Keineswegs aber wirkte er gelackt oder etwa unmännlich – im Gegenteil … abgesehen von dem Augen-Make-Up, das ihm aber eigentümlich gut stand. Es umrahmte mit mystischem Dunkel seine leicht mandelförmig geschnittenen Augen und war zum äußeren Augenwinkel hin etwas verlängert. Es verlieh seinem Blick etwas … Unergründliches.
An der Bemalung lag es nicht, was seinen Augen auch etwas Gewisses, ja kaum zu Beschreibendes gab. Sie waren von einer Schwermut umschattet, wie man sie in jungen Augen selten findet; nur in solchen, die schon viel gesehen haben, aber nicht so viel sehen wollten.
Darüber aber machte ich mir im Augenblick noch keine Gedanken. Ich fand den Typen einfach originell. Zwar sonderbar – aber originell!
Es war höchste Zeit zu gehen, denn Hubert drückte die Nase bereits an die Glasscheibe der Eingangstüre und klopfte hektisch an die Scheibe. Ich sperrte ihm auf. Er erkannte die Situation sofort, riss die Türe auf und brüllte:
“Was macht der Vorhang da?“
„Welcher Vorhang?“ Ich stellte mich vorsichtshalber unwissend.
„Der Vorhang von Saal II !“Er deutete in den Raum hinein.
Ich drehte mich um. Da lag die Fensterverdunkelung wie das Bahrtuch des auferstandenen Christus über den Rand des Steinsarkophags drapiert, und wand sich in einer langen Schleppe zu Boden.
„Hab‘ gedacht, das gehört so“, und zuckte mit den Schultern. „Sieht schräg aus!“
„Ich brauche eine Leiter“, raunzte er in sein Sprechgerät und wischte sich über den schütteren Haaransatz, an dem sich deutlich Schweißperlen bildeten.
Erstaunlich war: Hubert hatte in seinem Schrecken über den Vorhang, offenbar gar nicht bemerkt, dass noch ein Gast aus seiner, ihm anvertrauten Abteilung hinausspazierte. Die Tarnung war perfekt, ich fiel in meinem Mantel ja auch niemandem auf.
„Komm, wir gehen!“ Ich packte meinen seltsamen Begleiter am Arm, und rollte ihm dabei noch schnell die Ärmel hinunter, die ich immer hochgekrempelt trug, weil sie mir zu lang waren; nun verschwanden die Armreifen gänzlich darunter.
„Ist besser so“, meinte ich. „Hier geht es hoch.“ Ich deutete Richtung Treppe. „In der oberen Galerie kenne ich ein gemütliches Wiener Kaffeehaus, von da hat man einen tollen Blick über die Altstadt. Das wird dir gefallen.“
Meine edelmütige Absicht war, ihn erst mal durchzufüttern, vielleicht klärt sich dann sein Geist ein wenig und ich erfahre ganz nebenbei ob er es war, der im Mumiendepot den Alarm ausgelöst hat; und ob er der verhinderte Barde war, der gestern im Hof vor mir geflüchtet war. Ob er auch dem antiken Horemhab einen Sack über die unangenehme Visage gezogen hat, und für das Graffiti verantwortlich war, das möchte ich besser nicht wissen. Make-Up an antiken Fassaden anzubringen ist sicher ein ungleich schwereres Delikt als einfach eine Gemeindebau-Hauswand zu verschönern. Wenn ich davon nichts weiß, kann man mich auch nicht ausquetschen. Nicht, dass ich unserer Polizei zutrauen würde, Mitwisser zu foltern um an Informationen zu gelangen, wie in den Vereinigten Staaten möglicherweise Gang und Gebe, aber …
Er unterbrach meinen kopfwehträchtigen Gedankenfluss.
„Warte!“, sagte er und blieb auf der Treppe stehen. „Ich muss zuerst meine Waschungen vollziehen.“
„Ah ja, das Herren-WC ist da drüben.“ Ich deutete auf die große Holztür im Mezzanin. „Da, wo das Männchen drauf ist“, sagte ich und grinste dabei ein wenig schief.
War ich jetzt ironisch? Oder gar unverschämt?
„Ich habe eure Bilderschrift bereits enträtselt, aber trotzdem: danke“, meinte er höflich. Daraus schloss ich, dass er nicht beleidigt war. Er verschwand hinter der Tür und ich setzte mich einstweilen auf die Stufen und wartete …
Eine Ewigkeit und länger.
Vielleicht ist er abgehauen? – kam mir flüchtig in den Sinn. Aber ich fixierte trotzdem weiter die Türe. Wo soll er denn hin? – im Klo gibt es keine Fenster. Also wartete ich.
Wenig später ging ein Besucher hinein … und kam bald darauf mit einem irritierten Gesichtsausdruck und nassen Schuhen heraus, die er sich am bodenlangen Vorhang vom Eingang der Sonderausstellung ausgiebig abwischte. Dabei konnte ich aufschnappen, was er zu seiner Begleiterin, die im Treppenhaus auf ihn wartete, sagte, denn das war nicht zu überhören.
„Da drinnen ist ein Typ – im Vorraum vom Klo“, er deutete hinter sich, „der steht splitternackt beim Handwaschbecken und wäscht sich von Kopf bis Fuß! Ich schätze, die Putzfrau wird keine Freude haben, weil sich bereits ein Teich gebildet hat. Der Kerl gießt sich mit einer Schale das Wasser nur so über. Und aus dem Seifenspender kommt auch nichts mehr raus, weil der Irre alles verbraucht hat!“
Der Mann grantelte vor sich hin, warf dann einen scheelen Blick zu mir herüber und schüttelte pikiert den Kopf.
O mein Gott! Wie kommt er eigentlich auf den Gedanken, dass ich zu dem da drin gehören könnte?
Ich wartete noch, bis die beiden abgezogen waren und klopfte dann verhalten an die große Eichentüre, wo das Männchen drauf ist.
„TUT!“, – wie sollte ich ihn sonst nennen? – „Was machst du da?“
Nichts rührte sich, nur das Rieseln von einem offenen Wasserhahn war zu hören und dann ein Plätschern als wäre hinter dem Eingang ein Wasserfall. Verflixt!, dachte ich, drückte die Klinke hinunter und machte die Tür eine Handbreite auf.
Da stand er in voller Pracht, im großzügigen Waschraum des Museums und bis zu den Fußknöcheln im Seifenschaum. Eine riesige Pfütze Wasser ringsherum, und mit über den Kopf ausgestreckten Armen schüttete er aus einer mittelgroßen Schale weiteres Wasser über seinen Körper.
„Ähm!“, räusperte ich mich kurz.
Er nahm mich nun wahr. Seine Nacktheit vor mir schien ihm keineswegs peinlich zu sein.
„Bei Aton, hier gibt es warmes Wasser, ich habe schon befürchtet, dass ich mich kalt waschen müsste, so wie bei den Barbaren in Kusch …“ Er nannte noch einen weiteren, mir ebenfalls unbekannten Ort, der so klang wie Napata .
„Komm sofort raus!“, rief ich ihm aufgeregt zu, „bevor wir hier wirklich noch großen Ärger bekommen.“
Wieso eigentlich wir ?, schoss es mir durch den Kopf. Lass ihn doch einfach hier stehen und überlass ihn seinem eigenen Schicksal. Was geht er mich eigentlich an?
Aber irgendwie verspürte ich so etwas wie Mitleid. Ihn bedrückte etwas, das war nicht zu übersehen. Als wir die Treppe hoch gingen, hielt er manchmal inne, griff sich an die Stirn, schüttelte dabei den Kopf und wirkte dabei so verloren und eigentümlich desorientiert, als wäre er ein Küken, das eben erst aus dem Ei geschlüpft war. Mein Beschützerinstinkt war erwacht, und gegen den konnte ich sowieso nie etwas ausrichten.
„Warte“, sagte er, „ich muss mich noch salben. Würdest du mir bitte das Gefäß aus meiner Tasche reichen?“
Sie hing zwei Meter nach der Tür. Auch meinen Arbeitskittel und seinen Lendenschurz hatte er hier sorgsam über einen Wandhacken drapiert.
Würde ich seiner Bitte tatsächlich nachkommen und in den See steigen? Nein, das war zu viel verlangt! Drei Sekunden später – ich konnte es nicht fassen – tat ich es! Nur gut, dass ich meine Crocs an den Füßen hatte!
Das Ding ähnelte einer Satteltasche und war aufwendig mit vielen bunten Perlen bestickt. Stilisierte Pflanzen und Tiermotive, auch ein Wagenlenker war abgebildet, der spannte einen Bogen und legte mit dem Pfeil auf eine große Katze an, nein – einen Löwen!
Tolle Arbeit! Vermutlich aus einem Dritte-Welt-Laden. Ich schlug den Überwurf der Tasche zurück. Im Innern befanden sich allerlei, sorgfältig in Tücher gewickelte, kleinere und größere Dinge. Auch eine Art Trichter mit einem dünnen Stiel, ähnlich einer altertümlichen Posaune, lag über der gesamten Breitseite der Tasche. Ein Duft von Harzen und Kräutern stieg in meine Nase.
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