Ich brauche niemanden um mich wie ein Mensch zu fühlen. Ich bin ein Mensch. Niemand auf der Welt kann etwas dafür oder dagegen tun. Ich bin ein eigenständiger, denkender, fühlender Mensch. Wenn ich es nicht zulasse dass jemand auf mir herum trampelt dann geschieht es auch nicht. Es ist wichtig was ich denke, nicht die anderen. Ich werde wie Phönix aus der Asche steigen .
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Ich war im Grunde meines Herzens immer spießig. Früher noch mehr als heute. Ich gehörte immer zu den guten Kindern. Habe nie etwas wirklich Schlimmes getan. Habe bis auf ein paar Ausnahmen weder geraucht noch getrunken und Gott bewahre, nie Rauschgift genommen. Wahrscheinlich fühle ich mich gerade deshalb so von diesen Typen angezogen.
Verrucht muss er sein, ein wenig gefährlich oder wenigstens depressiv. Anders als die Norm. Es muss kribbeln wenn man ihn berührt. Gute Jungs haben mich nie interessiert, tun sie auch jetzt nicht. Je schlechter ihr Ruf desto anziehender. Dass ich auf diese Weise immer wieder auf die Nase falle ist ganz natürlich aber ich kann diese Spielchen trotzdem nicht lassen.
Darum auch das kleine Abenteuer mit Marco. Natürlich verstößt es gegen meine moralischen Grundsätze mit jemand vom Arbeitsplatz ein Verhältnis anzufangen. Aber er ist niedlich und er hat mit mir getanzt, sehr eng. Tanzen finde ich sehr erotisch, dafür hat er Pluspunkte. Er hat einen knackigen Hintern und den denkbar schlechtesten Ruf. Mal sehen, vielleicht bekommt er noch eine zweite Chance bei mir.
Mir gehen so viele Dinge im Kopf rum. Geld macht nicht glücklich aber es wäre schön genügend zu haben. Wer Geld hat der hat auch Möglichkeiten. Ich hätte die Chance mein Umfeld positiver zu gestalten. Ein Haus oder eine Wohnung in der man beruhigt Gäste empfangen kann. Kleidung die mich von anderen hervorhebt. Die Freiheit nur zu arbeiten wenn es mir Spaß macht. Ich könnte gelassen sein, nur tun wozu ich Lust habe. Man sagt doch das Glück ist ein Rindvieh und sucht immer seinesgleichen, vielleicht werde ich dann ja auch meinem Traummann begegnen.
Es ist ein Donnerstag im Juli 1996.
Ich habe mich so gut wie möglich gestylt an diesem Abend. Ich gehe mit einer Freundin aus, eine der wenigen Frauen mit denen ich klar komme. Es besteht die Möglichkeit dass ich Richard treffe. Tausend Mal habe ich durchgespielt wie ich mich dann verhalten soll. Ich kann noch nicht glauben dass ich ihn wiedersehen soll, vermute er wird mir weiter ausweichen.
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Doch manchmal kommt es eben doch anders als man denkt. Meine ganzen Vorsätze schwanden mit der ersten Umarmung dahin.
Ja, er tauchte tatsächlich auf und hat getan als sei nichts passiert. Immerhin eine Stunde habe ich es geschafft ihn völlig zu ignorieren. Dann kapitulierte ich und sank buchstäblich in seine Arme.
Entweder ist dieser Kerl der abgebrühteste Mensch den ich je getroffen habe oder es ist eben seine Art mit der man leben muss oder ihn vergisst.
Was auch immer, ich bin ihm gegenüber völlig wehrlos. Mein Gefühl ist stärker als mein Verstand.
Ein Lächeln - oh dieses hinreißende Lächeln, genügte um meinen Ärger auf Richard zu vergessen. Als er mich dann, noch dazu in aller Öffentlichkeit und vor seinen Freunden, umarmte und küsste war ich nicht mehr in der Lage auch nur ein Wort zu sagen.
Es tat mir so gut. Ein paar Stunden meine Gefühle ausleben zu dürfen das war ein gutes Erlebnis. Er ist ein ausgezeichneter Schmuser. Die letzte halbe Stunde bis um 4 Uhr Früh verbrachten Richard und ich dann fast allein in der Diskothek, knutschend wie frisch verliebt. Ich fuhr ihn noch nach Hause und dann trennten wir uns wieder ohne eine neue Verabredung. Vermutlich spielen wir jetzt wieder das Wechselspiel: du bist mir egal - verbringen wir eine heiße Nacht.
Trotzdem fühle mich ich nach diesem Treffen besser, so verrückt das auch klingt.
Meine Gedanken kreisen auch weiterhin um ihn aber die Traurigkeit dabei ist von mir abgefallen. Ob er nun ein Mistkerl ist der mich ausnutzt oder ob er einfach nicht fähig ist eine Gefühlsbindung einzugehen; mir ist klar geworden dass ich ihn trotzdem will, eben nur zeitweise. Wenn es sich so ergibt werde ich eben zweigleisig fahren. Irgendwann ändern sich die Dinge vielleicht.
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Dienstag, der 30. Juli.
Ich bin so wütend, wenn Richard bei mir wäre ich würde ihn erdolchen. Er hat es schon wieder getan oder besser nicht getan. Was zum Teufel geht in diesem Kerl vor?
Vor ein paar Tagen dachte ich noch ich könnte mit ihm umgehen. War wohl ein Irrtum. Gerade heute hätte ich ihn so gebraucht. Ich hatte einen lausigen Tag und obendrein ist auch noch Vollmond. Echt klasse dass er mich gerade heute hängen lässt!
Ich hatte ihn gebeten mich anzurufen weil ich gerade heute gern was mit ihm unternommen hätte, so wie früher. Natürlich hat er nicht angerufen um was zu vereinbaren, ist ja auch zu viel verlangt. Jetzt weiß ich was ich für ihn bin - sein persönliches Spielzeug. Ich habe wirklich keine Lust mir das gefallen zu lassen. Bin ich dafür nicht zu gut? Habe ich nicht auch das Recht glücklich zu sein?
Ich fühle mich irgendwie überflüssig. Ich habe mich voll gefressen bis zum Rand und jetzt bin ich zu faul um mich überhaupt zu bewegen. Dabei wäre es wirklich nötig wie die Wohnung aussieht, kaum zu glauben wie viel ein einzelner Mensch Dreck macht. Seit zwei Wochen hänge ich nur so rum, völlig untätig.
Zu meiner Einsamkeit ist ein neues Gefühl dazu gekommen. Scham.
Ich schäme mich dafür einsam zu sein. Niemand soll es merken, weder Freunde noch Familie oder Nachbarn.
Überall habe ich das Licht ausgemacht und mich ganz still in meine Hängematte verzogen. Wie ein verletztes Tier das sich im Unterholz verkriecht.
Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich rief bei Richard an und erreichte ihn wunderbarer Weise sogar. Lange unterhielten wir uns.
Ich beschimpfte ihn weil er mich so ignoriert. Einen Grund konnte er nicht nennen (natürlich nicht, es gibt ja keinen). Jedenfalls vertrugen wir uns am Ende und trafen uns am Abend wieder mal am Lagerfeuer. Ich liebe solche kleinen spontanen Feiern, es gibt nichts Romantischeres als ein Lagerfeuer in einer warmen Sommernacht.
Richard und ich verbrachten den ganzen Abend zusammen. Wir haben uns eine Decke geteilt und er hat mich fest im Arm gehalten. Es war urgemütlich und ich schwebte irgendwo auf Wolke sieben. Gemeinsam brachen wir nach Hause auf, beschlossen nur gute Freunde zu sein und schliefen miteinander. Still, sanft, selbstverständlich.
Ob die Beziehung so funktioniert bleibt abzuwarten aber es ist gut für mich meinen Freund wieder zu haben. Ich kann einfach nicht ohne ihn leben, auch wenn völlig unklar ist ob es eine Zukunft für uns beide gibt.
All meine Hoffnung ist möglichst viel Zeit mit ihm zu verbringen. Ich weiß noch gar nicht wie ich zehn Tage ohne ihn auskommen soll. Aber ich werde es müssen - er fährt in Urlaub, ohne mich.
Schön für Dich dass Du so wahnsinnig unabhängig bist…Du musst weder Rücksicht auf mich noch auf dein Bankkonto nehmen…
Ich werde vor Sehnsucht vergehen, ich hoffe er hält sein Versprechen sich gleich bei mir zu melden wenn er zurück ist. Wenn er es tut bekommt er eine Wiedersehensfeier die er so bald nicht vergisst!
Es wäre schön Dir wieder vertrauen zu können, ich vermisse unsere Freundschaft.
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Der fünfzehnte August, ein Feiertag, ein langes Wochenende.
Ich gammle so richtig. Ich bin erst um halb zwei Uhr nachmittags aufgestanden, habe ein schönes Schaumbad genommen und ein wenig Schönheitspflege betrieben. Jetzt liege ich gemütlich in der Hängematte auf dem Balkon und denke darüber nach was ich noch anstellen soll. Ohne Richard habe ich eigentlich zu gar nichts Lust.
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