1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Er hob an den Puls am Hals zu suchen, erinnerte sich dann an seinen letzten Erste-Hilfe-Kurs und lies es bleiben. Keine Zeit verlieren, ging es ihm durch den Kopf. Er erschrak. Bewegung! Der Motorradfahrer hatte sich bewegt. Er wusste, dass es Reflexe auch nach dem Tod gab. Er wartete. Er kannte den Menschen, der da vor ihm lag nicht. Er hatte nur den Wunsch, dass dieser leichte, kühle Schauer an seinen Fingern keine Einbildung war.
Er atmete. Gott sei Dank! Flach, aber Atem. »Können Sie mich hören?« Seine Stimme klang jetzt heiser. Die Augenlider zuckten, er schien sie zu Öffnen, jetzt bewegte er die Lippen. »Au-Gummi«. Der lag in kompletter Motorradkombi im Maisfeld und erzählte was von Kaugummi? »Ruhig«, sagte Hardy. »Ich hole Hilfe und dann kriegst du dein Kaugummi. Du kriegst soviel Kaugummi, wie du willst, aber atme weiter.«
Am Fahrrad griff er sein Handy und eine Trinkflasche. Er wählte die 112, versuchte, seine Position zu beschreiben. Mitten im nirgendwo zwischen unendlichen Feldern war das nicht einfach. Verdammt, was stand auf dem letzten Ortsausgangsschild? Er folgte der Bundesstraße 109 nach Norden. Aber das machte er schon eine gefühlte Ewigkeit. Der Mann von der Feuerwehr war darüber nicht glücklich. Blieb aber freundlich und gelassen. Ob er ihn orten dürfe? Er stimmte zu. Nach einer viertel Stunde klappten die Türen des Rettungswagens auf. Er hatte sein Rad auf die Straße gestellt und die Regenjacke darüber gehängt. Das Blaulicht war in der gleißenden Mittagssonne kaum auszumachen. Zwei Männer sprinteten in ihren roten Anzügen den Weg hinunter. Der eine trug einen roten Rucksack mit grellen gelben Streifen.
»Hätte nicht viel gefehlt.«, sagte einer der Männer. »Der liegt nicht erst seit heute im Feld. Sein Pech war das Maisfeld. In dem hat ihn keiner gesehen, hat ihm aber auch das Leben gerettet. In der prallen Sonne wäre der längst ausgetrocknet.« Hardy schluckte. »Wo bringen Sie ihn hin?« Fragte er einen der drei Männer, der auf dem Feldweg stand und Notizen in einem Formular machte.
»Meine Kollegen stabilisieren ihn.« Er schnitt eine Grimasse, die Hardy nicht einsortieren konnte. Bis sein Blick zu seinen Füßen wanderte. »Scheiße«, platzte es aus ihm heraus. »Mitten auf dem Weg, unglaublich«, stimmte der Mann in Rot ihm zu. »Kreiskrankenhaus Waren. Wollen Sie mit?«
Er räusperte sich. »Danke, aber mein Fahrrad,« hinter dem Rettungswagen hielt ein silberblauer Polizeiwagen auf der Straße.
»Moinsen«, rief der Mann in Blau. Er zog seinen Körper schnaufend aus seinem Dienstwagen. Strich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht und versteckte sie mit mäßigem Erfolg unter seiner weißen Dienst-Mütze. Seine Körperfülle machte ihm zu schaffen.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte Hardy überrascht.
»Wir haben gehört, dass hier ein Mopped im Feld liegt. Dann kommen wir, schon aus Neugier.« Er zwinkerte.
Die Beamten im Norden, hatte Hardy sich weniger locker vorgestellt und schmunzelte ob seiner Vorurteile. Er stand immer noch im Schatten der Büsche auf dem Feldweg. Die Sanitäter, hatten das Maisfeld mit dem Motorradfahrer auf der Trage verlassen. »Abflug«, rief einer. Vor der Abfahrt steckten die roten mit den blauen Männern ihre Köpfe zusammen. Die kennen sich. Das ist wahrscheinlich der Unterschied zwischen einer Dienststelle auf dem Land und in einer Großstadt, dachte Hardy. Der Sanitäter gab Handy und Brieftasche an den Kollegen von der Polizei. Hardy schloss die Packtaschen.
»Haben Sie die Kollegen alarmiert?« Er nickte. »Kennen Sie den Mann?« Er schüttelte den Kopf. »Können wir Sie mitnehmen?«
»Danke ich bin in Ordnung.«
»Wohin soll es denn gehen?«
»Waren an der Müritz soll ganz hübsch sein.« Der Polizist nickte bedächtig, ohne seine Augen von ihm abzuwenden.
»Stimmt. Waren ist ein Traum.« Er sah auf sein Rad. »Urlaub?« Er strich die schwarze Locke aus der Stirn.
Hardy wackelte mit seinem Kopf. »Teils, teils, alte Freunde besuchen.«
»Das kann schon schön sein.« Der Uniformierte gab ihm seinen Personalausweis zurück. »Ein Journalist mit dem Rad auf dem Weg ins beschauliche Waren. Was gibts denn da zu recherchieren?« Hardy wunderte sich über den Tonfall. Der Uniformierte lächelte verschwörerisch. Er starrte Hardy an. Der war abfahrbereit. »Woher wissen Sie, dass ich Journalist bin?«
»Der Ausweis, Sie kommen mir bekannt vor.« Er stellte die Autogrammjäger-Frage. Hardy war sich in diesem Moment unsicher, ob er ihn wirklich kannte oder ob der Mann vor ihm auf etwas anderes hinaus wollte.
»Sehen Sie gerne Reisereportagen oder Fernsehbeiträge? Ich schreibe so Reisedinger, auch fürs Fernsehen, kann sein, dass ich dabei durchs Bild laufe.« Er grinste.
»Gute Fahrt und passen Sie auf sich auf.« Im Gehen hob der Mann die Hand, ohne sich umzudrehen. Hardy schüttelte den Kopf. Menschen, die sich in Andeutungen ergingen, machten ihn stutzig. Dieser Polizist, hatte es geschafft, dass er die nächsten Kilometer im Sattel über dessen Worte nachdachte. Was meinte der mit, passen Sie auf sich auf? Sowas wäre nicht die erste Warnung für ihn gewesen. Konnte aber auch ein freundlicher Rat sein. Sowas wie ein Gruß. Er hoffte auf Variante zwei. Immerhin lag die Chance, diesen Menschen wieder zu sehen, bei null.
Ein Aufschrei zerriss den gleichmäßigen Geräuschteppich, der Natur. Ein Schwarm Krähen stieg von dem knorrigen Obstbaum auf. Die schwarzen Vögel stießen ihre heiseren Schreie in die warme Sommerluft des Abends. Unter ihnen stob grauer Schotter vom Straßenrand auf. Dann war es still.
»Idiot«, schrie Hardy. Sein Fluch galt dem Fahrer des davonrasenden Autos. Sein Vorderrad hatte sich in den losen Schotter am Straßenrand gegraben. Hardy sah die Welt auf dem Kopf und in Zeitlupe vorbeiziehen. Bis er auf seinem Rücken aufschlug. Eine gefühlte Ewigkeit später krachte sein Fahrrad auf ihn ein. Er hatte sich überschlagen.
Er betrachtete sich vor seinem inneren Auge von draußen und überlegt, was passiert war. Dieser modrige Gestank, die Kälte an seinem Rücken und der Schmerz in seinem Nacken, waren Zeichen, dass er noch lebte.
Das Gefühl einer feuchten Kälte erfasste seinen Körper vom Nacken bis zu den Füssen. Behutsam bewegte er Zehen, Finger und Kopf. Das war ein gutes Zeichen. Wenn er die Augen öffnete, sah er blau. Drumherum grün. Er lag im Graben.
In den Himmel bohrten sich ein paar schwarze Äste. Er konnte noch nicht einsortieren, was passiert war, blieb deshalb erst einmal liegen.
Gut die Nummer mit der Außenansicht hätte auch auf was anderes hindeuten können. Die Engel mussten jedoch mit ihrem Willkommensständchen noch auf ihn warten.
Das hatte ihm noch gefehlt, ein Kurzfilm von seinem Leben. Alles im Zeitraffer. Nichts war fertig. Den Grimmepreis hatte er noch nicht geholt, eine Familie noch nicht gegründet, er brachte nicht mal eine Beziehung zustande. Ja gut er hatte eine Ehe auf seinem Konto. Aber die hatte er in den Sand gesetzt. Da konnte er einen Kurzfilm über sein Leben nicht gebrauchen. Nahtoderfahrung schied also aus. Jedenfalls, wenn er es aus eigener Kraft aus dem Graben schaffte. Von der Straße konnte man ihn nicht erkennen, sonst hätte wohl einer, der vorbeifahrenden Wagen gehalten. Er nahm sich vor, in Zukunft weniger allein zu verreisen. Dann gäb es in solchen, Situationen wenigstens jemand, der sich sorgte. Vor allem wäre dann eine Hand da, die ihm aus diesem stinkenden Graben heraushalf.
Scheiß Modder, dachte er. In seinem Oberschenkel pochte ein aufdringlicher Schmerz. Der Lenker hatte eine blutunterlaufende Spur am Innenschenkel hinterlassen. Er drückte sein Rad zur Seite, versuchte, sich aufzurichten. Übelkeit überkam ihn. Auf seiner Stirn tastete er kalten Schweiß. Na toll, ging es ihm durch den Kopf. Die Packtaschen machten es schwer. Außer braunem Laub im Grasgebirge sah er nichts. Der Graben schien trocken. Aber unter der obersten Schicht war der Morast glitschig. Seine Spur reichte vom Helm über den Rücken bis zu seinem Po. Die Vorstellung, wie ein stinkendes Streifenhörnchen in die nächste Stadt einzufahren, missfiel ihm.
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