„Jetsch hätte isch gern etwasch Schaltsch“, nuschelte Norbert und wischte sich das Fischfett von den Lippen.
„Nächschtesch Mal!“, versprach Thomas kauend und spuckte ein paar Gräten aus. Satt und zufrieden warteten wir gemeinsam, bis meine Klamotten halbwegs trocken waren. Konnte es schönere Tage geben?
In klammen, feuchten Kleidern präsentierte ich zuhause stolz meine neue Rute. Dabei vermied ich es, unser Abenteuer in zu bunten Farben auszuschmücken. Es war der Sache nicht förderlich, meine Eltern mehr als unbedingt nötig zu sorgen. Sie schüttelten angesichts meiner Geschichte den Kopf.
„Junge“, seufzte meine Mutter. „Komm mir nicht eines Tages nach Hause, und du bist ertrunken. Das überlebe ich nicht!“
Ich war etwa dreizehn Jahre alt und weder Aue noch Ziegeleiteich befriedigten mich auf die Dauer. Ich brannte darauf, meinen Aktionsradius zu vergrößern. Im hiesigen Angelverein hatte ich einen weiteren guten Freund gefunden. Joachim war zwei Jahre älter und während ich noch mehr oder weniger eifrig die Schulbank drückte, suchte er bereits nach einer Lehrstelle. So oft es unsere Zeit erlaubte, packten wir unser Angelgerät aufs Rad und fuhren los. Kein Graben, kein Teich, keine Pfütze war vor uns sicher. Es gab kein Gewässer, das wir nicht schon ausgiebig auf Fischbestände untersucht hatten.
Ich erinnere mich noch oft an jenen denkwürdigen Samstag, an dem wir nachmittags los wollten, um auf Aale zu angeln. Unser Ziel war das mächtige Sielbauwerk, das sich unserem kleinen Örtchen gegenüber auf der anderen Seite der Weser befand. Dummerweise stand es schon auf niedersächsischem Gebiet, wo unser Angelschein eigentlich gar keine Gültigkeit hatte. Aber wen störte das? Uns, in unserer Begeisterung für das Fische fangen sowieso nicht. Wir kannten die Bucht, in die das Siel mündete, sehr gut. Von der Flusssohle bis hinauf zum Ufersaum waren die Ufer mit riesigen Granitquadern ausgelegt, um sie gegen den Sog der schnell vorbeiziehenden Seeschiffe zu schützen. Sie bildeten den reinsten Grundbleifriedhof. Bleie, die man dort abriss, fand man zwischen den dicken Blöcken auch bei Ebbe nicht mehr wieder. Trotz dieser Schwierigkeiten war es einer der besten Plätze, um bei strahlendem Sonnenschein große Aale und dicke Barsche zu fangen. Oft genug hatten wir schon Hechte bis acht Pfund am Haken gehabt.
Um gut gerüstet zu sein, musste dringend unser Vorrat an Grundbleien ergänzt werden. Wir fuhren zu Onkel Schorse, der im Keller seines Hauses einen Angelladen besaß. Trotz seines hohen Alters hatte er immer ein Herz für uns Jungs. Schorse war gleichzeitig der Erste Vorsitzende unseres Angelvereins. Darum erfuhr er stets, an welchen Stellen sich das Angeln in unseren Vereinsteichen besonders lohnte. Diese Tipps gab er an uns weiter, und freute sich, wenn wir ihm eine Erfolgsmeldung machen konnten. Warum auch immer, er gönnte uns die großen Fische weitaus mehr, als den anderen, älteren Vereinskameraden.
So standen wir nun in seinem Geschäft und fachsimpelten mit ihm, während wir gleichzeitig noch diesen und jenen Krimskrams aussuchten, auf den ein richtiger Angler nun mal nicht verzichten konnte. Oben ging die Tür auf, und im nächsten Moment kam irgendwer oder irgendetwas die Kellertreppe heruntergepoltert. Mit schweren, halb schlurfenden, halb stampfenden Schritten, erschien eine große Nase in der Tür. Ich hatte schon viele große Nasen gesehen, jedoch diese hier war ein wahrhaft markantes Riechorgan. An der Nase hing ihr Besitzer, ein sechzehn- oder siebzehnjähriger Schlacks mit braunen Haaren, braunen Augen und einem ewig feixenden Gesicht. Das freundliche „Mahlzeit!“, das er uns entgegenschmetterte, ließ auf ein überraschend großes Volumen seiner Lungen schließen, das man in seinem schmächtigen Brustkasten nicht vermutet hätte. Der Schlacks, der mich wohl um Haupteslänge überragte, war in den Schultern genauso breit, wie ein Hering zwischen den Augen.
Er sah, dass wir noch eine Weile mit Staunen beschäftigt sein würden, wandte sich dem Ladeninhaber zu, und verkündete:
„Ich hätte gern ein paar Bleie. Geben Sie mir doch zwanzig Sechziger, zwanzig Achtziger und zehn Hunderter, dazu fünfzig Aalhaken mit Vorfach und `nen heißen Tipp, wo man hier am besten auf Aal fischen kann.“ Sein breiter Ruhrpott-Dialekt war unverkennbar, und unser fragender Blick nötigte ihn zu einer Erklärung. „Ich bin aus Duisburg und erst vor ein paar Wochen hierher gezogen. Ich kenn mich in dieser Gegend noch nicht so gut aus."
Mit guten Ratschlägen konnten wir dienen, und wir erklärten ihm, wo er es unbedingt versuchen musste. Indes, uns beschäftigte mehr die Frage, was der Kerl mit den vielen Bleien wollte. Es sollte zwar Angler geben, die ihren Jahresbedarf immer auf einmal kauften, doch diese Menge hätte bei uns zwei bis drei Jahre gereicht. Der Lange bedankte sich artig für unsere Tipps, und stampfte in seinen schweren Gummistiefeln die Treppe wieder hinauf. Kein Mensch konnte so große Füße haben, diese Knobelbecher mussten ihm mindestens drei oder vier Nummern zu groß sein. Vermutlich berührten Stiefel und Füße nicht gleichzeitig den Boden, was durchaus das Poltern verursachen konnte. Nach einer Weile wurden die Stiefel dann schlurfend ein Stück nach vorn gezogen. Es gab eigenartige Menschen mit eigenartigen Marotten. Wir konnten nicht anders, als noch ein paar derbe Späße über die Länge seiner Arme zu machen, mit denen er während der Schilderung seiner bisherigen, äußerst erfolgreichen, anglerischen Laufbahn so wild in der Luft herumgefuchtelt hatte. Es sah aus, als würde ein Karatekämpfer allein gegen eine Übermacht von übelsten Bösewichten bestehen müssen. Eines musste man ihm lassen, er hatte einen starken Eindruck bei uns hinterlassen.
Wir wandten uns wieder den wirklich wichtigen Dingen im Leben eines Anglers zu, und somit den Aalen, die wir am Nachmittag zu fangen gedachten. Mit der kleinen Fähre hatten wir über den Fluss gesetzt, und der Kassierer hatte uns freundschaftlich auf die Schultern geklopft, wobei er großzügig über die ihm hingestreckten Hände mit den zwanzig Pfennigen Fahrgeld hinwegsah. Bruno war ein feiner Kerl, ein Mann, der auf dem kleinen wild schlingernden Schiff stand, wie ein Fels in der Brandung. Oft, wenn wir spät abends auf dem Anleger standen, die zwei Grundruten mit schweren Laufbleien und Tauwürmern auf Aal ausgelegt, saß er bei uns. Wir klönten, bis die Besatzung des Fährschiffs Feierabend machte. Stets verabschiedete er sich augenzwinkernd mit den Worten:
„So, Feierabend für heute. Denkt dran, die erste Fähre geht früh um fünfe, macht keinen Krach und haltet den Dampfer sauber!“
Dann schwang er sich aufs Rad, und kaum war er durch den Deichschart verschwunden, zogen wir auch schon mit unseren Klamotten um. Leise schoben wir die Tore in der Reling des Schiffes beiseite, gingen an Bord, und konnten jetzt mit weiten Würfen bequem die tiefe Fahrrinne der großen Seeschiffe erreichen. Der Erfolg dort blieb selten aus, und wir zogen die dicksten Aale auf den Kutter. Es war Ehrensache, dass wir den Aalschleim vom Deck des Schiffes in aller Herrgottsfrühe mit dem Schrubber beseitigten, den Bruno wohl versehentlich nicht weggeschlossen hatte.
Heute allerdings standen wir hoch über den Sieltoren, die Ruten an das Geländer gelehnt, und die verbotene Zigarette lässig im Mundwinkel. Petrus sah wohl lächelnd darüber hinweg, denn, trotz der Qualmerei, meinte er es heute wieder gut mit uns. Schon schlängelten sich einige Aale in unseren Eimern, als das Unglaubliche geschah. Ein langer Schlacks fegte auf einem heftig klappernden Rennrad über die Wiese, sprang etwa vierzig Meter von uns entfernt mit einem eleganten Satz aus dem Sattel, ließ das Rad fallen und begann in aller Seelenruhe, seine Angelruten zu montieren.
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