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Da war doch was. Hardy hatte ein Geräusch im Maisfeld gehört. Konnte es das Rascheln eines Tieres sein? Es klang eher wie eine Stimme. Er wagte es nicht, zu atmen. Starrte auf die Pflanzen. Ihre Spitzen bewegten sich rhythmisch im Wind. Scheiße, dachte er. Dieses Maisfeld war das ideale Versteck. Bis zur Ernte konnte hier gut und gerne eine ganze Bande unbehelligt wohnen. Ihm fuhr ein Schauder über den Rücken. Da fiel ihm auf, dass er immer noch halb nackt auf dem Weg hockte.
»Ummi!« Langsam drehte er sich um. Die harten Sohlen seiner Fahrradschuhe knirschten im Sand. Ein leichter Windzug ließ den Mais rascheln. Seine Aufmerksamkeit galt nicht mehr seinem Magen. Seine Augen suchten das Maisfeld auf der einen, dann das Buschwerk auf der anderen Seite des Weges ab. Halluzinierte er? Ihm war, als hätte er schon wieder ein Geräusch gehört. Da war etwas, das hier nicht hinpasste. Er hätte es nicht einmal beschreiben können. War es ein Tier, das solche Laute von sich gab? Ihn beschlich das Gefühl, beobachtet zu werden.
Er hatte es jetzt eilig seinen Platz auf dem staubigen Feldweg zu verlassen. Können vor Eile. Wo waren die verdammten Taschentücher? Er musste sie bei seinem Ausrutscher verloren haben. Da entdeckte er sie. Im Kraut am Wegrand schimmerte die Packung blau in der erbarmungslosen Sonne. Die hatte ihren Höchststand erreicht. Hastig robbte er mit der Radlerhose über den Knöcheln, reinigte sich, wusch seine Hände mit dem Wasser aus seiner Trinkflasche. So viel Zeit musste sein. Sein Blick wanderte noch einmal über die Pflanzen der Umgebung. Seine harten Kunststoffsohlen knarzten auf dem sandigen Boden, der mit Steinen durchsetzt war. Sie quietschten. Unvermittelt starrte er aufs Maisfeld. Ein Lichtreflex, ein Funkeln, irgendetwas, dass sein Verstand dort nicht einsortieren konnte, hatte ihn stocken lassen. Nichts wie weg, dachte er. Da hörte er wieder dieses undefinierbare Geräusch. Trotz der flimmernden Hitze auf dem Feldweg stellten sich die Haare seiner Unterarme auf. Ihn überkam ein Frösteln. Dieses Mal, erschien ihm das Geräusch näher. Als ob sich ihm jemand durch das Feld näherte. Weiter von der Landstraße entfernt und weiter von dem Funkeln, an dem seine Augen im Maisfeld hängen geblieben waren.
Er hielt den Atem an, starrte in das Meer aus grünen Pflanzen. Stille. Ihm war übel. Seinen Puls spürte er bis in den Kopf. Das Schlagen seines Herzens ging einher mit einem unangenehmen Ziehen in den Schläfen. Es mussten die Hitze und die körperliche Anstrengung und der gestrige Abend sein. Diese Mischung war zu viel für ihn.
Er musste einsehen, dass sein Körper diese Strapazen nicht mehr folgenlos wegsteckte. Das gefiel ihm nicht. Es kratzte an seinem Selbstbild.
Er wollte immer noch nicht glauben, dass ihm seine Sinne einen Streich spielten. Sein Blick folgte dem ansteigenden Sandweg. Keine Menschenseele war zu sehen. Keine Sohlen, die ihre Spur in den staubigen Weg drückten, keine Maschine, die ihre Staubfahne auf den Feldern hinter sich herzog. Diese Gegend schien menschenleer. Er drehte sich um und erschrak. Vor ihm lag sein Fahrrad. Wie er es zurückgelassen hatte. Aber in seinem Augenwinkel war wieder dieses Blitzen. Na danke, dachte er. Wer sollte sich mitten im Nirgendwo in einem Maisfeld verstecken? Kinder, Tiere? Waren es Sträflinge auf der Flucht, Verbrecher oder doch Obdachlose, die auf Trebe waren? Menschen, die hier im Niemandsland einen Moment der Ruhe suchten. Denkbar waren auch osteuropäischen Banden, die ihr Lager aufgeschlagen hatten. »Scheiße«, nuschelte er, »Ich muss von hundert anderen Wegen genau neben einem Haufen Krimineller zum Kacken landen«. Fieberhaft ging er den Inhalt seiner Packtaschen durch. Gab es etwas, mit dem er sich verteidigen konnte? Sein Schweizer Taschenmesser fiel ihm ein. Viel zu gefährlich. Seine Wasserflaschen waren aus Kunststoff, die Pumpe winzig und taugte nicht als Waffe. Was wäre, wenn ein Tier mit seinen Jungen auf ihn wartete? War es besser, nicht nachzusehen und weiterzufahren? Er war niemandem Rechenschaft schuldig. Trotzdem nährte er sich der Stelle, an der er das Funkeln im Feld bemerkt hatte. Hellwach. Seine Füße tasten sich langsam, fast lautlos vor. Den Blick auf das Maisfeld gerichtet. Die Blätter raschelten leise im Wind. In diesem Augenblick brach hinter ihm Lärm los. Irgendwas musste sich aus seiner Deckung gelöst haben, und wollte ihn angreifen. Er fuhr herum. Riss die Arme zum Schutz vor sein Gesicht. In bühnenreifer Boxerstellung duckte er sich hinter seine geballten Fäuste. Verlor bei der Drehung sein Gleichgewicht. Verwünschte seine rutschigen Sohlen. Strauchelte und schlug hart auf dem sandigen Weg auf.
Über ihm saß ein Vogel auf einem Ast, der ihn verdutzt anglotzte. Er atmete durch. Es war nicht sein Tag. Er ließ seine Stirn langsam auf den Boden sinken. Sein Helm schob sich in den Nacken. Im nächsten Augenblick sah er zwischen seinen Beinen ins Maisfeld. Was kümmerte ihn ein Vogel. Alles stand kopf. Da sah er es wieder. Das Glitzern. Irgendwas aus Metall, dachte er. Kein wildes Tier und nach dieser Aktion wohl auch keine rumänische Räuberbande. Die hätte ihre Chance genutzt und wäre geflohen oder hätte zugeschlagen. Er stieß sich vom staubigen Boden ab und folgte den Lichtreflexen ins Maisfeld. Staunend betrachtete er das vor ihm liegende Motorrad. Roter Tank, es war eine GS 1200 von BMW. Sie lag auf der Seite. Eine Reiseenduro aus Berlin. Merkwürdig dachte er. Direkt hinter der Maschine war die Erde aufgewühlt. Sie hatte sich dort in die Erde gegraben, bis sie zum Liegen kam. Die Pflanzen waren abgeknickt. Die letzten Meter zur Kurve standen die Pflanzen. Der Fahrer musste von der höher gelegenen Straße ins Feld geflogen sein. Der Hinterreifen war aufgeplatzt. Er fühlte am Motor. Er war kalt. Warum war der Fahrer verschwunden? Er fuhr kein Motorrad. Fragte sich, warum jemand seine Maschine liegen lässt? Wahrscheinlich konnte er sie nicht mehr ohne Hilfe aus dem Feld schaffen.
Er spürte Erleichterung. Der Fahrer war noch in der Lage gewesen, Hilfe zu holen. Es hätte bei so einem Unfall auch anders kommen können. Er schätzte den Höhenunterschied zwischen Landstraße und Feld auf zwei bis drei Meter. Das Tempo der Maschine muss hoch gewesen sein. Die Spur im Maisfeld war lang. Aber sie war nicht mehr frisch. Die aufgebrochene Erde war an der Oberfläche getrocknet. Fahrer und Maschine waren rund zehn Meter geflogen, bis sie aufsetzten.
Er stand im Maisfeld. Legte seinen Kopf in den Nacken, das tat gut nach den Stunden auf dem Rad. Blauer Himmel, knallige Sommersonne an der Straße alte Alleebäume. Die er durch das Grün der Maispflanzen nur erahnte. Was wäre, dachte Hardy, wenn ich gar nicht alleine wäre? Hatten sich die Pflanzen wieder aufgerichtet, nachdem der Fahrer oder die Fahrerin das Feld verlassen hatte? Seine eigene Spur vom Feldweg bis zum Motorrad erkannte er deutlich. Es war die Einzige. Er drang weiter in das Feld ein. Folgte der verlängerten Linie, die das Motorrad in den Ackerboden gepflügt hatte. Die Pflanzen standen, es war nichts zu sehen. Er hielt inne. Rascheln. Er hob seinen Kopf. Es war ein leichter Windzug, den er unten im Maisfeld nicht spürte. Ein paar Meter vor ihm lag jemand. Schwarze Motorradkleidung, roter Helm. Er sah nur Beine und Rücken. Das Visier nach links gewendet. Die Zeit, in der Unfälle und Tod zu seiner Arbeit als Polizeireporter gehörte, lag viele Jahre hinter ihm.
Mit weichen Knien näherte er sich der Person. »Hallo! Können Sie mich hören?« Den Blick auf den Helm gerichtet. »Bitte, bitte lass ihn leben!« Hörte er sich sagen. Da war es wieder, das Pulsieren seines eigenen Blutes bis zum Hals. Die Maisblätter schlugen ihm ins Gesicht. Er ging auf die Knie, beugte sich zum Helm. Er öffnete vorsichtig das Visier, erkannte ein Gesicht. Die Augen geschlossen. Ein Mann etwas älter als er. Die Lippen aufgeplatzt farblos. Hardy beugte sich dicht vor das Gesicht, befeuchtet einen Finger, hielt ihn unter die Nase des Motorradfahrers. Er konnte nicht sagen, ob er einen Luftzug spürte oder ob er sich das wünschte.
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