So wurde auch er ein wenig unsterblich.
Ich denke, wer in die Volksseele eines Landes eingegangen ist, der stirbt auch nicht! Ist das nicht genug Unsterblichkeit? Was braucht es da noch mehr?
Mein Religionslehrer war anderer Ansicht, denn über „Auferstehung“ vertrat er eine ganz andere Meinung als ich. Er meinte, wenn es nach ihm ginge, würde ich sitzenbleiben. Denn, als Einzige in der Klasse, hatte ich eine Vier Minus in Religion – das war aber eher eine Note für Betragen, denn Prüfungen gab es da nicht.
Die Kerzenschlucker hatten aber auch mit Wiggerl ihre liebe Not, denn zu Kronprinz Rudolf – dem österreichischen Thronfolger – meinte der Bayernkönig einmal in einem Schreiben: Religion ist nur etwas für das einfache Volk, wir als Aufgeklärte können uns nicht wärmen daran … Diese Meinung vertrete ich auch, obwohl ich es nicht so abgehoben formulieren würde, aber ich bin ja kein König. Ansonsten habe ich Ludwig immer als mir seelenverwandt gesehen: stolz, eigenwillig und unbequem! Immer gegen den Strom schwimmend und immer in Opposition zu den Beamtenseelen seiner Minister. Genau wie ich … wenn man mich ließe, wie ich wollte.
Was andere von mir dachten, das hat mich früher nie viel interessiert. Irgendwann aber, ich weiß nicht wann und warum, begann sich das zu ändern und ich hinterfragte meine Handlungsweisen, ob sie im Einklang mit dem stünden, was man von mir erwartete.
Manchmal kam es mir so vor, als würde mich etwas Undefinierbares fest in seinen Fängen halten und meine Entfaltung bremsen. Ich fühlte mich wie ein Wesen, eingeschlossen in einen Kokon, das seine Bestimmung noch nicht gefunden hatte, das von Mutter Natur einfach vergessen wurde – dahinschlummernd in seiner Unterentwicklung.
Was brauchte ich, um mich entfalten zu können? Sicher keine keltisch roten Haare, die mir Ralph, gleich zu Beginn unserer Beziehung aufschwatzen wollte, weil ihm mein Naturblond nicht gefiel oder weil er ganz einfach immer etwas auszusetzen hatte an meiner Erscheinung und an meinem Auftreten. Merkwürdig nur, dass er sich selbst blonde Strähnen machen ließ – um wie ein sonnengebleichter Naturbursche auszusehen …?
Damals wusste ich noch nicht warum er das machte.
Ich beschloss jetzt weiterzugehen, denn etwas Schweres legte sich auf meine Seele – zu viel grübeln hatte mir noch nie gut getan.
Zwölftausend Objekte sollten in der ägyptischen Abteilung gelagert sein. Vielleicht weniger davon ausgestellt, denn sonst würde ich den ganzen restlichen Tag hier verbringen – es gefiel mir hier. Ich war in eine andere Welt getreten und genoss die fremdartige Atmosphäre wie andere einen exotischen Urlaubsort.
Da entdeckte ich etwas in einer Vitrine: Wanddekorationen aus Amarna. Gebrannt und glasiert – leuchtende Fayence-Blumen aus einer versunkenen Stadt – Echnatons Residenzstadt, sie soll einer grünen Oase geglichen haben: Nicht nur Unmengen von lebende Pflanzen haben den Palast und die Bürgerhäuser verschönt, überall waren auch Malereien und keramische Dekorationen in bewegter, naturalistischer Weise an den Mauern der Stadt angebracht. Sie waren so ganz anders als die üblichen ägyptischen Darstellungen, die statisch und nach einheitlichem Schema gestaltet waren. Der „Ketzer“ auf dem Thron sollte diesen zauberhaften, aber kurzlebigen Stil geprägt haben. Dass er damit den Jugendstil vorweggenommen hat, ist meine Interpretation.
Leider haben nur ganz wenige Zeugen dieser Zeit auch den Weg ins Wiener Museum gefunden. Gerade mal eine Hand voll dieser bunten Dinger lagen da und funkelten aus ihrer gläsernen Ummantelung hervor: Niedliche kleine Gänseblümchen, Margeriten auf einer Kachelhälfte, Bruchstücke … als wären sie aus dem Haus mit dem Engelsgesicht geflohen.
Dann hier, in der Vitrine beim Fenster: Fingerringe aus Fayence, in glänzenden Oxydfarben; verschiedene Darstellungen sind darauf: ein Fisch, ein gehörntes Tier – vielleicht eine Gazelle? Eine stilisierte Lotosblume, ein Udjat-Auge. Zweck des Schmuckes aus dem fragilen Material angeblich unbekannt. Muss alles einem Zweck dienen?
Nebenan lag eine Gestalt in Mumienform und war ebenfalls aus gebranntem Ton: Osiris, der Gott der paradiesischen Unterwelt. Mit erigiertem Penis!
Den Symbolwert dieser Skulptur dürfte man verstanden haben, denn eine lange und breite Erläuterung über diese Erscheinungsform stand auf einer Tafel. In Kurzfassung: Osiris, ein ehemals sterblicher König, wurde ermordet und von Isis wiedererweckt, danach ward sie – o Wunder – von ihm schwanger! Sohn Horus entstand.
Für mich aber schlichtweg auf einen anderen, einfacheren Nenner gebracht, denn, es kann keine Auferstehung von den Toten geben. Möglicherweise war der Typ gar nicht hinüber, sondern nur lustlos? Dann aber – ohne Wunder – wurde sein bestes Stück wiedererweckt, allein durch den Zauber einer Klassefrau, und das ganz ohne Viagra; und ganz ohne Mystifizierung.
Vielleicht sollte man die Erklärung der Symbolik noch einmal überdenken?
Wie um meine These zu untermauern, lagen gleich hinter Osiris einige Fragmente der durchsichtig zarten Leinengewänder, die von den Frauen dieser Zeit getragen wurden; nun aber bereits vergilbt und brüchig, konnte man dennoch ahnen, wie hochstilisiert und kultiviert diese Amarna-Zeit war, die für die Kunst lebte und nicht für die Kriege …
Make Love – Not War dürfte daher auch einer von Echnatons Wahlsprüchen gewesen sein … Ich musste in mich hineingrinsen. Einleuchtend, wenn man sich die Damen, in ihren lichtdurchlässigen Gewändern vor Augen führt. Da erscheint unsere Epoche direkt verklemmt.
„Du bist eine Schlaftablette und kein Viagra!“
Verdammt! Ab und zu geisterten beleidigende Sätze von Ralph in meinem Kopf herum und waren nicht hinauszubekommen.
„Was ist bloß los mit dir? Wozu habe ich eine junge Frau?“, schnauzte er mich des Öfteren an. „Jede Oma ist sexuell gewiss aktiver als du …“
Komisch nur, immer wenn ich Initiative ergreifen wollte, zog er eine Augenbraue hoch. Da ließ ich es irgendwann bleiben. Lag es möglicherweise doch an mir? Hätte ich mich mehr bemühen sollen?
Aber ich hatte einfach keine Lust, und irgendwann unterließ ich es auch, so zu tun, als hätte ich welche.
In der Vitrine daneben, erblickte ich einen zauberhaften Handspiegel, seine Fläche war aus poliertem Kupfer. Ich beugte mich über den Schaukasten und betrachtete mich darin. Das kostbare Artefakt verlieh den Gesichtszügen einen warmen Glanz und gehörte einer Frau, die vor mehr als dreitausend Jahren gelebt hat. Was dachte sie ? Was fühlte sie ?
Doch, wenn ich mich so ansah darin, sah ich auch nur die Oberfläche sich spiegeln und nicht das, was verborgen war. Ich sah nur große Augen, im eindruckslosen Braun, in einem zierlichen Gesicht; gebändigtes blondes Haar und sonst nichts. Ich wandte mich schnell ab und ging in den letzten Raum.
Der war ganz in Schwarz, wie das Innere einer Schuhschachtel für edle Treter. Da fand ich den Horemhab. Zumindest stand das unterhalb an der Tafel. Fast hätte ich auf ihn vergessen.
Die Figur aus Quarzit war von einem grellen Spotlicht beleuchtet und stellte einen Kerl dar, der auf mich wie ein Schauspieler wirkte, der einen Pharao darstellen sollte. Er hat eine übergroße, vorspringende Nase wie Gerard Depardieu und ein überhebliches Grinsen im Gesicht.
Den Krieger, der er gewesen sein soll, sieht man ihm eigentlich nicht an, dafür aber hat er einen gewissen verschlagenen Ausdruck im steinernen Konterfei, der auch der Nachwelt verraten konnte, dass seine Thronbesteigung möglicherweise nicht rechtmäßig war. Der Bildhauer des Altertums hat diese Spekulation meisterhaft getroffen. Die subtile Rache eines Künstlers, der besseren Zeiten nachtrauerte?
Der Typ war als Doppelfigur herausgemeißelt, zur Linken des Pharaos saß Gott Horus. In der Darstellung: ein Vogelhaupt mit Menschenkörper. Und was mich nicht verwunderte, dass der selbst ernannte Herrscher genauso groß war wie der Gott daneben – aber, eh klar! Warum kleckern? Beide waren dem Betrachter in sitzender Position zugewandt.
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