunkt hoffte, es bliebe unbemerkt. Ob Fritzi bewusst ist, dass ich das nicht lustig finde?
„Im Normalfall lasse ich ihr keine Chance. Meine Jogginghose und meine einfarbigen Shirts ersetzt nichts auf dieser Welt. Ich wurde genötigt dieses Horroroutfit anziehen!“
Sie nickt verständnisvoll, sie konnte sich scheinbar denken wieso ich an diesem Tag an Geschmacksverirrung litt.
„Sorry, konnte nicht wissen, dass du dünnhäutig auf meinen Scherz reagierst!“
In der letzten Sekunde hat sie ihre Sympathiepunkte gerettet. Und sie muss gar nichts sagen mit ihrem ihrer Meinung nach trendigen Shirt, auf dem bunte Palmen hervorstechen. Noch schlimmer finde ich die herunterbaumelnden Fransen an ihren Ärmeln. Die Grenze zwischen unordentlich und hip verschwimmt ineinander. Geschmackssache!
„Aber sollte eines Tages ein Mann auf wundersame Weise deine Wege kreuzen, wird er sich sehr über deinen außergewöhnlichen Kleidungsstil wundern! Jogginghosen können, wenn man sie richtig kombiniert, gut aussehen. Mit sportlichen, enganliegendem T-Shirt und flotten Turnschuhen. Auf diese Weise könnte man meinen, du wärst eine Sportlerin!“
Mit Händen und Füßen gestikuliert sie und macht damit den Damen aus den Dauerwerbesendungen Konkurrenz. Egal was sie sagt, ich werde meinen Kleidungsstil nie ändern. Ich liebe meine bequeme Kleidung!
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