Schon wieder suche ich einen blöden Parkplatz. Ich seufze laut auf, wie in der Firma im Büro vor meinem Computer, wenn die Kollegen mich nerven. Es tut gut, aber ändert gar nichts an meiner heutigen Stimmung. Das passt doch wieder alles zusammen. Ich finde keinen Parkplatz für meine Karre, das Wetter ist total übel. Strömender Regen in dunkel grau gefärbter Umwelt. Wie soll es im Winter auch anders sein? Kein Wunder, dass viele Leute sich in Nordskandinavien umbringen oder dem Alkohol hingeben. Ständige Dunkelheit hält doch kein Mensch aus. Ich auch nicht. Heute ist so ein Tag, an dem ich am liebsten im Bett bleiben, Streuselschnecken essen und Milch trinken würde. Ja, das würde ich jetzt zu gerne machen, gemütlich im Bett liegen.
Noch immer kurve ich in sämtlichen Nebengassen herum, um einen Parkplatz zu ergattern. Und wie wird das enden? Finde ich am anderen Ende der Stadt schließlich eine winzige Lücke und fahre mit der Bahn zu ihr? Ich glaube kaum und dann noch bei diesem Regen. Gleich stelle ich mein Auto hier mitten auf der Kreuzung ab. Oh, hier ist einer! Nur vier Straßen von ihrer Praxis entfernt. Wenigstens habe ich einen Schirm dabei. Vorsichtig fahre ich die Bordsteinkante hoch, steige aus dem Auto und haue die Tür mit ordentlichem Karacho zu. So viel Zeit bis zum Termin bleibt mir nicht mehr.
Ich hetze über die Straße mit meinem mickrigen, kaputten, kleinen Schirm. Ob ich den nun hochhalte oder nicht, der Regen kommt von allen Seiten und der Schirm ist ja wohl der letzte Husten. Verdammt, die Pfütze hätte ich mal vorher sehen sollen, bevor ich wie ein Depp reingepatscht bin! Schön gemacht, Lieschen! Ich habe keine Lust. Und gerade heute muss ich nach der Stunde wieder ins Büro zurück. Dort geht der Wahnsinn dann weiter.
Die Straßen sind menschenleer. Ich bin die einzige, die unterwegs zu sein scheint. Ist ja typisch! Dabei mochte ich als Kind Regenwetter sehr gerne. Ich holte meine Gummistiefel raus, meinen durchsichtigen Kinderschirm und beobachtete dann die Regentropfen, wie sie in die Pfützen fielen oder von den Blättern abperlten. Das sah klasse aus. Aber da war es auch nicht so kalt wie heute. Doch es heißt ja nicht umsonst: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur unpassende Kleidung. Und heutzutage sind wir ja auch alle zu verpimpert, anstatt uns wettergerecht anzuziehen. Ich bin keine Ausnahme, gehe ja auch nur von der Haustür ins Auto, vom Auto ins Büro und zurück. Meine Jeans war vom Regen durchnässt. Schönes Gefühl auf der Haut, schön ekelig.
Total nass stehe ich bei Frau Hirte an der Tür. Ich klappe den Rest vom kaputten Regenschirm zusammen und mache wieder Ding-Dong an der Tür. Den Schirm könnte ich gleich so wie er war in die nächste Tonne schmeißen, doch wahrscheinlich brauche ich die Krücke noch für meine Rücktour zum Auto. Na ja, er tut ja auch nur seine Dienste. Ich werde ihn also nicht wegschmeißen. Eigentlich ist es auch schlimm, ihn wegzuwerfen, nur weil er nicht mehr so gut aussieht und ein bisschen kaputt ist. Eine Wegwerfgesellschaft wie die unsere, achtet überhaupt nichts mehr. Schlimm! Ich beschließe den Schirm zu behalten und zwar in Ehren. Mein Gott, jetzt habe ich schon Mitgefühle für Regenschirme. Wo soll das noch hinführen?
Frau Hirte wartet wieder an der Tür. Sie sieht mich von oben bis unten an. Ich sehe aus wie ein begossener Pudel. Selbst meine Haare kräuseln sich von der Feuchtigkeit. Das hasse ich mindestens genauso, wie Regen, der mir direkt ins Gesicht prasselte. Meine Hände sind pitschnass. Ich weiß gar nicht, wo ich sie an mir abtrocknen soll. Es ist alles feucht. Ich knöpfe meine Winterjacke auf, wische meine rechte Hand schließlich an meinem Pullover ab und gebe sie ihr.
»Ach, Frau Schön, Sie sind ja richtig nass geworden. Kommen Sie rein, das ist ja wirklich ein Wetter heute!«
Ich nicke, seufze nur und denke, schön ist was anderes. An der Garderobe lege ich mein nasses Häufchen Jacke ab. Sie trieft und tropft. Den Schirm packe ich leicht zusammengefaltet auf den Teppichboden, der farblich zu den heutigen grauen Wetterverhältnissen passt. Frau Hirte brachte mir ein Handtuch.
»Danke«, sage ich überrascht. Am liebsten würde ich mir gleich trockene Klamotten anziehen.
»Kommen Sie dann bitte ins Zimmer, sobald Sie fertig sind.«
Ach ja, ich war ja nicht nur hergekommen, um mich abzutrocknen! Und ich darf nicht vergessen, vorher mein Handy auszuschalten. Nicht, dass noch einer aus dem Büro anruft und fragt, wo ich bleibe. Mit meiner nassen Tasche gehe ich in ihr Zimmer. Sie nimmt bereits die Sitzstellung in ihrem Korbsessel ein. Mir fällt auf, dass sie die gleiche dunkelrote Tunika wie vorgestern trägt. Sie steht ihr sehr gut, sieht sehr modisch und attraktiv aus. Aber ich würde nie das gleiche vom Vortag anziehen und schon gar nicht das von vor zwei Tagen. Was ich einmal getragen habe, werfe ich, bis auf Hosen, sofort in die Waschmaschine, egal ob es noch sauber ist oder nicht. Das mache ich grundsätzlich so. Warum eigentlich? Frau Hirte bringt mit ihrem Oberteil auf jeden Fall einen Farbtupfer in diesen Raum. Mut zur Farbe finde ich gut! Ich renne eher rum wie eine graue Maus, schön unscheinbar.
Auf ihrem Schoß liegt der Schreibblock und in der rechten Hand hält sie den Stift bereit. Ja, sie ist bereit. Und ich, ich bin nass. Auf dem runden Tischchen neben ihr steht eine Box mit Taschentüchern. Für die Tränenvergießer unter uns. Ich gehöre hoffentlich nicht dazu.
Meine Tasche stelle ich wie beim letzten Mal am Kopfende der Couch ab und lege mich hin. Meine Haare streiche ich ein wenig zur Seite. Ich atme tief durch, bis in den Bauch hinunter. Er wölbt sich gleich nach oben. Hallo, Kumpel, sage ich innerlich zu ihm. Da sind wir beide wieder: Mein Kopf mit seinen tausend Gedanken und du, der Ruhige. Und was ist dazwischen? Mein großes pumpendes Herz, das ich seit dem Visionsseminar wieder stark spüre und fühle.
Mein Bauch knurrt wie verrückt, er rumort regelrecht. Was ist denn? Ich lege sofort meine Hände darauf, um ihn zum Schweigen zu bringen. Seine Geräusche sind mir peinlich.
»Na, was sagt er Ihnen?«, fragt Frau Hirte.
»Ich glaube, er will von mir beachtet werden«, sagte ich ohne nachzudenken. Ich nehme ihn sehr selten wahr und schenke ihm kaum Beachtung, außer wenn ich wie so oft denke, dass er zu dick ist und mir dann im gleichen Moment eine Diät vornehme. Aber das ist nicht sehr liebevoll. Elisa Schön hat einen ganz schönen Bauch. Ich muss über meine zweideutigen Gedanken schmunzeln.
Habe ich, A: einen schönen Bauch, weil er schön ist, wie er ist, oder habe ich B: einen Bauch, der schön dick ist? Bitte ankreuzen: A oder B?
Was nun schon wieder alles in meinem schönen Köpfchen vorgeht. Jetzt konzentriere dich doch mal, Lieschen! Frau Hirte wartet und will was hören. Hm, was soll ich denn erzählen? Schon wieder die gleiche Stresssituation wie in der letzten Stunde.
Ich kam mir vor wie Bill Murray im Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Aber vielleicht stellt sie mir gleich wieder ein paar Fragen, dann flutscht es ein bisschen besser. Zum Thema Bauch könnten wir doch heute sprechen!
Ein Hungergefühl macht sich breit. Im Büro dachte ich nicht daran, noch etwas zu essen und jetzt knurrt er, der Kleine. Nachher gibt es etwas Leckeres, sage ich zu ihm im Stillen. Diese Stunde müssen wir leider noch durchhalten. Doch danach kannst du haben, was du möchtest. Er beruhigte sich wieder. Kein Knurren mehr.
Redete ich wirklich die ganze Zeit mit meinem Bauch? Wer ist denn da drin? Ach, du meine Güte! Mir fällt es wie Schuppen aus den Haaren: Die Kleine Lieschen sitzt noch immer da drin. Die Kleine Lieschen von früher, die seit Jahren versteckt in einem Holzschuppen lebt.
Was passiert denn mit mir? Ich glaube, ich hatte sie, als ich selbst noch klein war, da hinein gesteckt und gesagt, sie solle dort bleiben und nicht mehr heraus kommen, weil mich sonst keiner mehr mag. Ich hatte sie verbannt. Doch warum? Hatte ich sie weggeschickt, weil ich dachte, dass ich sonst nicht mehr von meinen Eltern geliebt werde? Sie war auf jeden Fall ganz schön rebellisch. Das hat meinen Eltern möglicherweise Angst gemacht. Sie hatten Angst, sie nicht bändigen zu können. Sie wollten mich mit ihr wegschicken, wenn ich sie nicht unter Kontrolle bekäme. Ins Heim schicken. Sie sagten oft zu mir als Kind, dass sie mich ins Heim bringen, wenn ich nicht artig bin. Davor hatte ich solche Angst, dass ich sie selbst verbannt habe. Zum Schutz. Ich habe sie damit schützen wollen und mich auch.
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