Marie Louise Fischer - Da wir uns lieben

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Arnold Miller lebt zusammen mit seiner Frau Sabine in einem gemütlichen Haus in einer bayerischen Kleinstadt. Drei der vier Kinder sind mittlerweile aus dem Gröbsten heraus, und langsam kann Sabine anfangen, wieder ihr eigenes Leben zu leben. Doch eines Tages gerät ihr Leben aus den Fugen. Arnold wird an der Grenze verhaftet. Was konnte den zuverlässigen Buchhalter und treuen Ehemann veranlassen, den Pfad der Tugend zu verlassen? Denn irgendeinen Grund muss es hierfür doch geben. Hat er eine Geliebte? Handelt es sich um Erpressung? Jetzt kommt die Stunde von Sabine und der ganzen Familie, die diese schwierige Situation meistern müssen.-

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Marie Louise Fischer

Da wir uns lieben

Roman

SAGA Egmont

Da wir uns lieben

Da wir uns lieben

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)

Originally published 1972 by Herrnberger Verlag, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711718445

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Der Schatten des Hauses wuchs in den Garten hinein, aber noch stand Sabine Miller im heißen Licht der gleißenden Augustsonne. Angetan mit weißen Jeans und einer langärmeligen blauen Leinenbluse, die sie vor den Dornen schützen sollte, war sie dabei, ihre Rosen zu pflegen. Über den Arm gehängt trug sie einen strohgeflochtenen Korb, in dem sich die weißen, roten und gelben Blüten häuften. Jetzt war sie bei ihren Lieblingen, den hochstämmigen Parkrosen, angelangt, die ein kleines Rondell am Ende des Rasens bildeten.

Mit Freude betrachtete sie die eben erst eröffnete Knospe einer Gloria Dei, den schmalen roten Rand um das sanfte Gelb des Innenblattes, kämpfte mit sich, ob sie eine andere, schon voll erblühte Rose abschneiden oder ihr noch einen Tag geben sollte, entschied sich dann aber doch für den Schnitt, der den jungen Blüten zugute kommen würde.

Sie ging weiter zu einem lachsroten Exemplar, zupfte behutsam zwei harte, verkrumpelte Außenblätter ab, runzelte die Stirn, als sie an einer noch winzigen Knospe Blattläuse entdeckte, und bestäubte das Ungeziefer. Sabine lächelte, als sie sich einen Kriegsrat der Blattläuse vorstellte, bei dem die Tierchen gegen die Menschen, insbesondere gegen Gärtner und gärtnernde Hausfrau, wetterten.

Sie wirkte sehr jung in diesem Augenblick, so jung, daß ihr niemand ihre vier Kinder und ihre neununddreißig Jahre angesehen hätte. Das glatte blonde Haar, dessen Tönung sie mit einem Aufheller nachzuhelfen pflegte, fiel ihr in die gebräunte Stirn, und ihre Lippen waren voll und rot. Ihre Figur war zwar nicht mehr mädchenhaft, aber immer noch schlank genug, um attraktiv zu sein. Ihre Bewegungen waren anmutig und sicher. Ohne sich dessen bewußt zu sein, summte sie vor sich hin. Sie genoß diese stillen Stunden im Garten, die für sie immer noch nicht alltäglich, sondern wie ein kleines Wunder waren. Erst vor knapp drei Jahren war sie mit ihrer Familie in das Eigenheim am Stadtrand übergesiedelt. Vorher hatten Millers im Zentrum der Kleinstadt gelebt; dort hatte Sabine sich nicht einmal einen Blumenkasten halten können. Aber wo hätte sie damals auch die Zeit hernehmen sollen, sich um einen Garten zu kümmern? Sie hatte schuften und scharren müssen, um ihren Mann und die Kinder anständig zu versorgen und zu kleiden. Erst jetzt, da die drei Großen sie kaum noch belasteten, durfte sie aufatmen. Das jedenfalls versuchte sie sich einzureden, um so den feinen, aber ständigen Schmerz, den ihr das Entwachsen der Kinder verursachte, zu überspielen.

Während Sabine einen Trieb am Stamm der Parkrose entfernte, dachte sie an Torsten, ihren Ältesten – es verging kein Tag, ja, keine Stunde, ohne daß sich ihre Gedanken mit ihm beschäftigten. Mit zwanzig Jahren hatte Torsten seine Familie und die Kleinstadt verlassen und war in jenen Stadtteil Münchens gezogen, der auf junge Leute seines Alters und seiner Art immer noch genug Faszination ausübte: Schwabing. Künstler nannte er sich. Sabine konnte sich nicht vorstellen, wovon er lebte; solange er in Riesberg war, hatte er nie eine von seinen verrückten Klecksereien verkaufen können. Sabine hatten sie zwar gefallen, aber sie wußte, daß ihr Urteil nicht objektiv war; sie schätzte alles, was ihre Kinder taten. Möglich, daß man in München Verständnis für Torstens Kunst hatte – aber gerade in dieser Stadt gab es bestimmt begabte junge Menschen wie Sand am Meer.

Gedankenverloren knipste Sabine einen abgeknickten Rosenzweig ab. Immer wieder versuchte sie, mit Vemunftgründen gegen ihre mütterliche Sehnsucht anzugehen. Es war friedlicher zu Hause geworden, seit Torsten fort war; der dauernde Streit zwischen Vater und Sohn hatte ein Ende genommen. Der Junge war alt genug, um sich allein durchs Leben zu schlagen, ja, vielleicht tat es ihm sogar ganz gut, nicht mehr behütet, beschützt und bevormundet zu werden. Aber das änderte nichts daran, daß er ihr fehlte. Liebend gern hätte sie in München einmal nach dem Rechten gesehen. Aber ihr Mann war dagegen, und hinter seinem Rücken mochte sie nichts unternehmen. Sie hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen, weil sie Torsten finanziell unterstützte. Sie wußte, daß sie sich das eigentlich gar nicht leisten konnte; schließlich mußte die ganze Familie sparen, um die Hypothekenzinsen aufzubringen, am Haus waren immer wieder Reparaturen fällig, und ihr geliebter Garten verschlang ebenfalls genug Geld. Es war ungerecht, daß sie die anderen mit Suppen verköstigte, abgestoßene Hemdkragen wendete und Bettlaken flickte, nur um Geld für Torsten zu erübrigen. Aber konnte sie ihn denn einfach verhungern lassen?

Der Schatten hatte jetzt die Parkrosen erreicht. Sabine nahm die Sonnenbrille ab. Ihre Augen waren sehr blau, von einem Kranz winziger Fältchen umgeben. »Sven!« rief sie. »Sven!« Der magere Junge, der sich hinter den abgeernteten Johannisbeerbüschen zusammengerollt hatte, rührte sich nicht. Als die Mutter noch einmal rief, drückte er sich sogar mit den Zeigefingern die Ohren zu, um sich ungestört weiter in sein Schmökerheftchen vertiefen zu können.

Das Fenster unter dem spitzen Giebel des Hauses wurde geöffnet, und Knut steckte den Kopf heraus. »He, Bienchen, was ist?« rief er liebevoll-respektlos zu seiner Mutter hinunter. »Brauchst du Hilfe?«

»O ja, bitte!« Sabine wurde es bewußt, daß die Nachbarn bei dieser Lautstärke jedes Wort mithören konnten. Sie dämpfte ihre Stimme, weil sie sich daran erinnerte, wie sehr sie sich selbst über unnötigen Krach in dieser hellhörigen Wohngegend zu ärgern pflegte. »Würdest du, bitte, den Rasensprenger hierher …«

»Ich kann dich nicht verstehen«, schrie Knut unbekümmert zurück. »Aber ich komme runter!« Wenig später betrat er von der kleinen Loggia her den Garten, der Mutter sehr ähnlich, blauäugig und blond, kaum größer als sie und so muskulös, daß er untersetzt wirkte.

»Stellst du mir, bitte, den Rasensprenger auf?« bat Sabine.

»Na, dann wollen wir mal nicht so sein«, erklärte Knut gönnerhaft, »obwohl ich eigentlich nicht einsehe, wieso Sven sich vor jeder Arbeit drücken darf. Als ich in seinem Alter war …«

»… hatten wir noch kein Haus und keinen Garten«, fiel seine Mutter ihm ins Wort und lächelte ihm beschwichtigend zu. »Sei friedlich, Knut. Schließlich hat Sven Ferien!«

»Ich etwa nicht?«

»Doch. Aber du bist ein großer Junge, der schon begriffen hat, daß man nicht immer nur das tun kann, wozu man Lust hat.«

Knut grinste. »Das war anscheinend ein Fehler von mir.« Er begann den Schlauch aufzurollen.

Sabine klopfte sich mit dem Bügel ihrer Sonnenbrille gegen die Zähne. »Vielleicht hast du sogar recht. Je mehr man kann und je mehr man tut, desto mehr wird einem aufgebürdet.«

»Und so kommt es, daß ich in meinen Semesterferien nicht nur an der Klinik praktizieren, sondern auch Rasensprenger aufstellen muß«, ergänzte Knut mit Grabesstimme.

Sabine machte ihn nicht darauf aufmerksam, daß er sich selbst erboten hatte, ihr zu helfen. Sie kannte seine Art schon. Er genoß es ebenso, gebeten zu werden, wie sie zu beklagen. »Wenn ich wüßte, wo Sven steckt, hätte ich ihn schon rangekriegt«, sagte sie nur.

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