Isabella war Matteos zwei Jahre ältere Schwester. Sie mochte die Suppe immer lieber als alles, was danach kam.
„Isabella ist bei Linda. Sie lernen zusammen für die morgige Englischarbeit“, antwortete sein Vater.
„Schläft sie heute daheim oder bei Linda?“, wollte Matteo wissen.
„Natürlich zuhause,“ sagte sein Vater.
Es hätte Matteo auch gewundert, wenn Isabella nicht zuhause geschlafen hätte. Seine Eltern mochten es gar nicht, wenn er oder seine Schwester woanders übernachteten. Matteo durfte aber seine Freunde jederzeit zu sich zum Übernachten einladen, das war völlig in Ordnung. Er verstand das nicht. Es war doch nichts dabei, mal bei einem Freund zu übernachten, doch er wollte erst gar nicht anfangen zu diskutieren, denn es würde wie immer nichts bringen. Sein Vater ließ sich in der Sache nicht umstimmen, dafür kannte er ihn nur allzu gut.
Dann kam seine Mutter in die Küche. Sie saß grundsätzlich nicht mit am Tisch, weil sie ständig was zu tun hatte und oftmals schon während des Kochens immer wieder was in den Mund steckte und dadurch keinen Hunger mehr hatte.
„Ich muss gleich Isabella abholen“ , sagte sie. „Oder willst du das machen, mein lieber Mann?“ Dabei schaute sie Matteos Vater ganz unschuldig an und hoffte, er würde schwach werden und es tun.
„Ach Schatz, jetzt kommt doch gleich ein EM- Qualifikationsspiel. Ich kann unmöglich das Haus verlassen. Das verstehst du doch?!“, antwortete er, ganz entsetzt über ihre Frage.
Da wusste sie, dass kein Blick der Welt ihn umstimmen würde. „Also gut, ich verstehe…dann mach ich mich mal auf den Weg. Bis gleich.“ Matteos Mutter verließ das Haus.
„So mein Sohn, und wir zwei ziehen jetzt um, und zwar auf die Couch.“
Matteo hatte ganz vergessen, dass heute Fußball kam und freute sich jetzt umso mehr. „Wer spielt denn heute, Papa?“ fragte er.
„Serbien gegen Italien“
„Und wo spielen sie?“
„In Belgrad. Bin mal gespannt wer heute gewinnt.“
Vater und Sohn machten es sich auf der Couch bequem. Sie hörten sich erst Mal die Meinungen der Kommentatoren, die Hintergrundinformationen über die Mannschaften und ihre interessanten Spieler an.
„Papa, mal schauen, wie viele Spieler aus der Bundesliga dabei sind.“, meinte Matteo.
„Ja, da bin ich auch gespannt“, antwortete sein Vater.
Nachdem beide Nationalhymnen verklungen waren, wurde angepfiffen.
„Hallo, wir sind da-aaa“, hörten sie wenig später aus dem Flur. Mama und Isabella waren angekommen. Ein wenig ärgerte das Matteo, weil er jetzt nicht in Ruhe mit seinem Vater Fußball schauen konnte. Bestimmt würde jetzt seine Schwester angelaufen kommen, und sich bei Papa auf den Schoss setzen. Und gleich los plappern von irgendwelchem Mädchenkram.
Oh nein! Tatsächlich, Isabella kam sofort nachdem sie ihre Hände gewaschen und ihre Schuhe ausgezogen hatte auch zu ihnen aufs Sofa und umarmte ihren Vater. Matteos Vater genoss es immer, wenn seine kleine Tochter in seiner Nähe war. Sie wollte auch gleich loslegen und die neuesten Geschichten aus der Schule und Nachbarschaft erzählen, doch zu Matteos Glück meinte sein Vater sanft aber bestimmt, sie sollte doch so lieb sein und ihm nach dem Spiel berichten. Isabella schmollte kurz, weil ihrem Vater heute wieder der Fußball wichtiger war. Aber sie hatte auch Spaß mit ihrer Mutter in der Küche. Sie freute sich, wie immer, sehr über die hausgemachte Suppe. Jetzt störte Matteo und seinen Vater niemand mehr. Ausnahmsweise durfte Matteo heute länger auf bleiben.
Zum einen, weil Fußball kam, und zum anderen, weil er donnerstags immer später Schule hatte.
Als es Zeit war schlafen zu gehen, machte er, völlig übermüdet , sein allabendliches Ritual:
Waschen, Zähne putzen, Papa und Mama gute Nacht sagen.
Als er schließlich nach einem langen Tag im Bett lag, dachte er noch einmal über alles nach, was passiert war.
Und gleich fiel sie ihm wieder ein, diese hübsche Frau vor der Schule mit den langen dunklen Haaren und dem kleinen roten Auto. Sie hatte ihn anfangs verlegen gemacht, dachte er und grinste dabei. Er hatte gar nicht gemerkt, wie sie sich neben ihn gesetzt hatte, und auch nicht, dass sie ihm zugehört hatte. Irgendwie war das merkwürdig. Und sie hatte ihm nicht ihren Namen gesagt. Sie würde es ihm beim nächsten Mal verraten, hatte sie noch gerufen. Werde ich sie überhaupt wiedertreffen? Was hatte sie mir nochmal gesagt?, fragte er sich.
Jeden Abend, wenn du ins Bett gehst, stellst du dir vor, wie dein Trainer dich aufruft und dir sagt, dass du fürs Team aufgestellt wirst. Stelle dir bildlich vor, wie er sagt: Matteo, du spielst heute.
Habe die Bilder jeden Abend ganz klar vor Augen. Das ist sehr wichtig.
Soll das wirklich was bringen? überlegte er. Sich seinen Wunsch einfach nur vorstellen?
Und dann erinnerte er sich, dass sie noch gesagte hatte: Du musst dich jedes Mal, wenn du dir vorstellst, wie dein Trainer dich auswählt, so freuen, als wäre es gerade eben passiert. Du MUSST genau die Freude dabei empfinden, als hätte er es dir gerade eben wirklich gesagt. Du musst an dich und das Erreichen dieses Zieles glauben. Du musst daran glauben, dass genau diese Situation bald eintreten wird,oder so ähnlich.
Matteo fiel es an diesem Abend wirklich nicht einfach sich vorzustellen, einen festen Platz in der Mannschaft zu haben. Welchen Grund könnte der Trainer haben, IHN aufzustellen? Und zwar für jedes Spiel? Er wird doch noch nicht einmal von seinen Mitspielern gewählt. Er war schon wieder deprimiert. Das ist doch Schwachsinn ,das mit dem Vorstellen. Das funktioniert nicht, zweifelte Matteo. Kaum hatte er das gedacht, fiel ihm noch mehr wieder ein. Sie hatte gemeint:
Genau so einfach ist es, Matteo. Aber gerade deshalb, weil es so einfach ist ,wie es ist, ist es sehr schwierig für die Menschen es umzusetzen. Man muss sich jeden Tag seinen Traum vor Augen führen. Du musst die Bilder sehen, und die Freude dabei empfinden! Und du musst es WIRKLICH wollen. Das ist das Wichtigste. Wenn du das jeden Abend machst, und zwar nicht nur heute und morgen, sondern eine ganze Zeit lang jeden Abend, dann wirst du sehen, wie sich dein Traum erfüllen wird.
Eigentlich wollte er jetzt einfach nur schlafen, aber weil diese Frau so nett und so hübsch war, wollte er es wenigstens für sie mal probieren.
Matteo konzentrierte sich also auf seine Mannschaft. Er sah alle Spieler seines Teams vor sich. Dann sah er die Mannschaftsumkleidekabine. Er sah sich selbst, wie er seine neuen Fußballschuhe aus der Sporttasche holte. Dann sah er den Trainer, wie er, wie vor jedem Spiel reinkam. Er rief die Jungs zusammen und sagte gleich zu Beginn: „Matteo, du spielst heute. Wir zählen auf dich.“
Matteo überkam dabei ein wohliges, zufriedenes und glückliches Gefühl. Diese Vorstellung gefiel ihm so gut, dass er mit positiven Gedanken einschlief.
Am nächsten Morgen wollte er wieder am liebsten liegenbleiben.. Er hatte die ganze Nacht von einem Stammplatz in der Mannschaft geträumt. Sein Traum war so realistisch, dass er immer noch das Gefühl hatte, er stünde auf dem Fußballplatz. Statt dessen lag er in seinem Bett, obwohl er eben noch der Held auf dem Spielfeld war! Oh nein, es war alles nur ein Traum. Er war enttäuscht. Aber trotz der Enttäuschung war er den ganzen Tag über motiviert. Er hatte die Bilder der Nacht den ganzen Tag über immer noch im Kopf. Er hörte die Massen jubeln und seinen Namen rufen. Ständig verfiel er in Tagträume. Ihm gefiel dieses Gefühl, von den Fans gefeiert zu werden so gut, dass er sich schon auf den Abend freute, wenn er wieder im Bett liegen und sich seinen Traum als erfüllt vorstellen würde.
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