Ursula Reinhold
Erzähltes Leben
Geschichten aus alten und neuen Zeiten
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Ursula Reinhold Erzähltes Leben Geschichten aus alten und neuen Zeiten Dieses ebook wurde erstellt bei
Alle Tage wieder oder Nicht nur zur Weihnachtszeit
Ein Berliner Wintermärchen
Damals im Neptun
Denkwürdige Begebenheiten
Eine Frau fürs Leben
Fußball- Europa- Meisterschaften
Füreinander da sein
Herbstsaison
Meine Schwiegersöhne
Unerklärlicher Abgang
Unadressierte Briefe
Fortgesetztes Missbehagen
Vertretbare Entsorgung. Eine Erwägung
Wochenendfahrten nach Bayern
Meine Mutter
Nachbarliche Einblicke
Pätzer Geschichten
Rätsel
Sommerliche Impressionen
Tage und Träume
Überraschender Besuch
Undine
Mühevolle Näherung
Vorstadtvilla
Wortloses Verschwinden
Impressum neobooks
Alle Tage wieder oder Nicht nur zur Weihnachtszeit
Impressum:
©HeRaS Verlag, Rainer Schulz, Berlin 2020
www.herasverlag.de
Layout Buchdeckel Rainer Schulz
Ganz langsam nur beim Erwachen kam sie heraus aus den Träumen der Nacht, die nun doch zu Ende war. Endlich ... Erleichterung durchflutete Körper und Seele, und die Sinne entspannten. Sie lag in ihrem Bett, bequem auf moderner Kernfedermatratze, mit Pferdehaar beschichteter Auflage, verstellbar und extra belüftet, so lautete das Angebot, bei dem sie sofort zugeschlagen hatte. Aber sie bereute das nicht. Warm unter der neuen Daunendecke lag sie, reckte die Glieder, gähnte erleichtert, rieb sich die Augen. Ein Traum nur, schoss es ihr durch den Sinn, grauenvoll aufdringlich, ein Alptraum, wahrhaft schrecklich. Sie würde ihren Gang ins KaDeWe heute nicht machen, trotz der interessanten Angebote, die es sicher gibt, denn solche nächtliche Heimsuchung wollte sie nicht wieder erleben. Kurze, wiederkehrende Bilder kannte sie schon, aber diese verflixte Nacht wollten sie einfach nicht weichen.
Da quollen nicht nur die Pullover, sondern auch die Unterwäsche, die schon gebrauchten Hemden und Höschen und die noch unberührten Garnituren aus den Schränken und ließen sich einfach nicht wieder in ihre Lage bringen. Die Fächer waren übervoll, was sie hineinstopfte, hüpfte wieder heraus, ihr entgegen, lag zu ihren Füßen und sie raffte es wieder und wieder zusammen, bis sie es endlich aufgab und die Wäsche unter das Bett schieben wollte. Aber auch das ging nicht, denn dort lagen Schuhe, die Absatzsandalen und die Pumps, die flachen Sportschuhe und die Mokassins, die halb hohen und die ganz hohen Stiefel. Sie lagen mit und ohne Kartons dort.
So viele Paare waren es gar nicht, denn einige der warmen Schuhe trug sie längst, seitdem es die winterlichen Temperaturen gab. Und denen hatte sie einen anderen Platz gegeben und so lagen dort gar nicht mehr so viele, wie ihr im Traum erschienen war.
So ratlos, wie heute Nacht, war sie auch bei der Wäsche nicht. Denn gestern erst hatte sie für die Wäschestapel Platz in den anderen Teilen ihres begehbaren Kleiderzimmers freigemacht.
Aber nächstens war dort nichts mehr unterzubringen. Ja, auch im großen Schrank ging alles drunter und drüber. Die Hosen, Kleider, Mäntel und Blusen rutschten von den Kleiderbügeln und lagen zusammengeknüllt auf dem Boden des Schrankes, obwohl alles ordentlich aufgehängt worden war. Die Türen sperrten, sie stand hilflos vor der Wand.
Dabei hatte sie vor Wochen schon die sommerlichen Sachen herausgenommen, die sie in diesem Jahr nicht mehr tragen würde, um sie auf dem Hängeboden zu verstauen, dessen beträchtliche Tiefe sie nur von der Leiter aus erreichte. Als sie oben stand, hatte sich zwar herausgestellt, dass es dort kaum noch Platz gab, denn es war nicht nur die Sommergarderobe vom letzten Jahr, die dort verstaut war, sondern die Jahreszeiten zuvor hatten ebenfalls ihre Spuren hinterlassen: Abgetragenes, Ungetragenes, Unberührtes fand sich dort. Außerdem traf sie auf die Tüten und Pakete der letzten Einkäufe von den Schnäppchenjagden des Sommerschlussverkaufs, bei denen man wirklich nur zugreifen konnte. Denn so preiswert wurde es nie wieder.
Auch die Sachen aus der Herbstsaison und aus den ersten winterlichen Angeboten dieses Jahres waren schon dabei. Die Tüten und Pakete hatte sie dort unauffällig hinauf gestellt, damit der Gatte nicht erst wieder Anstoß an ihren Neuerwerbungen nahm. Er musste schließlich nicht alles wissen und sehen. Einige Stücke würde sie dann ganz unauffällig einschmuggeln, nach und nach in die tägliche Garderobe einfließen lassen, staunende Nachfragen nach ihrer Herkunft mit selbstverständlichem Achselzucken beantworten. „Was die Jacke hast du noch nicht gesehen bei mir?“ würde sie ihn fragen.
Und da er sich nicht gern bei einer Unaufmerksamkeit ertappen ließ, würde er nicht weiter fragen, sondern sofort Ruhe geben. Und sie konnte dann noch ganz selbstverständlich hinzufügen, dass sie dieses oder jenes Stück schon vor längerer Zeit günstig erworben hatte. Ein Sonderangebot, preiswert und wirklich schön, sagte sie ihm dann und er stimmte zu und meinte, dass er seinem Mäuschen alles Schöne dieser Welt gönne.
Aber im Traum stellte er sie entschieden zur Rede, war gar nicht so geduldig, wie sie ihn kannte. Er schmiss ihr Kleidungsstücke an den Kopf, bis sie über und über unter ihnen begraben war und kaum Luft kriegte.
Und da muss sie einen Moment lang wach gewesen sein. Sie erinnert sich an einen tiefen Atemzug den sie tat, dann fiel sie schon wieder in quälende Dämme. In Wirklichkeit ging es ja meist glimpflich ab zwischen ihnen, nur selten, dass er sich aufregte. Er schien ihr dieses Vergnügen voll und ganz zu gönnen. Deshalb blieb es meistens entspannt zwischen ihnen, auch wenn er sie frisch erwischte. Sie lachten zusammen, wenn er sie eine generöse Verschwenderin nannte und sie ihn einen Einkaufsmuffel. Und als solcher wirke er sich nur als Konjunkturbremse aus, argumentierte sie dann, volkswirtschaftlich betrachtet, während sie den Konjunkturmotor mit anwerfen helfe, um sein ökonomisches Defizitverhalten auszugleichen. Am schnellsten konnte sie ihn beschwichtigen, wenn sie ihn davon überzeugte, dass die Dinge gar nicht für sie selbst bestimmt waren, sondern Weihnachtsgeschenke waren, für die Kinder, für die Enkel, die Nichten, die Neffen, die Cousinen und Cousins und deren weitverzweigten Nachwuchs. Kleinigkeiten alles nur, die sie ihnen zugedacht hatte. Nach einem kurzen Geplänkel in dieser Tonart, lachten sie wieder und alles war gut. Denn eigentlich interessierte es ihn nicht, warum sie so unersättlich war bei den Schuhen, Kleidern, Blusen, Wäschestücken und anderen schönen Dingen. Manchmal wunderte sie sich, dass ihn das alles so gar nicht zu interessieren schien. Er hielt sich zurück mit Fragen. Nur ganz selten wurde er unwirsch über ihre neuen Erwerbungen, z.B. über das Geschirr neulich hat er sich erregt, weil sie seine Bücher aus dem Regal geräumt hatte, um die neuen Tassen hineinzustellen. Da fing er an, ihr richtige Vorwürfe zu machen, fragte, wie sie es sich denn weiterhin vorstelle bei den Festkosten, die sämtlich in die Höhe kletterten, bei gleichbleibenden Einkünften. Rechnen müssten sie, ob ihr das klar sei, hatte er sie neulich gefragt und sie stimmte ihm zu und bestätigte eilig ihren Entschluss, nur noch Dinge zu kaufen, die sie wirklich notwendig hatten. Ja, das würde sich machen lassen, versicherte sie ihm.
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