Zu allen Zeiten fragt beispielsweise ein Landwirt: „Wann ist der günstigste Zeitpunkt zur Aussaat?“ Heutzutage können wir Meteorologen fragen und die wissen um wir grundlegende Zusammenhänge im Wettergeschehen. Zum Beispiel trifft hoher Luftdruck aus dem feuchten, heißen Süden auf ein kaltes Tiefdruckgebiet im Norden, so kühlt sich der warme Wind aus dem Süden ab und die abgekühlte Luft kann die Feuchtigkeit nicht mehr im ausreichenden Maße halten. Es regnet. Aber die kalte Luft erwärmt sich, der Wassergehalt der Luftschicht erschöpft sich und es hört langsam auf zu regnen - oder nicht. Irgendetwas stört wieder einmal die schöne Vorhersage. Aber wir, bzw. die Meteorologen, wissen zumindest um die Zusammenhänge im Wettergeschehen und können mehr oder weniger genau die Wetterlage voraussagen.
Aber wen befragten die Bauern weit vor unserer Zeit, wenn sie den so überlebenswichtigen Termin für die Aussaat festlegen mussten. Meteorologen gab es noch nicht, die physikalischen Vorgänge, die das Wetter bestimmen, waren im Wesentlichen unbekannt. Sie hatten nur ihre Erfahrungen, ihre sogenannten Bauernweisheiten, die sie von Generation zu Generation weitergaben - oder Wissen von „gelehrten“, die Natur beobachtenden Weisen dieser Zeit. Sie wussten nicht, dass aus einer Region mit hohem Luftdruck Winde in ein Gebiet mit niedrigem atmosphärischen Druck wehen müssten, dass warme Luft mehr Luftfeuchtigkeit speichern kann als kalte Luft. Sie hatten eben nur ein aus Erfahrung und Betrachtung der Natur gewachsenes Wissen.
In der weit entfernten, antiken Vergangenheit waren es oft die „Weisen“ oder die „Priester“ der menschlichen Gemeinschaft, die durch systematische Beobachtung von Sternkonstellationen, im Vergleich mit anderen Erscheinungen der Natur eine gewisse gesetzmäßige Wiederkehr von Wetterbedingungen beobachteten. Dies teilten sie ihrem Clan oder ihrer Glaubensgemeinschaft mit, - und begründeten damit oft genug einen Machtanspruch. Im antiken Ägypten war die Vorhersage der jährlichen Überschwemmungen in den Flussniederungen des Nils lebensnotwendig für die Landwirtschaft. Die für damalige Verhältnisse hohe Bevölkerungsdichte verlangte gute Erträge auf den Getreidefeldern. Das Nilwasser überschwemmte nicht nur einen breiten Streifen seiner Uferregion und die darin liegenden Felder, sondern düngte diese auch mit seinem fruchtbaren Schlamm. Was für ein Wissen für diese Zeitepoche, mittels der wiederkehrenden Sternstellungen, diesen Zeitpunkt der Überschwemmungen voraussagen zu können. Welcher Einfluss erwuchs aus der Fähigkeit das Land, nach der Überflutung, neu zu vermessen und damit Eigentum festzulegen. Es wusste keiner vom Regen im Gebiet um den Victoriasee im tiefen Süden, die den Nil speisten. Es kannte niemand die dortigen, jährlichen Schwankungen der Niederschläge, die den Pegelstand des Nils bis zu acht Meter ansteigen lassen konnten. Eine, wie immer geartete göttliche Macht wurde gesucht, die verantwortlich war für das Verhalten des Flusses.
Für die Menschen musste derjenige, der dies voraussagen konnte, eine spezielle Stellung und Nähe zu dieser göttergleichen Macht besitzen. Was für ein Herrschaftswissen, was für ein Hebel, um „priesterlichen“ Einfluss zu entwickeln. Was für das Wettergeschehen galt, galt bald für andere Lebensumstände. Die Entwicklung des Glaubens an ein System göttlicher Gewalt wurde oft erbarmungslos durch das Streben nach Macht, von einzelnen Menschen und von Interessengruppen vorangetrieben.
Trotzdem entwickelte sich der Glauben an eine göttliche Macht immer und zu aller erst durch die Fragen nach den Ursachen für das übermächtige Wirken der Natur.
Aber die elementare Hoffnung auf einen barmherzigen, helfenden Gott wurde immer wieder geträumt. Man hoffte auf eine göttliche Macht, deren Essenz ethisches Empfinden war, - so wie es zu dieser Zeit eben verstanden wurde.
Die Sorge vor einer übermächtigen und geheimnisvollen Natur zwang die Menschen zu allen Zeiten sie wachsam zu beobachten und sich vor ihr in Acht zu nehmen. Denn sie wurden ja nicht nur von der sie umgebenden Natur, sondern außerdem von ihrer eigenen bedrängt. Zu jeder Zeit versuchten einige Neugierige in der menschlichen Gemeinschaft ihre Umwelt zu verstehen, zu analysieren - und wenn möglich, sie in ihrem Sinne zu nutzen. Ging diese analysierende Neugier verloren, beispielsweise in religiösen Konflikten oder in Kriegen oder starben gar die neugierig Fragenden aus, so erloschen die Gemeinschaften samt ihrer Kultur. Diese Kulturgemeinschaften versanken dann im Dunkel der Vergangenheit. Von ihr blieben, wenn überhaupt, geheimnisumwitterte Kulturgüter – oft mühsam dem Vergessen entrissen. So beispielsweise geschehen mit der Gemeinschaft der Minoer auf Kreta. Erste Hinweise auf sie finden sich vor ca. 5319 Jahren. (Die Zeiträume sind umstritten aber in ihrer Größenordnung allgemein akzeptiert). Diese minoische Kultur entwickelte sich auf Kreta und erreichte einen außergewöhnlich hohen Stand. Die Paläste dieser Zeit waren in dieser Epoche wirtschaftliche und kultische Zentren. Es bildeten sich längst Städte heraus. Beispielsweise hatte man schon eine funktionierende Trink- und Abwasserversorgung. Der heute bekannteste Palast im minoischen Kulturkreis ist Knossos auf Kreta. Diese außergewöhnliche Hochkultur erblühte in der Jungsteinzeit und fand ihr Ende so zwischen den Jahren 1500 – 1430 v. Chr. aus bis heute ungeklärten bzw. umstrittenen Umständen. Kreta geriet unter den Einfluss mykenischer Festlandgriechen, die die minoische Kultur einige Zeit fortführten. Aber wo blieb die Gemeinschaft der Minoer? Wahrscheinlich wurde sie nach Naturkatastrophen und kriegerischen Ereignissen aufgerieben und der Rest durch Überfremdung und von Eroberern assimiliert. Eines ist gewiss. Der ungeklärte Untergang dieser erstaunlichen Kultur ist verbunden mit einem geheimnisvollen „Aussterben“ der Kulturträger dieser Epoche – trotzdem ein minoischer Kulturexport nachweisbar ist. Die Forschenden starben aus, wurden assimiliert oder hatten in ihrem Überlebenskampf keine Zeit mehr für neugieriges Hinterfragen.
Wie so oft verschwinden mit den Lehrern auch die Schüler. Der Bestand von Kulturregionen sowie die kulturell-soziale Evolution von Menschengemeinschaften braucht effiziente Gemeinschaften von Forschenden, Lehrerenden und Lernenden. In dieser Kommunität von Neugierigen ist die Vielfalt der Meinungen essenziell. Sie liefert den notwendigen Wettstreit zwischen rationalen Sichtweisen und ist die Voraussetzung für die Dynamik im Wissenszuwachs.
Das kann aber auch zu schrecklich gegensätzlichen Ansichten führen, wenn die jeweiligen Denkweisen nicht koexistieren. Das wird beispielsweise im Verhältnis zwischen rational-materialistischen und mystisch-religiösen Denken deutlich. Oft tritt dies beim Aufeinandertreffen der Gläubigen der Weltreligionen auf. Eine Wand aus Un– und Missverständnis kann eine fanatisch vertretenen Religiosität heranbilden.
Zum Beispiel erleben wir alle das religiöse Spannungsfeld zwischen dem Islam und den anderen Weltreligionen, insbesondere dem Christentum und den aus christlichen Werten gewachsenen Kulturen. Im mystisch–religiösen Denken glauben zwar alle an die einzige, allmächtige, geistige Wesenheit „Gott“, die das Sein aus- und erfüllt und deren ethische Essenz Seinsinn stiftend ist und für individuelle Lebensformen aspekthaft erfahrbar ist. Aber der Islam betrachtet gleichwohl die Gläubigen der anderen Weltreligionen als Ungläubige. Beispielsweise offenbart sich Gott dem Gesandten und Propheten Mohammed in Sure 112 des Korans als: der Eine, der Alleinige, der Allmächtige, der weder geschaffen wurde, noch andere göttliche Wesenheiten erschafft. Aus diesem Gotteswort heraus verurteilt der Islam den Glauben an verschiedene Wirkmanifestationen Gottes, die im Christentum durch die Dreieinigkeit (Trinität) „Gottvater, Jesus Christus, Heiliger Geist“ ausgedrückt wird, oder die im Hinduismus durch die drei kosmischen Operatoren (Trimurti): „Erzeuger Vishnu, Bewahrer Brahma, Zerstörer Shiva“ dargestellt wird. Dies ist nicht das einzige Un– oder Missverständnis, - aber mutmaßlich das Wesentliche. Die fanatische Verfechtung dieser scheinbar unterschiedlichen Interpretationen führte und führt zu gewaltigen und gewalttätigen Auseinandersetzungen, die zusätzlich für machtpolitische Interessen genutzt werden.
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