Der durfte es.
Es war kaum wahrzunehmen, aber weil ich eine gute Beobachterin war, bemerkte ich an seinen elastischen Bewegungen eine kleine Unregelmäßigkeit: Er setzte den linken Fuß federnder auf als den rechten; das würde auf eine Verletzung hindeuten, die aber augenscheinlich nicht zu erkennen war.
Jedenfalls strebte er jetzt entschlossen und zielgenau dem Ausgang zu. Der metallbesetzte Gürtel rasselte leise bei jedem seiner Schritte.
Meine Überlegung war – und ich musste schnell überlegen, bevor er verschwand … aber genau genommen konnte er ja nicht einfach verschwinden, da ich ja den Schlüssel hatte –, dass er vielleicht wirklich noch nie etwas von unseren Nationalspeisen gehört hatte. Vielleicht habe ich den offensichtlich Verwirrten damit noch mehr durcheinandergebracht? Diese Überlegung genügte, um mich sogleich schlecht zu fühlen. Dass er mich möglicherweise nur anführen wollte, sah ich doch als höchst unwahrscheinlich an. Denn sogar ich hatte mir im Laufe der Zeit so einiges an Menschenkenntnis aneignen können und merkte, dass er wirklich bestürzt war; noch dazu: Wer würde schon so ein Angebot ablehnen? Auch wenn mir Ex nun vorhalten würde, ich wäre so naiv wie ein Landei.
„Wir essen keine Nubier oder Frankfurter Eingeborene“, rief ich ihm hinterher, selbst auf die Gefahr hin, dass ich mich blamierte. „Da ist hauptsächlich Tierfett drin – vom Schwein – in den Frankfurter Würsteln. Die heißen so, weil sie ein Wiener in Frankfurt kreiert hat. Und die dunkle Süßspeise im Hemd ist aus Schokolade, mit viel Obers … Sahne “, korrigierte ich mich. Vielleicht versteht er das besser.
Abrupt blieb er stehen und drehte sich zu mir um – es sah aus, als überlege er, ob er mir trauen könnte –, dann kam er zögernd auf mich zu. „Ich befinde mich zurzeit in einer Situation, in der ich mir nicht aussuchen kann, was ich zu mir nehme“, sagte er in hoheitsvollem Ton, verhaltener fuhr er dann fort: „Ich nehme dein Angebot gern an und werde die mit Tierfett gefüllte Haut essen.“ Dabei verzog er sein hübsches Gesicht mit der klassisch eleganten Nase zu einer schlimmen Grimasse. Daran war unschwer zu erkennen, dass er wohl Besseres gewohnt war als unsere Nationalspeisen.
„Natürlich werde ich deine Gastfreundschaft nicht unentlohnt ihn Anspruch nehmen“, meinte er jetzt so geschraubt, als würde er in einem alten Hollywoodfilm mitspielen – mit Liz Taylor versteht sich!
Er kramte in seiner offenbar tiefgründigen Tasche, wickelte etwas aus, das in einem weißen Tuch verborgen war, und reichte es mir. Es war ein wuchtiger goldfarbener Ring, mit einem Stein, der aussah wie ein echter Lapislazuli. Jedenfalls war der Stein in einem tiefen Blau, mit kleinen goldenen Einschlüssen versehen und hatte, wie auch der Anhänger vor seiner Brust die Form eines Skarabäus. An der einen Seite des Steins war eine kleine stilisierte Barke mit einer silbernen Scheibe und gegenüber prangte ein geflügeltes Wesen. Es sah aus wie ein Falke und war ebenfalls mit einer Scheibe behaftet, die aber in Gold glänzte.
Ich betrachtete das ungewöhnliche Ding von allen Seiten. Dieses Replikat muss enorm teuer gewesen sein, sicher um die dreihundert Euro, schätzte ich. Es war ein sehr aufwendig gearbeitetes Replikat, das konnte sogar ich als Laie unschwer erkennen.
„Ist dir dieser recht? Ich kann dir aber auch noch eine von meinen Armspangen überlassen“, bot er an und wollte sie schon vom Arm ziehen.
„Nein, das kommt gar nicht infrage“, wehrte ich ab und gab ihm den Ring wieder zurück.
„Mein Versprechen halte ich – du bist natürlich eingeladen.“
Danke!“ Er lächelte nun und weiße, makellose Zähne blitzten hinter den fein geschnittenen, vollen Lippen hervor.
„Hast du noch ein anderes Outfit in der Garderobe?“ Meine Frage war sinnlos, denn ich glaubte ohnehin nicht daran … und so war es auch.
Vor der Tür angekommen zog ich meinen Arbeitsmantel aus – ich hatte ja meine Jeans und ein Shirt darunter an – und reichte ihn meinem spärlich bekleideten Gast.
„Komm, zieh den an“, sagte ich, „wir sollten kein unnötiges Aufsehen erregen!“
Ich dachte da an die anderen Kollegen und die Aufseher, die sicher geschmacklose Meldungen schieben würden, wenn sie mich mit einem seltsamen Halbnackten im Schlepptau sehen würden. Nicht dass es mich gestört hätte, wenn die meinen könnten, Freak und Freak gesellt sich gern, aber ich verspürte einfach keine Lust auf eventuell zweideutige Kommentare.
Er sah mich so verwundert an, als hätte ich ihm ein äußerst kostbares Geschenk, in etwa einen Krönungsmantel überreicht. Dann bedankte er sich gestenreich, in dem er meinen, mit Farbkleksen behafteten Arbeitskittel über beide Unterarme legte und eine Verneigung vor mir und dem Mantel machte, bevor er ihn anzog.
In meiner weißen Malerkluft wirkte er noch seltsamer als davor. Der weite Kittel reichte ihm nur bis knapp unter die Knie und endete in einer ausladenden Glockenform. So nahm ich meinen Mantel noch nie wahr, so … abgefahren! Irgendwie sah er jetzt aus wie Gustav Klimt im Nachthemd von Emilie Flöge. Zumindest ab dem Hals abwärts. Ich konnte ein Lachen nur mühsam unterdrücken.
„Steht dir gut“, meinte ich trocken.
„Danke!“, sagte er und sogleich straffte sich seine Gestalt: „Du musst mir meine Unhöflichkeit verzeihen, ich habe mich noch nicht vorgestellt.“ Er schlug sich mit der rechten Faust an die Brust und deutete wieder eine Verbeugung an, die ein wenig linkisch ausfiel, als wäre er es nicht gewohnt, sich zu verneigen.
„Ni‘ib-chefre-Re, Ka-nechet-tawata-masawat, Nefer-chepawa-segerach-tauri …“, und knüpfte noch ein Etcetera an. Vermutlich hatte er noch ein paar Namen, die er aber nicht alle aufzählen wollte, vielleicht um mich nicht zu langweilen. Und dabei war er aber noch nicht fertig. „Wetes-chawa-sa-hetep-natchawa, Wetes-chawa-jat-if-Re“, fuhr er fort und machte bei Re ein Zeichen in die Luft, als würde er jemanden grüßen wollen. Schließlich endete er mit etwas, was sich anhörte wie: Tawata-anch-Jamanou.
„In der konstruierten Lehrbuchaussprache deiner Kultur: Tutanchamun“, fügte er hinzu. Daraufhin legte er den Kopf ein wenig schief, denn er musste mein entgeistertes Mienenspiel wahrgenommen haben, das bei mir auch immer mit einem halb geöffneten Mund einhergeht, und fragte charmant: „Soll ich dir alles übersetzen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Mach dir nicht die Mühe – vielen Dank!“
„Auch gut. Du darfst mich aber Tut nennen – wenn du möchtest.“
„Freut mich, ich heiße Isa.“
„So wie Isis ?“ Er wirkte plötzlich irritiert.
„Nein, nur Isa“, entgegnete ich. „Und wie lautet dein richtiger Name?“
Verständnislos sah er mich an.
„Ist schon okay, Tut “, sagte ich.
Ist wirklich ein Freak, dachte ich.
Zugegeben, einen kauzigen Sonderling stellt man sich anders vor, in etwa wie Cousin Flori, mit seinem ungepflegten Äußeren, der schon seit Äonen Astrophysik studiert, aber am liebsten Ufologe wäre. Das erkennt man gleich an seinen Star-Treck-Shirts, die bereits um die Taille spannen, und an seinen abgetretenen Military-Stiefeln, in denen er ungezwungen durchs Leben schlurft. Hochintelligent zwar, aber in seiner eigenen verschrobenen Welt gefangen, und nichts aus sich macht, nur seinen Eltern in der Tasche liegt.
Der hier war eine imposante Erscheinung, um nicht zu sagen ein Eye Candy.
Mittelgroß, schlank, muskulös, aber nicht so übertrieben, wie man es von proteinfutternden Athleten gewohnt ist – nur so viel, dass man ahnen konnte, er betreibt regelmäßig Sport. Und er war gepflegt: vom Scheitel bis zu den offensichtlich manikürten Zehennägeln. Von meiner Großtante, die auf die hundert zuging, wusste ich, dass es in ihrer Jugendzeit und früher üblich war, eine Art Wildlederfeile zu benutzen, um sich damit die Hand- und Zehennägel zu polieren, bis sie so glänzten, wie die von meinem Gegenüber. Heute wird dieses Ritual nur noch von besonders gepflegten Personen vollzogen.
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