In diesem Augenblick spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Es war sein Lehrer. Herr Seibold bewunderte sein Kunstwerk und sagte erst mal gar nichts. Dann fragte er:
„Wen hast du denn dafür als Vorbild genommen? Das ist sehr schön geworden. Eine Frau mit großen Augen, langen Haaren und einem Lächeln im Gesicht. Das hast du wirklich gut hinbekommen. Ist das jemand Bestimmtes?“, fragte Herr Seibold.
„Ja.“, antwortete Matteo.
„Und wer ist das?“, fragte sein Lehrer.
Matteo überlegte, was er jetzt sagen sollte. Er zögerte kurz und sagte dann:
„Mein Glücksbringer“.
Herr Seibold wunderte sich: „Du hast eine Frau als Glücksbringer?“
„Ja.“, sagte Matteo. Und dann sagte er etwas, worüber er sich selbst wunderte: „Alles und jeder kann ein Glücksbringer sein, wenn man fest daran glaubt.“
Sein Lehrer hatte einen Ausdruck der Verwunderung in seinem Gesicht: „Da magst du Recht haben, Matteo. Wie auch immer, dein Glücksbringer ist dir jedenfalls gut gelungen.“
Als die Schule an diesem Tag endlich zu Ende war, war auch Matteo geschafft. Er stand vor der Schule und wartete auf seine Mutter. Mit ihm wartete Patrick. Patrick war sein bester Freund aus der Klasse. Sie kannten sich schon aus der Grundschule, doch damals hatten sie noch keinen so guten Kontakt. Erst als sie auch im Gymnasium zusammen waren, freundeten sie sich enger an. Patrick war überhaupt kein Fußballfan. Er interessierte sich mehr für Schwimmen und Basketball.
Wie sie so dastanden und auf ihre Mütter warteten, fingen sie an, mit einer leeren Bierdose zu kicken. Sie schossen sich die leere Dose gegenseitig zu und hatten eine Menge Spaß dabei. Irgendwann kam der Punkt, an dem sie übermütig wurden, und wer anders als Matteo holte aus und schoss die Dose mit solch einer Wucht auf die Straße, dass sie ein vorbeifahrendes Auto traf. Der Fahrer erschrak so sehr, dass er sofort das Lenkrad herum riss und dabei gegen eine Leitplanke prallte. Dort kam er zum Stehen. Matteo und Patrick standen wie versteinert da. Sie starrten zu dem Fahrzeug herüber und wussten nicht, was sie tun sollten. Menschen rannten zu dem Fahrzeug hin und versuchten dem Mann zu helfen. Sie öffneten die Fahrertüre und redeten auf den Mann ein.
Der Mann stieg aus dem Auto.
Es war ihm nichts passiert.
Er war mit dem Schrecken davon gekommen. Matteo und Patrick standen immer noch auf der anderen Straßenseite und brachten kein Wort heraus. Plötzlich bekam Matteo große Angst. Was würde passieren, wenn sie herausfanden, dass er schuld war an diesem Unfall? In diesem Augenblick kam seine Mutter.
Sie hielt vor Matteo an und schaute dann zu dem Unfall rüber. Matteo und Patrick kamen beide an den Wagen. Matteo öffnete die Türe. Seine Mutter schaute immer noch zur anderen Straßenseite. Dann drehte sie sich zu den Jungs und fragte, was da passiert sei. Die beiden brachten kein Wort raus. Seine Mutter sah Matteo jedoch sofort an, dass etwas nicht stimmte. Er war weiß wie ein Tuch.
„Matteo, was ist mit dir?“, fragte sie erschrocken. Als Matteo nicht antwortete, wandte sie sich an Patrick. Auch er sagte nichts, war aber mindestens genauso bleich wie Matteo. Sie wurde ärgerlich: „Matteo, ich will wissen was mit euch los ist!!!“
Da kamen Matteo die Tränen und als Patrick die Tränen bei Matteo sah, fing auch er an zu weinen.
„Um Himmelswillen, ich will jetzt sofort wissen, was los ist mit euch beiden. Nun sagt schon!“
Matteo würgte, dann stotterte er etwas von Bierdose und spielen. Seine Mutter konnte dem Ganzen keinen Sinn entnehmen. Sie stieg aus und nahm ihren Sohn erst mal in die Arme. Sie beruhigte ihn:
„Matteo, egal was passiert ist, du kannst mir doch alles sagen. Nur so finden wir eine Lösung. Ich will dir doch helfen.“
Dann wischte sie seine Tränen weg und gab auch Patrick ein Taschentuch. Als die Jungs sich beruhigten, fragte sie noch einmal: „Hört zu ihr zwei, was auch immer es ist, ihr müsst es mir jetzt sagen. Keiner wird euch den Kopf abreißen. Das verspreche ich euch.“
Als immer noch nichts kam, redete sie weiter auf ihn ein: „ Matteo, du kennst mich doch, oder?“, sagte sie. „Hab ich dich jemals sitzen lassen oder habe ich jemals nicht zu dir gestanden?“
Matteo schüttelte den Kopf.
„Dann sprich jetzt mit mir!“, forderte sie ihn auf.
Matteo liebte seine Mutter in solchen Momenten am meisten. Sie war so stark und eine Frau von Tat. Sie setzte sich immer für ihn ein. Er wusste, dass ihm niemand irgendetwas anhaben konnte, weil er sie an seiner Seite hatte. Patricks Mutter hingegen war eine eher ängstliche Frau. Sie wollte sich mit niemandem streiten und gab immer klein bei. Seine Mutter hingegen kam Matteo oft wie eine Löwin vor.
Matteo schilderte seiner Mutter den Vorfall. Sie war erschrocken. Das sah er an ihrem Gesicht.
„Das da drüben warst du?“, fragte sie.
Matteo nickte schüchtern.
Sie richtete sich auf und sagte: „Ihr zwei setzt euch jetzt ins Auto und wartet.“
Matteo und Patrick gehorchten und schauten zu, wie Matteos Mutter auf die andere Straßenseite ging. Dort standen schon die Polizei und ein Krankenwagen. Sie sahen, wie Matteos Mutter einen Polizisten ansprach. Beide redeten und redeten. Einmal zeigte Matteos Mutter auch zu den Jungs rüber und der Polizist drehte sich um. Matteo wurde ganz heiß. Dann gingen sie zu dem verunglückten Mann. Der Polizist und seine Mutter sprachen kurz mit ihm, dann kamen alle drei auf Matteo zu. Den Jungs war ganz mulmig im Magen. Matteos Mutter öffnete die Türe und sprach zuerst mit ihnen allein.
„Ich habe der Polizei alles erzählt. Dem Mann ist nichts Schlimmes passiert. Nur sein Auto ist beschädigt. Das wird aber wohl unsere Versicherung zahlen. Das einzige, was ich von euch Jungs gerne hätte, ist eine Entschuldigung.“
Die zwei Jungs schauten zuerst verdutzt, aber dann waren sie sehr erleichtert.
„Ja!“, sagte seine Mutter. „Es ist ja zum Glück nichts Schlimmeres passiert. Eine Aussage bei der Polizei bleibt euch aber nicht erspart.“
„Oh toll!“, freute sich Patrick. „Ich wollte schon immer mal aufs Polizeirevier!“
Matteos Mutter verdrehte die Augen. „Jetzt steigt erst mal aus und entschuldigt euch bei Herrn Dias.“
Herr Dias war ein Mann mit einem weit aufgeknöpften Hawaiihemd, braungebrannter Haut und schwarzen vollen Haaren, die sehr schmierig nach hinten gegelt waren. Er trug eine weiße Hose und Flip Flops. Herr Dias sah aus, als wäre er in einem Urlaubsort am Meer und nicht in Stuttgart.
Matteos Mutter stellte vor: „Herr Dias, das sind Matteo und Patrick“.
Die Jungs standen vor Herrn Dias und schauten ihn sprachlos an. Herr Dias schaute zu den Jungs herunter. Keiner sagte ein Wort. Dann lächelte Herr Dias und meinte mit einem sehr spanischen Akzent: „Ihr seid also die zwei, die mich mit einer Bierdose fast getötet hätten?“ Matteo und Patrick waren beschämt und ließen die Köpfe hängen. Dann lächelte Herr Dias wieder und sagte: “Es ist ja zum Glück nichts passiert. Mir zumindest nicht. Dem kleinen Auto ein wenig.“
Die Jungs schauten zu dem Unfallwagen rüber. Es sah ziemlich nach Totalschaden aus. Dann schauten sie wieder fragend zu Herrn Dias.
„Das ist nur ein Mietauto“, erklärte dieser. „Halb so schlimm!“ Patrick, Matteo und seine Mutter lächelten. Dann gab Matteos Mutter den Jungs ein Zeichen, sich zu entschuldigen. Die Jungs gingen einen Schritt auf Herrn Dias zu, streckten ihm beide die Hand hin und sagten nacheinander: „Es tut mir sehr Leid, Herr Dias. Das war keine Absicht.“
„Wir wollten doch nur ein wenig mit der Bierdose kicken, als wir warteten, verstehen Sie?“, fügte Matteo hinzu.
„So, so.“, erwiderte Herr Dias, „Ein wenig kicken. Ihr seid wohl zwei Fußballer?“.
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