»Wieso werden?«, hat sie ihm zugeblinzelt.
»Na, na. Soweit ich es einschätzen kann, bist du überall beliebt.«
»Erstens bin ich nicht mein Buch. Zweitens ist die Autorin eine gewisse Riana Gora. Und drittens bin ich nicht nur im Verlagshaus daheim.«
Das stimme wohl, hat er gemeint. Das Pseudonym könne sehr wohl ein rettendes Moment sein.
Will Klauser – wie er liebevoll genannt wird - hat ihr in die Hand versprochen, den bürgerlichen Namen nicht zu nennen, und mit Cottbus hat sie auch nicht mehr viel am Hut. Dorthin fährt sie nur, wenn sie dringend zum Verlag muss. Wer wird sie schon als Riana Gora wiedererkennen? Also? Wichtig ist, dass die Menschen beim Lesen erkennen, woran zu zweifeln ist, nicht so sehr, an wem.
Gerade klappt Rita den Deckel vom Laptop hoch, da klingelt es an der Tür. Verwirrt schaut sie zur Uhr. Zu dieser Zeit ist noch nie jemand zu ihr gekommen. Jens Jedro legt die Brötchen am frühen Morgen in den kleinen Korb unter das Vordach, die Postfrau klingelt nur, wenn ein Paket entgegenzunehmen ist, aber hier ist sie am Ende der Welt, da kommt die Post erst am späten Nachmittag.
Sie sollte doch den Platz in der Küche beibehalten. Dort hat sie den besseren Überblick.
Sie tritt in den Flur, wirft sich rasch eine Jacke über, um ungebetenen Gästen glaubhaft versichern zu können, gerade im Aufbruch zu sein.
Durch die kleinen dicken Glasscheiben, von denen drei in das Muster der schweren Eichentür eingelassen sind, kann sie weder einen Schatten erkennen, noch eine Bewegung registrieren. Zum Küchenfenster zurück will sie auch nicht gehen, vom Hoftor aus würde man sie sehen können. Ein Blitz in ihrem Kopf sagt ihr sofort: Nils Hegau. Im nächsten Moment aber ärgert sie sich darüber, wohin sie schon gekommen ist in ihrem verflixten Schneckenhaus und dass es so nicht weitergehen kann.
Er läutet schon wieder. Die Jacke lässt sie an, und ihre Worte klingen auch, als sei sie sehr in Eile.
Auf der Betonplatte vor dem Eingang tritt Lenka Kalauke von einem Bein auf das andere. Ihre Füße - in wollene Socken gehüllt - stecken in offenen Pantinen. Rita hat auf einmal das Gefühl, Lenka Kalauke um den Hals fallen zu müssen, so dankbar ist sie für diesen Moment der Entspannung, den ihr der harmlose Anblick der alten Frau bringt.
»Hallo«, sagt sie, diesmal sehr freundlich. Ein Strahlen geht auch über das rötliche Gesicht vor der Tür. In einem Anfall sichtlicher Freude streckt Lenka Kalauke ihre Hände aus. Rita nimmt sie sogar, doch dann zieht die Alte sie weg, legt einen Finger auf die faltigen Lippen und tut geheimnisvoll. Rita kann nicht anders, als die Alte in die Vorhalle zu bitten. Hier ist sie erst einmal sprachlos und ergeht sich in unergründlichem Staunen, das Rita nur bruchstückhaft versteht. Immer wieder bemüht sie sich — in fehllautigem Hochdeutsch zwar und ohne ein einzigen Artikel zu gebrauchen — zu sagen, dass es bei Frieda Körber niemals nich t so modern jewesen sei.
»Frieda Körber war ja auch eine alte Frau?«, sagt Rita scheinheilig.
Lenka Kalauke fuchtelt mit der rechten Hand vor ihrer Nase herum und beinahe läuft ihr der Geifer aus dem Mund, als sie sagt: Frieda sei eine gute Frau gewesen, eine sehr gute.
Rita schaut schnell weg, aber es freut sie, diesen Satz über Oma Frieda zu hören. Wie sie so mit der Alten in der Diele steht, ist es ihr wie ein Abstecher in die Vergangenheit, wo Oma Frieda solange bei ihr in der Diele geblieben ist, bis ihre nassen Schuhe von den Füßen waren und ihre Jacke am Haken hing. Dann bekam sie warme Potschen gereicht und durfte ins Zimmer.
»Ich weiß«, sagt sie versöhnlich, »hier lebt sich anständig.«
Die Alte zieht schon wieder einen Finger vor ihrem Gesicht hin und her und wispert dabei, dass gestern am Nachmittag, einer hier gewesen sei.
»Wer war hier? Wann …« Sie kann sich nicht erklären, warum sie mit einer solchen Gewissheit spürt, dass es Nils Hegau war. Ein Instinkt? Selten zuvor passten ihre Gedanken vor dem Schreck zu denen nach dem Schreck.
»Nachmittag meinen Sie? Wie sah er aus. Nun reden Sie doch …«
Lenka Kalauke kann ihre verknöcherte Hand nicht stillhalten. Schon wieder wedelt sie damit vor ihrer Brust herum, als überbrücke sie die Zeit, bis der entscheidende Gedanke richtig geordnet ist. Dann spuckt sie ihn aus:
»Hinze-Juri.« Die Alte zieht den Daumen in die Richtung, wo das Nachbargrundstück angrenzt, derweil sucht heiße Luft stoßweise ihren Wege aus Ritas Lungen.
»Einer der Leute vom Doppel-Grundstück nebenan also? Die heißen beide Hinze. Sind das Brüder?«
»Alfons Hinze … wo ist Chef von Fährleute. Hinze Georg wo ist Kutscher.« Und dann sagt sie einen so urkomischen Satz, dass Rita nicht anders kann, als ein klitzekleines bisschen Sympathie für die Alte zu finden.
»Ja Brüder, das sind Hinzes wohl, aber die gucken sich mit’m Arsch nimmer an. Seit Jahren nimmer . « Sofort kommt ihr ein kleiner Fluch über die Lippen, der sich wie sart nischi anhört, den aber Rita von ihrer Großmutter nie gehört hat, weil Großmütter in Gegenwart ihrer Enkel nur selten fluchen.
Normalerweise hätte sie lieber ihren garstigen Trumpf ausgespielt und gesagt: Ich denke hier lebt sich anständig. Aber heute ist sie froh, dass es nur Lenka Kalauke war, die unverhofft geläutet hat. Und sie ist insgeheim sogar froh, dass eine neugierige Seele für sie wacht, wenn sie nicht da ist.
»Und wer ist nun der Juri?«
»Na, Georg ist Juri. «
Der Georg Hinze ist also der Kutscher und der Alfons ist Fährmann. Wenn der Georg-— oder eben der Juri — im übernächsten Eingang wohnt, was hat der auf meinem Hof zu schaffen? Mein Land grenzt nicht an seins. Kein Strauch aus meinem Garten reckt seine Zweige auf Juris Gehöft. Vielleicht war es dieser Juri – der Hinze -, der am Abend nicht im Gasthof erschienen ist, um sein Eisbein zu verdrücken.
»Und … was wollte der Hinze hier … dieser Juri …?«
Es hat noch keiner vom Dorf mit ihr gesprochen. Womöglich muss man sich hier erst mit Schnaps und einem Tänzchen einführen. Das wird nicht die schwerste Hürde sein. Am kommenden Sonntag wird schließlich gezampert. Lenka Kalauke zieht ihr Kopftuch tiefer ins Gesicht: » Nüschte … neugierig war Juri bloß.«
Rita verengt ihre Lieder: »Das soll vorkommen, nicht wahr?«
Und dann macht die Frau einen Vorschlag, der Rita erschreckt, zugleich aber ins Grübeln versetzt. Sie würde schon aufpassen, die Alte. Zum Schaden sei das niemals nicht .
Rita krault nachdenklich ihr Kinn und blickt auf das dunkle Kopftuch der Lenka Kalauke. In ihr ist längst der Wunsch erwacht, sich an Oma Friedas Schulter zu lehnen, und sei es nur für einen kurzen Moment.
»Ich werde in nächster Zeit viel unterwegs sein …«
Das Leben als Kind war das größte Geschenk überhaupt, und die Oma war etwas, was sie erst in den letzten Jahren begriffen hat. Das Gefühl, loslassen zu können, schwach wie ein Kind zu sein, Schutz zu finden und trotzdem gestärkt aus diesen Momenten zu kommen, dieses Gefühl fehlt ihr schon so lange. Wenn dieses Gefühl je wiederkommt, dann wird es aber nicht bei Lenka Kalauke so sein. Dann kann es nur mit einem guten, aufrichtigen und liebenden Mann zu ihr zurückkommen.
Als habe die Alte Ritas Gedanken erraten, sagt sie mit einem Leuchten in den Augen: Wenn Jens kommt, das würde sie immer gewahr werden. Es sei gut, wenn Jens kommt. Jens Jedro sei ein guter Mensch.
»Gut ist relativ«, sagt Rita, und mit einem Mal steigt ein bitterer Geschmack in ihrer Kehle hoch. »Zu mir war er nicht gut, Frau Kalauke. «
Sie wird das Gefühl nicht los, der Jens Jedro könnte die Alte geschickt haben, um irgendetwas auszuspionieren. Es will ihr nur partout nicht in den Kopf, was es sein kann und warum.
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