„Alle ruhig.“
O‘Toole war einer der wenigen unter ihnen der schreiben und lesen konnte. Die anderen neckten ihn häufig damit das er besser lesen konnte als schießen. Sullivan war ihm gegenüber offen feindselig eingestellt. Besonders seit er vor einiger Zeit den Halbindianer Semo in ihre Truppe geholt hatte. Der kräftige Kerl war zwar, seiner Ansicht nach, besser zu gebrauchen als O’Toole, kräftiger, stärker und ein guter Fährtenleser, aber Sullivan hasste ihn trotzdem.
Er betrat den alten Schuppen der nur den Führungsoffizieren als Behausung vorbehalten war. Überall lagen Tierfelle und bunte geknüpfte Decken herum, die sie irgendwelchen Indianern abgenommen hatten. Blackfist, Carlos und Giletti hatten es sich auf ihren zusammengeklauten Nachtlagern gemütlich gemacht.
„Lewis hat noch einmal die ganze beute überprüft. Ich habe ihm Raulito, Kenny und Fisch zur Seite gestellt. Damit sie ihm zählen helfen.“ Mario Giletti sah den alten Sullivan wütend an. Hatte er sie gerade bei einer wichtigen Besprechung gestört? Ohne ihn? Dann geschah es ihm nur recht.
„Sie sollen es nochmal zählen.“ Raunzte Carlos. „Und wenn sich dieser Penner Lewis geirrt haben sollte, kann er schon mal anfangen sich ein zweites Holzbein zu schnitzen.“ Lewis war hier so etwas wie ihr Lagerverwalter. Er hatte vor ein paar Jahren ein Bein verloren und war seit her schlecht zu Fuß. Weit ab von jeder Zivilisation würde er nicht weit kommen, falls er sie bestehlen wollte, deshalb war er ideal für den Job. Immer wenn sie zu einer neuen Diebestour loszogen blieb er hier und gab auf alles acht. Carlos war sauer auf ihn, weil er entdeckt hatte das mit Emilio auch ein Teil ihrer Beute verschwunden war.
Sullivan und der Italiener Giletti waren unzufrieden mit der Rolle von Carlos als Thompsons „Kronprinz“, wie ihn Giletti heimlich nannte. Während Henry Sullivan schon von Anfang an zu Thompsons Truppe gehörte, hatte sich ihnen der Gauner Giletti mit seinen Leuten erst etwas später angeschlossen. Was auch der Grund dafür war, dass er sich als legitimen Stellvertreter Blackfists sah. Der Anführer der Gang war von seiner Loyalität jedoch nicht so sehr überzeugt wie von der von Carlos.
„Sein Bruder ist mit einem Teil unserer Beute abgehauen.“ Giletti schimpfte schon seit einer Weile über Carlos‘ Bruder Emilio.
„Ich habe es dir doch bereits erklärt, Affengehirn, er ist nicht abgehauen. Er braucht nur etwas Entspannung. Er und Gringo sitzen ganz sicher in irgendeinem Saloon und ziehen ein paar Idioten beim Pokern ab.“
Mario Giletti war mit der Antwort von Carlos noch immer nicht zufrieden.
„Er ist faul, träge und unberechenbar. Wäre er nicht dein Bruder, hätte ich ihn längst aufgeknüpft.“
„So etwas hast du nicht zu entscheiden.“
„Aber Du?“
Blackfist hatte sich das Gezanke lange genug angehört.
„Ruhe jetzt. Semo hat bereits seine Spur aufgenommen, sobald er zurück ist, holen wir uns Emilio und unsere Beute.“
„Ich hasse Indianer.“ Sullivan spukte verächtlich seinen Kautabak in einen verdreckten Eimer. Kaum einer mochte Semo, doch das schien ihrem Anführer egal zu sein. Er wusste, dass sie seine Fähigkeiten gut brauchen konnten.
„Halber Indianer.“ Dieser Umstand schien Carlos zumindest erwähnenswert zu sein.
„Seine mexikanische Hälfte hasse ich auch!“
Blackfist sah ernst aber versucht beschwichtigend in die Runde. „Wenn wir beides haben, werde ich entscheiden, was mit Emilio geschieht!“
Der Halb indianische, halb mexikanische Cowboy war seit Stunden geritten, als er völlig abgehetzt das Lager erreichte. Er wartete nicht einmal, bis einer der Herbeigeeilten die Zügel seines Pferdes griff. Er sprang in einem Satz herunter und in das Gebäude, das neben dem Eingang zur alten Goldmine stand. Blackfist und die anderen sahen ihn verärgert an, als er sie beim Whiskey trinken, störte.
„Ich konnte Emilio nicht erreichen.“ Keuchte Semo völlig außer Atem. Die bösen Blicke des alten Sullivan und dem undurchsichtigen Gauner Giletti ignorierte er. Er wusste, dass es kaum jemanden in ihrer Gang gab, der ihn der Halbindianer und zur anderen Hälfte Mexikaner war, besonders mochte. Dennoch schätzte nicht nur ihr Anführer Blackfist Thompson seine Fähigkeiten des Fährtenlesens und Anschleichens. „Dieser verdammte Marshall ist in Nojust aufgetaucht und hat ihn und Gringo im Büro des Sheriffs eingesperrt.“
Carlos sprang sofort auf.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
„Sattelt die Pferde.“ Erwiderte Thompson. Das war genau die Art Nachricht, auf die er gewartet hatte. Emilio und den Teil ihrer Beute aus dem alten Indianergrab zurückholen und gleichzeitig den verhassten Marshall der sie seit Jahren verfolgte endlich aus dem Weg räumen. „Dieser dreckige Sohn einer räudigen Hündin ist endgültig fällig.“
Es war bereits dunkel, als sich Jackson allein in den Hinterhof des Sheriffsoffice zurückgezogen hatte. Er brauchte dringend eine Pause. Es war nicht richtig, wie er den Gefangenen behandelt hatte, er war zu weit gegangen. Er gestattete sich nicht, Fehler zu machen. Sie sind ein Zeichen von Schwäche und das war das Letzte, was er sich erlauben durfte.
Hier draußen war es ruhig, das tat gut. Nur in der Ferne jaulte ein Hund. Oder vielleicht war es auch ein Kojote, wen interessierte das schon? Ein paar Meter weiter von den Hauptgebäuden weg, lag still und friedlich ein kleiner Bach. Eine Brücke führte darüber, zu einem Sägewerk und einer angrenzenden Wassermühle, deren Rad bei jeder sanften Bewegung leise quietschte. Er sog die Stille mit jedem Atemzug tief in seine Lungen ein. Es war, als würde sie ihn völlig einnehmen. Kein Stress, keine Hektik, keine Angst, um seine Leute, keine Sorge Blackfist vielleicht niemals aufhalten zu können, einfach nur Ruhe. Es wurde ihm schließlich dann doch zu friedlich und er beschloss zurück ins Haus zu gehen.
Urplötzlich spürte er jedoch einen stechenden Schmerz in der linken Wade und wäre fast zu Boden gegangen. Jemand hatte versucht, ihn zu Fall zu bringen. Blitzschnell griff er nach dem Angreifer, der sich in der Dunkelheit verschanzt hatte, und wirbelte ihn herum. Doch dieser verschwand sogleich wieder in der Schwärze. Da er kaum etwas sehen konnte, beschloss er, dass sein Colt nicht viel ausrichten würde, und nahm lieber das Messer aus seinem Stiefel. Verzweifelt versuchte er, etwas zu erkennen. Doch diesmal musste er sich auf seine anderen Sinne verlassen. Er horchte in die Nacht hinein. Der Hund war verstummt, nur das Wasserrad quietschte noch stetig. Mehr nicht, kein Windhauch war zu vernehmen. Dann spürte er es, es war wie leise Sohlen auf den Holzdielen der Veranda. Er hielt den Atem an. Dann ließ er das Messer durch die Abendluft sausen. Doch da war niemand. Er schloss seine Faust fester um den Griff und konzentrierte sich wieder. Schon griff jemand nach seiner Hand und verpasste ihm gleichzeitig einen fiesen Tritt in den Unterleib. Der Marshall keuchte und schwang sein Messer erneut durch die Dunkelheit. Doch da war niemand.
„Zeig dich du Feig…“Ehe er sich versah, flog sein Messer zu Boden. Jemand fesselte seine Hände auf den Rücken und rammte ihm einen Knebel in den Mund.
Im Büro unterhielten sich Stanford und Will mit Paul und den anderen Deputys. Wilhelm wusste noch immer nicht, welcher Rob war und wer George. Sie erzählten ihnen, dass sie schon länger hinter dem Gauner Blackfist her waren und ihn vor ein paar Monaten fast geschnappt hätten. Damals waren sie noch ein gutes Dutzend mehr Leute. Sie erzählten ihnen noch ein wenig mehr über den Marshall und wie sie versuchten Thompson und seine Männer aufzuspüren. Und dass Jackson und Paul sich schon länger kannten, beide hatten früher gegen die Indianer gekämpft und sich dort kennengelernt. Paul wollte jedoch nicht näher darauf eingehen und mehr Details verraten.
Читать дальше