Zu allem Überdruss fühlte ich mich fehl am Platz. Man merkte, dass sie etwas von meinem Freund wollte, für mich als Außenstehenden war es mehr als nur offensichtlich, wie sie ihn anmachte, doch er schien keine ihrer noch so plumpen Anmachversuche zu bemerken. So plump, dass es mir schon peinlich war, mich auch nur im selben Raum zu befinden.
Als wäre der Konsum eines Joints und einiger Brownies noch nicht genug, tranken wir auch noch Alkohol dazu. Ich war so mit mir selbst und dem Abwenden einer aufkeimenden Panikattacke oder Paranoia beschäftigt, dass ich ganz vergaß, der Erfahrene und Verantwortliche zu sein; der, der natürlich gewusst hätte, dass Alkohol und Drogen keine gute Kombination waren; doch eins führte zum anderen und ich trank – geistesabwesend – den mir angebotenen Alkohol.
Entnervt sagte ich mir, dass wir die Bekanntschaft meines Freundes so schnell nicht loswerden würden. Bis sie fahrtüchtig wäre, würden Stunden vergehen, ja eigentlich müsste sie hier übernachten, in unserem Zustand konnte man kaum ans Autofahren denken. Doch plötzlich die unfassbaren Worte: „Ich fahr jetzt heim“. Völlig fassungslos und schockiert, zur gleichen Zeit aber auch erleichtert, dass diese Person uns endlich verlassen würde, sah ich ihr zu wie sie ihre Schlüssel nahm und sich, ohne auch nur zu wackeln, anzog und bei der Tür hinaus spazierte.
Völlig perplex blickte ich zu meinem Freund auf der anderen Seite der Couch, welcher völlig entspannt fernsah. Ich fragte ihn, ob er sich denn keine Sorgen mache, sie könne doch unmöglich Auto fahren in ihrem Zustand. Worauf er erwiderte, dass sie schon in viel schlechteren Zuständen mit dem Auto gefahren wäre und das absolut nichts sei im Vergleich dazu. Ich war erschüttert: Im Gegensatz zu mir schienen es allen gut zu gehen, während ich mit Panikattacken zu kämpfen hatte.
Tausende Fragen schossen mir durch den Kopf: Was, wenn sie einen tödlichen Verkehrsunfall hätte oder sich allein zu Hause übergeben und an ihrem Erbrochenen sterben würde? Nicht nur müsste ich mich dann für ihren Tod verantworten und damit leben, sondern obendrein noch Probleme mit der Polizei bekommen und im schlimmsten Fall sogar eine Anzeige bekommen. Was wird nur meine Mutter von mir denken. Wird sie mich nach dieser Aktion noch immer lieben können?
Schmerzen fuhren durch meinen Körper, mein Herz begann zu rasen und ich bekam starke Schweißausbrüche. Ich bat meinen Freund unaufhörlich darum, seine Bekannte zu kontaktieren, um zu erfahren ob sie gut angekommen war, er hingegen sagte mir, dass ich mich beruhigen solle und schrieb ihr erst nach meiner fünften Bitte widerwillig eine Nachricht.
Eine folternde Stunde verging bis zur erlösenden Antwort: Es ging ihr gut, sie sei nur etwas einsam schrieb sie. Während mir ein Riesenstein vom Herzen fiel, folgte jedoch schon die nächste Angstvorstellung: Was, wenn sie sich nun im Drogeneinfluss etwas antat, weil sie einsam war und sich abgewiesen fühlte? Verzweifelt hoffte ich auf eine Reaktion meines Freundes, dass er sie anrufen und gut zuzureden würde, doch er legte sein Handy völlig gleichgültig zur Seite und widmete sich wieder seiner Serie. Ich war am Boden zerstört, die Wirkung der Brownies würde noch einige Stunden anhalten und solange sie unter Einfluss meiner Drogen stand, war ich für ihre Gesundheit verantwortlich. Die Angst ließ mich nicht los und ich betete innerlich dafür, dass – wenn die heutige Nacht ohne Todesopfer über die Bühne gehen würde – ich hoch und heilig nie wieder Drogen anfassen würde. Dieses Gebet wiederholte ich minütlich. Unerwartet wurde ich aus meinen Gebeten gerissen, als mein Freund aufstand und in sein Zimmer ging, um zu schlafen.
Am Rande der Verzweiflung versuchte ich ebenfalls zu schlafen und drehte das Licht ab, in der Hoffnung, durch die Finsternis auch meinen Albtraum unsichtbar zu machen. Doch mein Herz schlug wie verrückt, die Wände kamen näher, die Uhr an der Wand tickte unerträglich und meine Atmung wurde immer flacher. Ich stand auf und ging herum, musste mich bewegen, sonst würde etwas Schreckliches passieren. Plötzlich hörte ich die erlösenden Worte vom Ende des Ganges: „Du kannst gerne im Bett schlafen, wenn du dich draußen nicht wohlfühlst.“, ertönte es aus dem Schlafzimmer.
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern stürmte ich in sein Zimmer und legte mich auf die freie Seite seines Bettes. Er fragte noch, was draußen los war woraufhin ich ihm erzählte, dass die Uhr zu laut tickte und ich deswegen nicht schlafen konnte. Er sagte, dass er morgen früh raus müsste, seinem Bruder helfen ein Gewächshaus zu bauen. Ich schämte mich, als mir bewusstwurde, dass ich kein Gewächshaus bauen könnte. Generell war ich neidisch darauf, wie er es geschafft hatte, obwohl ebenfalls ohne Vater aufgewachsen, dennoch handwerklich so geschickt zu sein. Oft wünschte ich mir, er wäre genauso ungeschickt wie ich und wir könnten gemeinsam darüber lachen und es auf die Abwesenheit unserer Väter schieben, doch dem war nicht so.
Kurz plagten mich wieder die Gedanken, seine Freundin könnte gestorben sein wegen meiner Drogen, doch nach ein paar Minuten überwog die Geborgenheit des Raumes und seiner Gesellschaft und ich schlief, noch völlig unter dem Einfluss der Drogen, ein.
Am nächsten Morgen wachte ich allein auf; die Gedanken rasten bereits wieder in meinem Kopf: hoffentlich war sie noch am Leben.
Mein Freund musste wohl schon bei seinem Bruder sein, dachte ich mir und zog mich an, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Ich fühlte mich miserabel, so wie nur selten zuvor nach einer schlechten Erfahrung mit Drogen. Nicht nur war ich völlig verkatert und neben der Spur, viel mehr spürte ich eine tiefe innere Leere. Da ich jedoch wusste, dass Drogen kurze, aber harmlose depressive Episoden auslösen konnten, wunderte ich mich nicht zu sehr – obwohl mich die Intensität doch etwas nachdenklich stimmte.
Angekommen beim Haus seines Bruders, sah ich die beiden auch schon am Dach des Gewächshauses arbeiten. Seine Frau war auch anwesend und reichte Werkzeug bzw. erledigte kleinere Arbeiten. Von der Ferne starrten sie schon alle auf mich, ich musste fürchterlich ausgesehen haben. Ohne eine Sekunde zu verlieren fragte ich nach seiner Freundin und ob es ihr gut ging, als er antwortete, dass sie einen mächtigen Kater hätte, weil sie zu Hause noch etwas mehr Alkohol getrunken hatte; war ich einerseits so erleichtert wie selten zuvor in meinem Leben und andererseits fühlte ich mich fruchtbar lächerlich. All meine Ängste und Sorgen und sie fühlte sich noch gut genug, um zu Hause weiter zu trinken. Wie es schien, war sie wesentlich erfahrener als ich im Umgang mit Drogen und das, obwohl ich ihr doch eigentlich so überlegen war?
Mein Freund, sein Bruder und dessen Frau waren alle wahnsinnig gut gelaunt und amüsierten sich über meinen Kater, nur ich konnte absolut nicht mitlachen. Normalerweise konnte ich mich gut verstellen und gute Laune vorspielen, doch das morgendliche Tief hatte mich zu stark im Griff – ich fühlte mich gelähmt.
Es war schon länger bergab gegangen mit meiner Stimmung, bis zuletzt schob ich das auf die Bachelorarbeit, in diesem Moment jedoch, konnte ich meine Stimmung zum ersten Mal nicht verbergen. Den Dreien beim Handwerken zuzusehen machte es nicht besser, ganz im Gegenteil, die Sonne brannte herunter auf meine so verhassten Tätowierungen und ich war nicht einmal fähig, beim Aufbau des Gartenhauses mitzuhelfen.
Was würde wohl mein Vater von mir denken, wäre er noch bei uns, dachte ich vor mich hin, Sohn eines Baumeisters und konnte nicht einmal seinem Freund beim Bauen eines Gartenhauses helfen. Wie ein fauler Nichtsnutz saß ich im Schatten und schaute ihnen zu. Wäre mein Vater nicht schon tot, würde ihn dieser Anblick wohl umbringen, sein Taugenichts von Sohn – nahm Drogen, schlief bis mittags und schaute seinem Freund beim Handwerken zu. Konsterniert und sichtlich getroffen verabschiedete ich mich von der Runde, setzte mich in mein Auto, bekreuzigte mich drei Mal, dankte Gott, dass er mich nicht bestraft hatte und fuhr nach Hause.
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