„So, die alte Isolde war es also. Isolde war somit die Dame, die uns auch das Eis verkauft hatte?“
„Ja, genau Isolde. Sie öffnete im Sommer täglich. Bis eines Tages, da war ich knapp sechzehn Jahre alt, es war die Zeit, wo ich sehr häufig unterwegs war, bundesweit, vor allem im Ruhrgebiet auf Kanupoloturnieren, da kam ich gerade zurück von einer deutschen Meisterschaft.
Es war das Jahr 1980, wir hatten die Austragung des Turniers auf dem Baldeneysee in Essen, dort wo Johanna geboren wurde.
Das Jahr 1980 ist mir deshalb immer noch sehr präsent, da wir mit unserer Mannschaft der Jugend und der Junioren meines Vereins VMW Berlin deutsche Meister geworden waren und ich war so stolz darauf, dass ich zu Isolde lief, um ihr zu berichten, dass ich bald genauso gut sein würde, wie Wilhelm Behren.“
Nach diesen, seinen eigenen gerade gesprochenen Worten schnellte er herum und schaute seinen Großvater an, als wäre er das siebte Weltwunder.
„Du bist der Wilhelm, der Wilhelm Behren, der berühmte Behren aus dem Kanupolo? Ich wusste, dass ich dein Gesicht schon einmal in der Zeitung gesehen habe, aber auch in den alten historischen Zeitungsberichten in unserem Vereinsarchiv und vieles aus den Erzählungen unserer alten Vereinskameraden über dich erfahren habe.
Auch bei meinen Sportkollegen von Essen Rothe Mühle bist du ein Begriff.
Wenn wir uns trafen fachsimpelten wir jungen Spieler immer darüber, wer unser Vorbild sei. Und da waren wir uns alle einig, Der Behren, das war das Vorbild, genauso wollten wir auch alle einmal spielen.
Doch du hast dich in den 70er Jahren aus dem Vereinsleben verabschiedet, so dass ich dich persönlich nie hab kennen lernen dürfen. Das habe ich immer bedauert.
Das ist ja ein starkes Stück. Wilhelm Behren leibhaftig mein Großvater. Mein Vater wunderte sich immer über meine Ambition und meine Leidenschaft zu diesem Sport. Jetzt weiß ich, von wem ich diese habe.“
Wilhelm war sehr stolz über diese Worte. Wenigstens hatte er nun einen Nachfahren, der auch noch in seine Fußstapfen getreten war. Stephan fuhr langsam fort mit seinem Bericht.
„Sie war also nicht mehr dort, es war Spätsommer als wir vom Turnier zurückkamen, sie war einfach nicht mehr dort und niemand wusste, was aus ihr geworden war.
Ich war nur noch traurig, denn wie viele Jahre hatte sie mich begleitet und mir immer zugehört. Auch wusste niemand zu sagen, wo sie lebte. Wir kannten sie nur als die gute alte Isolde, die für uns Kinder immer ein offenes Ohr hatte.
Manchmal schenkte sie uns auch ein Eis oder kam herüber in unser Vereinsheim oder wir luden sie ein, als Dank sozusagen, wenn wir Vereins- oder Sommerfeste feierten an der Havel.“
Nachdenklich hatte Stephan diese Worte gesprochen und Veronika atmete tief durch. Sie konnte sich diesen Schmerz über das plötzliche Verschwinden von Isolde nur allzu gut vorstellen.
Selbst Mathilde und Wilhelm lauschten andächtig dieser Erzählung, auch wenn sie noch nicht so recht den Zusammenhang verstanden, was dieses alles mit Johanna zu tun hatte.
Veronika nahm wieder Stephans Hand, denn ihr wurde auf einmal bewusst, dass er damals als Kind über sehr viele Jahre eine Beziehung zu dieser Frau aufgebaut hatte, die sehr freundschaftlich gewesen sein musste und er einen herben Verlust 1980 erlebte.
Ihr war klar, dass Isolde niemand anderes gewesen war als Johanna, sie fühlte es einfach und war sich unsicher, inwieweit sie nun mit dieser, ihrer Vermutung, hier etwas aufdecken sollte.
Aber wenn es an dem war, war dieses sehr wichtig, weil man nun eine Existenz Johannas zumindest bis 1980 nachweisen konnte. Sie atmete tief ein und überlegte noch einmal kurz.
„Stephan, du erwähntest gerade, dass Isolde hin und wieder auf euren Sommerfesten eingeladen war. Gibt es dazu Fotografien, also wurden dabei Bilder aufgenommen, um sie ins Vereinsalbum zu setzen?“ Hoffnung keimte in ihr auf.
Erstaunt sah er sie an und nickte.
„Sind diese Bilder auf der Website eures Vereins zu sehen? Vielleicht unter einer Rubrik aus der Historie der einzelnen Jahre wo Wettkämpfe aber auch Feste beschrieben werden?“
„Ja, das auch. Man kann sie sich heute noch anschauen, denn wir legen großen Wert auf die Darstellung unserer Vereinsentwicklung, sowie aber auch Berichte verschiedenster Events und Wettkämpfe.“
Mit Stolz hatte Stephan dieses nun kundgetan und Veronika schaute Wilhelm an und stellte direkt die Frage, ob es einen Computer in diesem Hause gäbe, ansonsten würde sie gerne ihren Laptop aus dem Auto holen und mit ihrem mobilen Netz arbeiten. Doch das war nicht nötig.
Wilhelm Behren war ein Mann, der mit der Zeit gegangen war, alleine schon beruflich gesehen, aber auch über seinen Sport gerne aus dem Netz Neuigkeiten herausholte. Somit führte er alle Anwesenden in sein Büro, welches sich ebenfalls auf der untersten Etage befand.
Es war auch hier nicht anders zu erwarten, als das sie einen sehr gemütlichen Raum vorfanden. Jeder ihrer Schritte versank in einem dicken weichen Teppich. Nach wenigen Minuten hatten sie sich um den PC versammelt, Stephan rückte für alle einen Stuhl zurecht und startete das Programm.
Die Homepage von VMW Berlin war sehr übersichtlich und mit wenigen Handgriffen hatte er die Historie geöffnet, auf das passende Jahr geklickt und jede Menge Informationen waren nun zu erlesen.
Es war das Jahr 1979, das Jahr bevor Isolde für immer wegging. Stephan war sich sicher, dass sie als Gast auf einer der Feste dort anwesend gewesen war.
So ging er auf das jährliche Sommerfest, welches auch gleichzeitig ein besonderes Ausklangsfest einer Saison gewesen war, da einiges an Medaillen gewonnen worden war, die Mannschaften der Jugend, sowie die Junioren hatten sogar den Meistertitel erworben.
Ebenso war die Mannschaft der Herren als deutsche Meister vom Podium gegangen. Dementsprechend gut gelaunt waren alle Vereinsmitglieder bei dieser Feier, denn das Jahr war ein absolut voller Erfolg gewesen.
Das erzählte Stephan natürlich stolz, denn auf den Bildern wurden Pokale gehoben und man sah diese Freude.
„Da bin ich!“ Stephan zeigte plötzlich auf eines der Fotos. Es ist eine Gruppenaufnahme unserer Jugendmannschaft und unserem errungenen Pokal.
Doch er scrollte weiter und diverse Bilder kamen nun zur Ansicht. Veronika erkannte ihren kleinen Stephan von damals direkt wieder. Nicht lange, da erschien ein Bild auf dem Isolde zusammen mit den Jugendlichen abgelichtet war. Die Eisverkäuferin hatte viele junge Fans und Freunde.
Stephan vergrößerte es und schaute wehmütig auf diese Impression aus der vergangenen Zeit. Wilhelm und Mathilde, aber auch Veronika starrten das Foto an.
Dort war eine schlanke Frau zu sehen, sehr hübsch, kräftige ausdrucksvolle blaue Augen und dunkles schulterlanges Haar, welches lockig ihr Gesicht umrahmte. Ihr ausgeprägtes Kinn war auch gut zu erkennen.
„Ja!“, hauchte Veronika. „Sie hat uns 1975 das Eis verkauft. Ich erkenne sie wieder. Aber nicht nur das.“
Behutsam hatte sie diese Worte gesprochen, denn nun kam es auf die Reaktion der beiden alten Menschen an. Stephan war ja unvoreingenommen. Für ihn war Isolde seine damalige gute Freundin, Vertraute und Eisverkäuferin. Wilhelm wurde bleich.
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