Elsie hält den Kopf schief und blickt neugierig von einem hochgelegenen Ast auf Lady herab. Die weiß nicht so recht, was sie davon halten soll, mustert den Rabenvogel misstrauisch, den im Mondlicht schimmernden imposanten Schnabel, die blitzenden Augen, das leuchtende Weiß im Gefieder.
„Krah, krah!“ Elsie plustert es auf, breitet ihre Flügel aus und hüpft auf einen noch etwas höheren Ast, dann wieder zurück und hin und her, hin und her...
„Sie kann doch noch nicht fliegen“, wendet Lady ein.
„Noch nicht“, ergänzt Mistie.
„Aber bald“, krächzt Elsie und flattert wie zum Beweis auf einen tiefergelegenen Ast hinunter. Die Hündin reckt ihren Hals und beschnüffelt sie prüfend durch’s Gitter. „Und du würdest das wirklich für uns tun?“
„Krah, klar, für euch und für mich. Umsonst ist der Tod.“
„Das muss sie von irgendeinem Wanderer aufgeschnappt haben“, spekuliert Mistie.
„Mir egal“, blafft Lady, „von wem sie es aufgeschnappt hat. Tatsache ist, dass sie bezahlt werden will – zusätzlich.“
„Was heißt hier zusätzlich“, empört sich Elsie.
„Na ja“, meint Lady. „Unsere Menschen retten dir das Leben, verköstigen dich und bieten dir eine Unterkunft. Und wofür das alles?“
„Da hat sie Recht“, meint Mistie.
„Wofür, wofür?“, krächzt Elsie. „Als Wiedergutmachung dafür, dass ihre Artgenossen mich meinen Eltern entführt haben!“
„Unsere Menschen können nichts für die Fehler der anderen!“, erregt sich Lady, aber Elsie hört ihr nicht zu. „Menschen halten sich ja für sooo klug“, schimpft sie und krächzt aus Leibeskräften: „Dumme Menschen, dumme Menschen!“
„Schluss jetzt, alle beide!“, faucht Mistie, vielleicht ein bisschen zu streng. Jedenfalls klammert sich die junge Elster daraufhin an das Gitter und schreit herzzerreißend in den Wald: „Maaama, Paaapa!“
Im Pyjama und noch schlaftrunken, aber bestückt mit einem Napf voll Aufzuchtfutter, biegen Sammy und Sophia um die Ecke, vergewissern sich mit besorgten Blicken, dass alle Tiere unversehrt sind und reden beruhigend auf Elsie ein. „Ist doch alles gut, gibt ja gleich was.“
Mistie und Lady sehen ihre Menschen an. „Und was ist mit uns?“
Sophia reibt sich den Schlaf aus den Augen. „Ihr kriegt natürlich auch was, nach dem Spaziergang.“
„Okay“, fiept Mistie und läuft auf den Waldrand zu. „Ich geh’ schon mal vor.“
„Warte!“, kläfft Lady ihm nach und rennt hinterher.
Unschlüssig, ob sie sie zurückrufen soll, wendet sich Sophia an Sammy. Der stellt Elsie gerade den vollen Napf hin und erklärt: „Wenn absehbar ist, dass ein Hund nicht gehorcht, ruft man ihn besser nicht. Sonst lernt er bloß, dass er das nicht ernst nehmen muss.“ Abschätzend blickt er zu den beiden Tieren. Nahe der Mauer, die das Grundstück vom Waldrand trennt, balgen sie spielerisch miteinander. „Und das ist so ein Fall.“
Besorgt schaut Sophia zu ihren Schutzbefohlenen. „Bist du sicher, dass alle Türen zwischen der Mauer fest verschlossen sind?“
„Ganz sicher“, schwindelt Sammy.
Zwar fragt sich Sophia, wie er das so felsenfest behaupten kann, will es aber glauben und wendet sich der Hintertür zu, die von hier aus schneller in die Villa führt. „Ich zieh’ mir nur schnell was an.“
Sammy ruft ihr erstaunt hinterher. „Willst du jetzt schon in den Wald? Es ist doch noch gar nicht richtig hell!“
Doch sie antwortet nicht, ist längst hinter der Tür verschwunden. Wie Sammy richtig vermutet, erscheint sie in wenigen Minuten im Jogginganzug und läuft auf die immer noch spielenden Tiere zu. Nachdenklich schaut er ihr hinterher, während er die Voliere reinigt.
Lady zieht gerade an Misties Nackenfell herum, als der Ruf eines Eichelhähers sie aufhorchen und in den Wald blicken lässt. „Meinst du, Elsies Eltern sind hier irgendwo?“
Der Marder schüttelt seinen Pelz. „Dann wären sie wahrscheinlich auf ihr Rufen gekommen. Ich vermute eher, diese Leute haben Elsie in einem anderen Wald gefunden. Schau, da kommt Sophia.“
Die Hündin dreht sich um. „Klar. Sie ist eben gut erzogen, gehorcht sogar, ohne dass man sie rufen muss.“
Wieder mal bewundert Mistie die erzieherischen Fähigkeiten seiner Freundin.
„Na ihr Süßen, habt ihr Spaß?“, fragt Sophia, krault beide und wirft einen Blick zur Voliere. Als Sammy ihr einen Moment lang den Rücken zukehrt, überprüft sie die nächstgelegene Gartentür und schimpft auf sich selbst. „Zu, natürlich ist sie zu, hat er doch gesagt.“ Gleich verscheucht sie aber ihre depressive Verstimmung und wendet sich an die Tiere. „Auf auf, wir joggen jetzt ein paar Runden durch den Garten, während es hell wird.“
Lady ist sofort dabei, Mistie anfangs auch. Plötzlich fühlt er sich aber aus dem Wald heraus beobachtet, verharrt und wittert. Sein Bruder? Nein, der riecht anders. Überhaupt riecht es nicht nach Marder, eher nach – Mensch? Nach Mensch mit Hund?
Nein, einen Hund kann er nicht wittern. Vielleicht ein Jogger, der mal kurz innehält? Aber es riecht auch nicht nach schwitzendem Jogger. Unbehagen beschleicht Mistie. Fast fühlt es sich an, als nähere sich irgendein Unheil.
Über das kurzgeschorene Gras hinweg, sieht er, wie Lady und Sophia gerade das Ende des Waldrands erreichen, nun an einer bunt blühenden Streuobstwiese entlangjoggen und schließt sich ihnen wieder an.
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