Nach dem Essen fuhr er noch einmal los, um eine neue Kaffeekanne zu besorgen. Als er auf dem Rückweg in die Gontermann einbog, stand auf der Straße weiter vorn ein kleiner Pulk Menschen um einen Umzugswagen. Einige der Männer trugen gelbe Westen mit der Aufschrift eines Möbelpackerdienstes. Einer von der Hausverwaltung hatte eine rote Weste über seinen schlecht sitzenden Anzug gezogen und versuchte, den anderen Anweisungen zu geben. Soweit Charlie das aus der Ferne beurteilen konnte, hörte keiner auf den Mann, was dem Idioten gar nicht schmeckte. Um dessen Unbill noch zu vergrößern, schob Charlie eine Kassette in den altmodischen Player seines Kadetts. Wieder Motörhead. Brüllend laut. Diesmal Ace of Spades.
Frings fiepte und sprang nach vorn auf den Beifahrersitz, um dem tosenden Lärm aus den Lautsprechern hinter der Rückbank zu entgehen. Charlie lachte aus vollem Hals, kurbelte die Scheibe runter und grölte, If you like to gamble, you know that I’m your man, you win some, you lose some, it’s all the same to me. Dabei klopfte er den Takt außen auf die Tür seiner Biene. Wie erwartet fror dem Hausverwalter das Lächeln ins Gesicht. I don’t share your greed, the only card I need is the Ace of Spades, the Ace of Spades!
Erst als im Schatten des riesigen Umzugswagens der grüne Jaguar in Sicht kam, verebbte Charlies Freude. Daneben stand die Blonde, auf dem Arm das weiße Hündchen. Ihre Miene zeigte keinerlei Regung.
Hektisch kurbelte Charlie sein Fenster hoch. Es verhakte sich auf halber Strecke und blieb schief in der Führungsschiene hängen. That’s the way I like it Baby, I don’t want to live forever…. Die Musik! Mit aller Kraft presste er einen Daumen auf Eject. Von der plötzlichen Stille wurde er fast ohnmächtig. Frings begann ein infernalisches Gebell, das für seine übliche Stimmlage viel zu hoch war. Draußen fand der Typ in Rot den Mut, sich bebend vor Zorn dem Wagen zu nähern. Im Rückspiegel sah Charlie, wie die Blonde im Eingang der Zweiundfünfzig verschwand.
But don’t forget the joker! Frings hatte sich beruhigt, atmete aber noch stoßweise. Kurz bevor Rotwestchen den Kadett erreichte, fuhr Charlie im Schritttempo los. Gerade etwas zu schnell für seinen Verfolger. Der Depp begann tatsächlich zu rennen! Charlie wieherte hysterisch und wischte sich mit der flachen Hand übers Gesicht. Kurz bevor er vorn an der Ecke zum Werner-Voß-Damm aus dem Blickfeld der Gontermann verschwand, hupte er noch dreimal.
Zurück blieb ein Gefühl, das er aus Kindertagen kannte. Er hatte mit ein paar Jungs aus dem oberen Wedding Fußball gespielt und dabei die Scheibe eines Nachbarn mit zertrümmert. Es war zwar lustig zu sehen, wie die Katze hinter der Scheibe, sich und einen danebenstehenden Blumentopf vor dem Geschoss in Sicherheit brachte, aber das anschließende Gespräch mit seiner Mutter, hätte er sich lieber erspart. Und es kam schlimmer als gedacht. Hatte doch Mutter damals tatsächlich seinen Alten angerufen!
ZWEI
So I turned myself to face me
But I've never caught a glimpse.
Bowie, Changes, 1971
Dabei begann der Tag so verheißungsvoll.
Sie liegen im Bett und die Sonne erhellt ihr Gesicht bis knapp unter die Augen. Sein Herz setzt für eine Millisekunde aus. In dem sinnlosen Versuch, in ihr zu versinken, presst er seinen Körper in ihre Wärme.
»Wenn du so weitermachst, kannst du das Spiel vergessen!«, lacht sie mit einer vom Schlaf noch ganz zerknautschten Stimme.
Es wäre tatsächlich besser, sich zu beherrschen. Aber da sie hat sich bereits zu ihm umgedreht.
Für die kurze Strecke bis zu seiner Bleibe machte Charlie sich nicht die Mühe, die verrutschte Autoscheibe wieder in Position zu bringen. Stattdessen öffnete er auch das Fenster auf Frings Seite, damit der Hund seinen Kopf hinausstrecken konnte. Ganz langsam fuhren sie auf das menschenleere Areal.
Hinten stand schon Bogdan, ein vierschrötiger Rumäne, vor seiner Kfz-Werkstatt und hob die ständig ölverschmierte Pranke zum Gruß. Der Riese restaurierte alte Mini Cooper. Wie er es schaffte, an so kleinen Schrauben herumzufingern, ohne sie zu zerstören, war sein besonderes Geheimnis. Wie sein unwesentlich älterer Bruder Valentin einen Wagenverleih für Luxuskarossen am Flughafen unterhalten konnte, konnte sich auch niemand erklären.
Neben seiner massigen Gestalt stand ein Kasten Bier, auf dem wiederum Sarotti Platz genommen hatte. Er schaute in eine andere Richtung, auffällig, aber Charlie war trotzdem erleichtert.
Auf einer Bank unter dem Carport warteten Bobby und Tomàs Ortega. Bobby war wahrscheinlich der einzige Mensch, auf dessen Kopf eine Fedora nicht total beknackt aussah. Es musste an seiner Hautfarbe liegen, denn im Gegensatz zu Sarotti war Bobby wirklich schwarz.
Trotzdem redete er perfektes Norddeutsch. Bobby war in Hamburg aufgewachsen, was auch das schwarze Hoodie mit dem weißen Totenkopf über seiner dunklen Anzugshose erklärte. Wooo, Superfly… und St. Pauli Fan.
Tomàs Ortega daneben erinnerte Charlie an Antonio Banderas in Desperado. Allerdings war der Krankenpfleger kein Mexikaner, sondern Argentinier. Er spielte auch nicht Gitarre, überhaupt hasste er den Vergleich mit Banderas, weshalb er sich seit einiger Zeit einen dichten, schwarzen Bart wachsen ließ. Er frisierte ihn ebenso pfleglich wie seine schulterlangen, zu einem Zopf gekämmten Haare. Tomàs tanzte in seiner Freizeit Tango. Ziemlich gut, wie es hieß.
Von Lucci fehlte noch jede Spur. Der Italiener kam wahrscheinlich erst zum Top-Spiel.
Frings kläffte den Männern entgegen. Dabei schlug er seinen Schwanz munter in Charlies Gesicht.
Charlie krähte ausgelassen, parkte und stieg aus.
»Ausbutzer, alles prächtig?« Bogdan klatschte ihn ab, wofür Charlie mächtig dankbar war, denn Bogdans Händedruck ließ die Knochen eines jeden im Geiste trümmerbrechen. »Hab gehört, du hast Nazischwein umgehauen!?« Dabei lachte Bogdan so singend wie er Deutsch sprach.
»Hab ihn bloß abgewehrt«, zwinkerte Charlie.
»Hey Fußball-Star!«, fädelte sich Ortega in den Begrüßungsreigen ein. Er sah müde aus, hätte drei Tage Nachtschicht hinter sich, sagte er.
Während sich Sarotti weiterhin an seiner augenfälligen Absonderung labte, zog Bobby sich breit grinsend weiße Stöpsel aus den Ohren und reichte Charlie die sehnige Hand. »Schon alles aufgebaut, das nenn ich Einsatz!«
»Fehlen noch Leinwand und Beamer.« Charlie entriegelte das schwere Metalltor. Ortega und Bogdan folgten ihm.
»Aufgeräumt«, stellte Bogdan anerkennend fest und bleckte beim Grinsen die Lücke zwischen seinen im Verhältnis zu seinem Löwenkopf winzigen Schneidezähnen. »Erwartest du Damenbesuch?«
Ortega schüttelte amüsiert den Kopf. »Der Fußballstar und Damenbesuch? Der lässt sich lieber einladen, dann kommt er nach der Nummer schneller nach Hause!«
Die Männer lachten dreckig.
»Was ist heute mit langem Mann? Hat er nichts gesprochen, seit er hier ist!« Bogdan hatte sich bereits den Beamer unter einen Arm geklemmt, man konnte das Ding kaum noch sehen.
Charlie zuckte die Schultern. »Vielleicht verknallt oder so. Hatte letztens so ne Kleine bei sich.«
Ortega nickte. »Hat er mir von erzählt. Du sollst nicht besonders nett zu ihr gewesen sein?«
Читать дальше