Hans Fallada GEFÄNGNIS- TAGEBUCH 1944
23.IX.44
An einem Januartag des Jahres 1933 saßen mein guter Verleger Rowohlt und ich in den Weinstuben von Schlichter zu Berlin bei einem heiteren Abendmahl. Unsere Ehegesponsten und einige gute Flaschen Steinwein leisteten uns Gesellschaft. Wir waren, wie es in der Schrift heißt, des guten Weines voll, und er hatte dieses Mal bei uns auch eine gute Wirkung getan. Bei mir war man dessen nicht immer sicher. Es war ganz unberechenbar, wie der Wein auf mich wirkte, meistens machte er mich streitsüchtig, rechthaberisch und prahlerisch. An diesem Abend hatte er das aber nicht getan, er hatte mich mit einer fröhlichen, leicht spottlustigen Laune erfüllt, und so gab ich den besten Gefährten für Rowohlt ab, den Alkohol immer mehr in einen riesigen, zwei Zentner schweren Säugling verwandelt. Er saß, gewissermaßen Alkohol aus jeder Pore seines Leibes verdampfend, wie ein feuergesichtiger Moloch am Tisch, aber ein zufriedener, satter Moloch, während ich meine Späße und Geschichtchen zum Besten gab, über die sogar mein braves Eheweib herzlich lachte, obwohl sie diese Dönekens schon mindestens hundertmal gehört hatte. Rowohlt war in jenem Zustand angelangt, in dem ihm sein Gewissen manchmal befiehlt, auch einen Beitrag zur Belustigung der Anwesenden zu leisten: er ließ sich dann manchmal von dem Kellner einen Sektkelch geben, den er dann Stück für Stück bis auf den Stiel mit seinen Zähnen zermalmte und völlig verzehrte – zum Entsetzen der Damen, die sich nicht genug darüber verwundern konnten, daß er sich kein bißchen dabei schnitt. Einmal habe ich es allerdings erlebt, daß Rowohlt bei dieser fast kannibalisch anmutenden Glasfresserei seinen Meister fand. Er ließ sich einen Sektkelch bringen, ein stiller sanfter Herr in der Gesellschaft tat desgleichen. Rowohlt verzehrte ihn, der Sanfte dito. Rowohlt sprach behaglich: »So! Das hat mir gut getan!« Faltete die Hände über dem Bauch und sah sich triumphierend in der Runde um, der Sanfte wandte sich an ihn. Er deutete mit dem Finger auf den nackten Glasstiel, der vor Rowohlt stand. Vorwurfsvoll fragte er: »Und den Stengel essen Sie nicht, Herr Rowohlt? Das ist doch das Beste!« Sprach’s und fraß ihn, beim unauslöschlichen Gelächter der Runde. Rowohlt aber, um seinen Triumph gebracht, war stinkwütend und verzieh dem Sanften diese Niederlage nie!
Übrigens durfte man sich in Rowohlt nicht täuschen: wenn er auch der sanfteste Säugling war und kaum aus seinen Augenschlitzen mehr schauen zu können schien, war er doch hellwach, und vor allem rechnen konnte er, daß es ein Grausen war! Ich habe ihn einmal in Unkenntnis dieses Zustandes und in einiger Geldklemme – bei diesem Säuglingszustand ein wenig über den Löffel balbieren und einen besonders günstigen Vertrag mit ihm schließen wollen. Ich sehe uns noch beide dasitzen und Speisekarten mit endlosen Zahlenkolonnen bedecken. Schließlich wurde der Vertrag in feuchtfröhlicher Stimmung abgeschlossen, und ich lachte mir ins Fäustchen über den endlich einmal reingelegten smarten Geschäftsmann, das Ergebnis war natürlich, daß ich der Hereingefallene war, und wie hereingefallen! Rowohlt war selbst hinterher so erschrocken über diesen Vertrag, daß er mir den größten Teil seines Raubes freiwillig wieder heraus gab.
Aber an diesem Abend kam es weder zu Glasfressen, noch zu Geschäften. An diesem Abend herrschte eine behagliche, gesättigte Stimmung vor. Wir hatten die herrlichen eisgekühlten Salate Schlichters hinter uns, seine Bouillabaisse, seine Filets Stroganoff, seinen unübertrefflichen, alten Holländer Käse, wir hatten uns dann und wann zum Wein mit etwas Himbeergeist den Magen erwärmt und sahen nun den Spiritusflämmchen unter unseren vier Kaffeemaschinen zu, die uns unseren Mokka wärmten, während wir ab und zu noch gelassen, aber genußreich einen Mundvoll Wein nahmen. Wir hatten auch allen Anlaß, mit uns und unseren Leistungen zufrieden zu sein. Wohl lag nun schon der »Welterfolg« des »Kleinen Mannes« hinter uns, wie alle Welterfolge immer bereits von einem noch größeren abgelöst werden, ich weiß es nicht mehr, war es »die gute Erde« von der Pearl Buck, oder das »Vom Winde verweht« der Mitchell. Ich hatte seitdem »Wir hatten mal ein Kind« geschrieben, was den Leuten nicht gefiel, obwohl es dem Autor sehr gefiel, und saß nun über dem »Blechnapf«. Vielleicht würde auch der »Blechnapf« kein neuer Welterfolg werden, das hatte Zeit, alles hatte Zeit. Es war die leichteste Sache von der Welt, einen Welterfolg zu erzielen, man mußte es nur wollen. Augenblicklich war ich mit anderen Dingen beschäftigt, die mich sehr interessierten: würde es mich eines Tages interessieren, einen Welterfolg zu haben, so würde mir auch das ohne Schwierigkeit gelingen.
Rowohlt hörte diesen mehr betrunkenen, als ernst gemeinten Ausführungen mit einem fast pagodenhaften Kopfnicken zu und bestätigte meine Worte mit einem gelegentlichen »So ist es« oder »Sie haben vollkommen recht, Väterchen«. Unsere braven Weiber waren es ein wenig überdrüssig geworden, ständig an den Lippen des berühmten Autors und seines berühmten Verlegers zu hängen und Worte purer Weisheit zu vernehmen, sie hatten sich Wirtschafts- und Kinder-Erziehungs-Fragen gewidmet und tuschelten mit gesenkten Stimmen am anderen Ende des Tisches. Langsam und schwer duftend fielen die ersten Tropfen des Mokka in die unter die Tüllen gestellten Tässchen … In diese völlig behagliche Situation stürmte ein aufgeregter Kellner herein und erinnerte uns daran, daß es außerhalb unserer vollkommen geordneten Privatwelt noch eine sehr viel größere Außenwelt gab, in der es zur Zeit recht turbulent zuging. Mit dem Rufe: »der Reichstag brennt! der Reichstag brennt! die Kommunisten haben ihn angesteckt!« stürzte er von Raum zu Raum des Lokals. Das brachte nun doch Leben in uns beide. Wir sprangen von unseren Sitzen auf, wir sahen uns mit verständnisvollen Augen an, wir schrieen nach einem Kellner. »Ganymed« schrieen wir diesen Jünger des Lukullus an. »Besorgen Sie uns auf der Stelle eine Autodroschke! Wir wollen zum Reichstag! Wir wollen Göring kokeln helfen!« Unsere guten Frauen erbleichten vor Schreck. Göring war wohl erst ein paar Tage an der Regierung und die Konzentrationslager noch nicht in die Erscheinung getreten, aber der Ruf, der den Herren, die jetzt das Ruder in Deutschland ergriffen hatten, vorausging, war nicht gerade so, daß man sie für sanfte Lämmer halten konnte. Ich sehe noch die verwirrte, ängstliche und doch lächerliche Situation vor mir: wir beide von einem wahren furor teutonicus erfaßt, uns gegenseitig in die Augen schauend und anbrüllend, daß wir unbedingt mitkokeln wollen; unsere schreckensbleichen Frauen, die uns zu beschwichtigen suchten und unbedingt aus diesem Lokal forthaben wollten, das in dem Rufe stand, nationalsozialistisch-freundlich zu sein, und ein Kellner in der Tür, der eilig etwas auf seinen Abrechnungsblock schrieb, wie wir aus erheitertem Beifall annahmen: einen Extrakt unserer mannhaften Reden. Schließlich ist es unseren Frauen doch gelungen, uns aus der Tür, auf die Straße und in ein Auto zu bugsieren, ich nehme an, unter dem Vorwand, mit uns zusammen das brennende Reichstagsgebäude anzusehen. Wir fuhren aber nicht gemeinsam dorthin sondern zuerst setzten wir Rowohlt und seine Frau in ihrer Wohnung ab, dann machte sich unser Wagen auf die weite Fahrt nach dem Osten, wo ich damals mit meiner Frau und unserem noch einzigen Sohn in einem kleinen Dorf an der Spree wohnte. Die sanften Worte meiner Frau hatten mich unterdes so weit beruhigt, daß ich beim Vorbeifahren ohne alle eigenen Brandstiftergelüste in die feurigen Flammen der Reichstagskuppel sehen konnte, dieses unheimliche Fanal, das am Anfang des Weges ins Dritte Reich stand. Es ist gut, daß wir an diesem Abend unsere Frauen bei uns hatten, sonst hätte unsere Tätigkeit und wohl auch unser Leben an diesem Januartage 1933 ihr Ende gefunden, und dieses Buch wäre nie geschrieben worden. Auch der eifrig notierende Oberkellner, der uns noch ein paar Tage lang als Schreckgespenst ängstigte, ließ nichts wieder von sich hören: er hatte wohl nur eilig die Rechnungen für seine allesamt aufbrechenden Tischgäste notiert.
Читать дальше