Mit gespreizten Fingern lege ich ihre Haarsträhne, die vor ihr Gesicht gefallen ist, zu den anderen und streichle sie mit Liebe durch ihr glänzendes, dunkelblondes Haar.
Doch unsere Liebe kann uns in ein großes Unheil stürzen. Wir müssen weiter und Nahrung suchen, bevor es dunkel wird. Noch ein letztes Mal möchte ich ihre Lippen berühren, bevor ich mich erhebe. Schnell komme ich mit meinem Mund zu ihrem und küsse sie geschwind. Dann lächle ich sie zufrieden an und erhebe mich. Ich reiche ihr meine Hand und helfe ihr auf. Nun hat ihr Kleid Erdflecken, doch das ändert nichts an ihrer Schönheit. Mit einem Hopsersprung hüpft sie zu mir und nimmt den Helm von meinem Kopf. Ich hatte ihn die ganze Zeit nicht bemerkt. Ich hatte ihn die ganze Zeit auf meinem Haupte. Es ist meiner, der mit dem Adler. Er gehört schon zu meinem Körper, so gewöhnt habe ich mich an ihn. Nun ist meine Uniform am Flure ihres Hauses unvollständig.
Geschwind laufe ich ihr nach. Mit belustigtem Kreischen läuft sie tiefer in den Wald hinein. Sie will mit mir spielen. Doch schnell habe ich sie eingefangen. Ich klammere mich an sie und hebe sie kurz hoch. Wir beide lachen so laut, dass uns die Bäuche schon schmerzen und uns der Atem wegbleibt. Ich lege meine Arme um ihren Bauch, setze meine Lippen an ihren Hals und küsse ihn kurz. Ich kann nicht genug von ihr bekommen. Doch dann nimmt sie meine Finger in die Hand und löst sich. Sie dreht sich um und setzt mir stolz den Helm wieder auf. Doch er gehört nicht mehr zu mir. Ich habe mich entschieden, ein anderer Mensch zu sein. An ihrer Seite scheint es so leicht, sie scheint mir allen Frieden zu zeigen. So nehme ich ihn wieder ab. An diesem guten Stück, das mir so oft das Leben rettete, hängen noch so viele Erinnerungen, die ich Tag für Tag vergessen möchte.
Ohne Ahnung blickt sie mich an. Das Lachen ist verstummt. Um die Stimmung nicht verfliegen zu lassen, setze ich den Helm auf ihren Kopf. So steht sie nun da, mit großen Soldatenstiefeln, einem Kleid und einem breiten Helm, aus dem das kindliche und lachende Gesicht herausblickt.
Hand in Hand gehen wir zur Lichtung zurück. Die Sonne ist bereits gewandert und blinzelt golden zwischen den Blättern hindurch. Ich nehme den Helm wieder von ihrem Kopf und weiß jetzt, dass es nun Abschied nehmen heißt. Nun beginnt für ihn ein einsamer Teil seiner Geschichte. Ich gebe ihm einen andächtigen Kuss auf den grünlackierten Stahl. Auch sie legt ihre Lippen auf ihn und sieht mich, mit leichtem und verständnisvollem Blicke, an. Der Krieg ist nun vorbei, ich habe ihn gefunden, den Frieden meiner Welt. Wir haben ihn gefunden, den Frieden dieser Welt.
Zu dieser Buche lege ich ihn. Mit meinen Händen schabe ich die Blätter und die Erde weg, bis eine kleine Mulde entsteht. Bedächtig lege ich ihn hinein und schütte die Mulde wieder zu, vergrabend die Erinnerung. Für den Krieg geschaffen, werden sie alle so enden, vergraben im ewigen Erdreich, vergessen – für alle Zeit. Nun sieht nur mehr eine kleine Kuppel zwischen den Wurzeln der Buche hervor. Ob er hier für immer liegen wird? Er hat eine Geschichte, es ist die meine, die nun vergangen ist. Hier liegt nun der weinende Stolz. All das, was ich einmal besessen habe. Nur mit ihm habe ich damals überlebt. Nun lebe wohl und lass mich gehen, lasse dich nie wieder sehen!
Ich stehe wieder auf und nehme ihre Hand. Sie führt mich nach vorne, wie eine Mutter ihr Kind, das von Erinnerung geplagt wird, das von bösen Geistern ist verfolgt. Lasset mich doch endlich gehen!
Sie weiß wohl, dass es mir schwerfällt, doch sie steht mir bei. Sie versteht mich. Ein letztes Mal blicke ich zurück. Zwischen den Bäumen kann ich ihn noch sehen. Es scheint, als würde er mir hinterherrufen, als würde er dort lachend warten, bis er wieder meines Hauptes Zier ist.
Unter der Kuppel seien vergraben, alle Kameraden, die im Felde liegen noch, all Blicke in Erinnerung.
Doch mein neues Leben hält mich an der Hand. Und zusammen gehen wir in das Ungewisse ein. Wir wandern ohne Plan und ohne Ziel. Wir sind der Frieden im Chaos. Wir sind der Frieden selbst.
8.
Der Waldrand ist schon in Sicht. Das Abendrot der Sonne strahlt uns entgegen. Was wird uns wohl dort vorne erwarten? Alles kann kommen, denn zusammen werden wir es überstehen. Unsere Hände halten sich schon lange, ich will sie nie wieder los lassen. Sie gehört an meine Seite. Wir sind eins. Sie hat mich zu jemand anderen gemacht. Sie war mein Weg zur Selbstfindung. Mit ihrer Befreiung habe ich mich selbst befreit. Wir sind froh, den anderen an der Seite zu haben. Das Leben scheint so voller Hoffnung und so einfach winkt es uns entgegen. Wie konnte es denn jemals so schwer sein?
Nun sind wir am Waldrand angekommen. Hier liegt etwas Wunderschönes. Ich merke, wie mein Herz weint. Ich sehe eine Blumenwiese. Mit vollem Gras und ohne Gräben. Als wäre hier noch nie ein Mensch über diese Erde gewandert. Die Fläche ist eingezäunt von Wäldern. Sie blickt mich gerührt an. Ich hatte noch keinen schöneren Platz gesehen. Im Anblick dieser Pracht des Friedens drückt sie sich ganz fest an mich.
Sie hat mich hierher geführt und das Schicksal mich zu ihr. Nur ihretwegen bin ich hier.
Voller Staunen betrete ich die Wiese. Das Abendrot strahlt über das Gras, es ist ein kleines Paradies. Doch wir können hier nicht bleiben. Wir müssen uns etwas zu essen suchen. Nun folgen wir des Weges Ruf. Wohin er uns nur führen wird?
Ich merke schon die Schwäche in mir, doch meiner Luna geht es immer schlechter. Stark und tapfer geht sie mit ihren schwarzen, schmutzigen Stiefel über die Wiese. Ihre Hand ist jetzt sehr schwach und die Füße hebt sie auch nicht mehr ganz. Sie braucht dringend etwas Nahrung und Schlaf, doch ich bin selbst an einem Punkt angelangt, an dem ich hilflos bin. Inmitten der Wiese flüstert sie zu mir ganz leise: „Oh, Theodor!“ Ich schwenke voller Erschöpfung meinen Kopf zu ihr, doch da klappen ihre Knie zusammen. Sie fällt nach vorne und ihr Gesicht liegt auf der Erde. Leise versucht sie zu mir zu flüstern. Doch die Kraft hat sie verlassen. Ich rede ihr zu.
Schnell und hektisch drehe ich sie um und lege meinen Arm unter ihre Schultern, den anderen lege ich unter ihre Beine und hebe sie an. Sie ist nicht sehr schwer. Mit dem letzten Fünkchen Kraft in mir, den mir der Wille schenkt, schreite ich voran mit ihr, wie einst mit totem Kamerad. Denn ich werde sie tragen, bis ich tot umfalle. Bis auch der letzte Funken Lebenskraft langsam in mir schwindet.
Mit schwerem und schnellem Schritt eile ich zum Ende der Wiese in den weiten Wald hinein. Ohne Kraft haste ich über den unebenen Waldboden. Wo wird er wohl enden? Immer weiter laufe ich hinein, zwischen Baumstämme hindurch wie ein Labyrinth, mit ihr am Arm. Der Himmel verdunkelt sich langsam und ich muss Acht geben. Allmählich bricht die Nacht an und ich laufe weiter mit ihr am Arm, entgegen, in die Dunkelheit. Meine Kraft ist am Ende und die Schmerzen werden immer größer.
Plötzlich liege ich am Boden. Was ist geschehen? Ich war über einen dünnen, morschen Baumstamm gestolpert. Sie liegt vor mir. Mein Fuß schmerzt. Wir werden nun hier verenden. Ich sehe noch kein Ende dieses Waldes und auch meine Kräfte haben mich verlassen. Nun liege ich hier mit Tränen in den Augen und sehe zu ihr. Langsam krieche ich in ihre Richtung. Sie hat sich nichts getan. Sie hat die Augen geschlossen und greift sich mit der Hand auf die feuchte Stirn. Doch ich habe ihr versprochen, sie zu retten und zu pflegen. Nun werden wir beide wegen meiner irrsinnigen Flucht sterben.
Doch alles Weinen wird nichts helfen. Voller Schmerzen halte ich mich an einem Baumstamm fest und stehe wieder auf. Mit großem Willen hebe ich sie hoch und humple weiter, immer weiter. Ich werde sie nicht sterben lassen. Immer weiter geht es voran.
Ich bin verzweifelt, doch versuche vor ihr keine Schwäche zu zeigen. Sie darf mein Schluchzen nicht hören. Schwach bin ich. Ich irre orientierungslos mit einem Mädchen im Arm durch den Wald. Was hätte mein Kamerad dazu gesagt?
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