>Pia...< er wirft mir einen verzweifelten Blick aus seinen braunen Augen zu. Seine freie Hand ballt sich zur Faust.
>Du kennst meine Bedenken in dieser Sache...Das ist nicht leicht für mich.<
Ich schnaube verärgert. Noch während ich an einer schlagkräftigen Antwort feile ergreift er erneut das Wort und entspannt seine geballte Faust. Er sucht den Weg zu meinen Händen, die gegenwärtig das Glas umfassen, doch ich weiche zurück vor ihm.
>Ich weiß, was du auf dich genommen hast für eine gemeinsame Zukunft. Der Umzug, der Jobwechsel, das alles war viel für dich...Aber ich brauche noch Zeit. Ich habe Angst davor meine Freiheit hier aufzugeben und wieder im Alltag zu versumpfen. <
Genervt verdrehe ich die Augen bei seinen Worten und mir entfährt ein leises Stöhnen. Was ist nur aus dem sensiblen Mann geworden, der in – gefühlt – tausenden von E-Mails und stundenlangen Gesprächen am Telefon so viel Seele zeigen konnte. Mir ist, als spreche ich mit einem anderen Menschen! Das hier ist nicht der Sebastian, der mich noch vor drei Jahren durch feinfühlige und humorvolle Gespräche langsam aus meinem Schneckenhaus gezogen hat und mich schließlich alle Vorurteile über Bord werfen ließ – nur um für immer bei ihm zu bleiben. Es ist, als fehlt ihm für das wahre Leben da draußen der entscheidende Funke, der den Scheiterhaufen seiner tollen Ideen und Träume mit mir entzünden kann. Auf dieses Leuchtfeuer warte ich jetzt seit einem halben Jahr. Und ich weiß mir ehrlich gesagt keinen anderen Rat mehr als verzweifelt das Weite zu suchen. Sonst fürchte ich, selber wieder in meinem persönlichen Schneckenhaus zu enden. Ich fühle jeden Tag ein bisschen mehr, dass ich ein anderes Leben brauche.
>Sebastian...< ich ringe um passende Worte. >Zu v iel war dieser Umzug schon lange nicht mehr für mich. Ich wäre auch auf einen fremden Kontinent für dich gezogen. Das weißt du< ich verleihe meiner Stimme mehr Nachdruck und fixiere ihn mit einem stechenden Blick. Graugrüne Augen starren in braune Augen.
>Nur wohne ich jetzt nicht mehr zu Hause. Ich hause in einem Zimmer neben Mitbewohnern, die mir emotional nichts bedeuten – auch wenn sie nett sind. Ich sehne mich nach einem echten Zuhause. Mittlerweile bin ich sogar soweit, dass ich mir wieder eine eigene Wohnung suchen würde nur um endlich wieder meine Privatsphäre zurück zu bekommen. Nur was dann? Dann wohne ich wieder einmal nur wenige Kilometer von dir getrennt, habe dann bereits zwei in meinen Augen sinnfreie Umzüge hinter mich gebracht und bin immer noch keinen Schritt weiter. Bastian, ich will eine Zukunft ! Verdammt< ich muss meine Stimme zügeln obwohl in mir die Wut hochkocht. Er senkt getroffen den Blick vor mir. Doch ich komme jetzt endlich in Fahrt. Nach und nach brechen die Dämme ein und mein lang zurück gehaltener Frust bahnt sich seinen Weg aus mir.
>Wir sehen uns mehrfach die Woche. Super! Hast du denn kein Gespür dafür, wie es sich anfühlt nach einem schönen DVD Abend auf der Couch meine paar Habseligkeiten zusammen zu packen und gehen zu müssen ? < ich trinke einen Schluck. Meine Kehle ist plötzlich staubtrocken.
> Du bist ja dann zu Hause. Aber ich habe mir die WG nur als Kompromiss ausgesucht damit ich für die vermeidliche Übergangszeit keinen ganzen Hausstand zusammensuchen muss! Du nimmst mich mit auf Ausflüge. Cabriolet fahren. Ganz große Klasse!< ich atme tief ein. >Anstatt, wie vermutlich die ganzen anderen Paare in meinem Umfeld, eine gemeinsame Wohnung zu zahlen und sich die Kosten zu teilen damit wir beide etwas davon haben....< und wieder aus. >Pustekuchen! Wir zahlen gerade doppelt. Und wenn der Herr dann seinen schönen Lebensstandard vorführen konnte gehe ich wie so oft...genau! In mein WG Zimmer zurück. <
Jetzt bin ich wirklich in Rage. Mein Puls erhöht sich derart, bis ich meine, jeden einzelnen Herzschlag in meinem Hals zu spüren. Sebastian bricht das angespannte Schweigen als Erster.
>Pia. Davon war vor deinem Umzug hierher nicht die Rede. Das weißt du selber ganz genau! Und jetzt willst du mich seit deinem Umzug permanent in diese Rolle zwängen, zu der ich noch nicht hundertprozentig Ja sagen kann. Ich habe meine Gründe. Das weißt du ebenfalls. Du kannst mich nicht erpressen indem du mir mit der Trennung drohst. <
>Ich habe mich bereits von dir getrennt. Gestern. Falls du das schon vergessen hast< mein Puls rast und meine Stimme erklimmt die nächste Oktave der Leiter.
>Ich glaube langsam wirklich, dass du mich nur immer weiter hinhalten wirst mit deiner Leier nach mehr Zeit. Weißt du was du bist. Du enttäuschst mich maßlos. Aber so zeigst du mir wenigstens einmal dein wahres Gesicht. Bloß scheiße für mich, dass ich dafür erst in deine gottverdammte Provinzstadt ziehen musste< nach diesen Worten stemme ich energisch meine Hände gegen das Holz und schiebe den Tisch einige Zentimeter näher an seinen Bauch. Er ergreift reflexartig die Platte und verhindert im letzten Moment, dass ich ihm den Tisch an den Bauch drücke. Zornschnaubend richte ich mich zu meiner vollen Größe vor ihm auf.
>Ich denke ich suche besser meine Sachen zusammen und gehe dann mal.<
Sebastian nickt knapp, bleibt aber sitzen. >Du weißt ja, wo alles liegt.<
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen gehe ich zielstrebig in sein Bad und krame fahrig meine Kosmetika und meine Zahnputzutensilien in den Kulturbeutel, der tatsächlich immer noch in der untersten Schublade seines Badezimmerschrankes liegt, wo ich ihn vor sechs Monaten zunächst liegengelassen und später vergessen hatte.
Das ist doch typisch Mann! Ich schnaube wütend. Erst von einer gemeinsamen Zukunft schwärmen und sich insgeheim doch nur darüber freuen, dass man sich nach Gusto auch täglich sehen kann.
Ich blicke mich in dem geschmackvoll eingerichteten Bad um und denke an die vielen schönen Stunden unter der Dusche zusammen, seit ich Sebastian damals, vor drei Jahren, zum ersten Mal besucht hatte. Mir wird flau im Magen und ich verdränge die Erinnerungen. Sie bringen mich jetzt nicht mehr weiter. Die Entscheidung ist gefallen. Jetzt zu kapitulieren bedeutet doch nur, seine Bedingungen des Vertrages zu unterzeichnen. Dass mich das nicht glücklich machen kann auf Dauer – nun – dann würde ich jetzt nicht hier stehen und nach meinen letzten persönlichen Gegenständen suchen.
Im Bad habe ich alle Rückstände von mir entfernt und drücke entschlossen die nächste Türe, im Flur gegenüber, auf. Er hat das Bett frisch bezogen. Ich kenne die weich-flauschige Feinbiber Bettwäsche genau. Ich ignoriere das Brennen hinter meinen Augen und atme tief durch. Danach werfe ich nacheinander je einen kurzen Blick in alle Ecken und Schubladen des Schlafzimmers, wo ich noch persönliche Dinge von mir vermute. Doch außer einem alten Haargummi unter dem Bett tauchen keine weiteren Besitztümer auf. Es wird Zeit zu gehen. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und stelle erstaunt fest, dass es erst kurz vor sechs Uhr ist. Unser Schlagabtausch nahm weniger Zeit in Anspruch als ich gedacht hätte.
Ich halte mein kleines Bündel fest mit beiden Händen an den Bauch gedrückt, als ich mich zum Gehen wende. Sebastian steht im Türrahmen und beobachtet mich unverwandt. Ich stoppe in meiner Bewegung und verkrampfe die Hände um den Kulturbeutel.
>Hast du alles gefunden?< sein Tonfall ist neutral und ich nicke nur steif in seine Richtung, vermeide aber jeden weiteren Blickkontakt mit ihm. Lange werde ich meine selbstbewusste Fassade nicht mehr aufrecht halten können. Ich beeile mich dabei, diesen Raum voller Erinnerungen und den Mann im Türrahmen hinter mir zu lassen und verlasse ohne einen speziellen Gruß sein Haus.
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