1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 „Es geht nicht um einen alten Fluch, Isa, es geht um etwas anderes …“
Der kleine, hagere Mann atmete flach – es wirkte, als ob ein Fisch nach Luft schnappen würde.
„Heute Morgen ist noch etwas vorgefallen“, bekundete er bedeutungsschwanger und bat mich, mit ihm in eine der Seitennischen zu gehen, etwas abseits der Besucher. „Wo keiner mithören kann!“
Und weil ich mit der Durchsetzung meiner Wünsche immer etwas nachlässig war, folgte ich ihm dorthin. Aber auch da sank seine Stimme zu einem Flüsterton herab, obwohl die Entfernung zu groß war, als dass die anwesenden Menschen in der Halle selbst ein laut gesprochenes Wort mitbekommen hätten.
„Ich hatte eben den Dienst in meiner Sammlung angetreten“ – damit meinte er die Ägyptenausstellung – „da kam auch schon die Kuratorin auf mich zu und hatte mich darauf hingewiesen, dass sämtliche Kameras in den Räumen ausgefallen seien und ich die Abteilung gleich schließen solle. Irgendetwas sei mit der Elektronik nicht in Ordnung!“
„Wie das?“, gab ich mich zwar interessiert, betrachtete dabei aber meine Fingernägel und beglückwünschte mich für meine Disziplin, bereits seit Monaten nicht mehr daran herumgekaut zu haben.
„Keine Ahnung! Die haben das immer noch nicht im Griff. Jedenfalls, so früh am Morgen waren ja noch keine Besucher da, aber trotzdem: Ich ging noch eine Runde durch alle Räume. Ich bin immer sehr gewissenhaft, das weiß man ja von mir – oder nicht?“
Ich nickte, weil ich wohlerzogen war.
„Da war auch noch alles in Ordnung. Ich habe aufgepasst wie ein Wachhund, ich habe nichts und niemanden gesehen. Es war keiner da – das schwöre ich!“ Er hob die Hand, wie um das Gesagte zu bekräftigen.
„Dann sperrte ich die Tür zu.“
Hubert wirkte plötzlich wie gehetzt und beugte sich näher zu mir, sodass ich seinen schlechten Atem riechen konnte.
„Ich musste aber bald darauf noch mal in die Räume, da ich festgestellt habe, dass ich mein Funkgerät liegen gelassen haben muss, und …“, er stockte und riss die Augen auf, „… da war plötzlich der Sack da!“
„Was denn für ein Sack?“, fragte ich unaufgeregt und versuchte, etwas mehr Abstand zu gewinnen.
„Na, ein Sack!“ Hubert japste nach Luft. „Ein weißer Leinensack, den man dem Horemhab über den Schädel gestülpt hat!“
„Wer um alles in der Welt ist denn Horemhab?“, fragte ich, da ich im Moment nicht wusste, wo ich den Typ hingeben sollte.
Seine Stimme hob sich: „Na, das ist der, vom Ende der 18. Dynastie, ein Usurpator, ein Emporkömmling, sagt man – ein ehemaliger General, der sich auf den Thron gesetzt hat, nachdem der Goldene Pharao so jung verstorben ist, und nachdem auch der alte Eje hinüber ist.“ Das Aufsichtsorgan fuhr sich mit dem ausgestreckten Daumen von links nach rechts über den Hemdkragen, wohl um seine Worte anschaulicher zu unterstreichen.
„Eje?“
„Na, der vermutliche Vater von der Nofretete, der dem Goldenen auf den Thron gefolgt ist, für drei oder vier Jahre.“
„Dem Tutanchamun?“
„Ja, ja!“, antwortete er gereizt.
Normalerweise erging sich Hubert in langen Abhandlungen, aber an diesem Tag war er so aufgebracht, dass er eine SMS-Kurzform vorzog, um mir zu schildern, wer diese Typen waren, von denen ich noch nie etwas gehört hatte: Horemhab und Eje.
„Gott sei gedankt!“, sagte er und schlug ein Kreuz, wie eine Betschwester in der Maiandacht. „Ich habe den Sack noch rechtzeitig herunterbekommen vom Steinschädel – bevor das jemand anderem auffallen konnte –, denn der war auch noch arg verschnürt: wie ein Paket! Die schicken mich doch sofort in Ruhestand, wenn sie der Ansicht sind, dass ich meine Aufsichtspflicht vernachlässigt habe.“
Das Gesicht meines Gegenübers hatte mittlerweile eine fahle Blässe angenommen.
„Schauen Sie nur, Isa!“ Hubert holte aus seiner Hosentasche ein zusammengeknülltes Stofftaschentuch hervor und hielt es mir geöffnet unter die Nase. Es war voll mit ziegelroter Farbe und es stank nach Schnaps.
„Das Schlimmste aber war das“, fuhr er aufgeregt fort. „Der Kopf der Statue war unter dem Sack mit dieser Farbe bemalt! Irgendwelche Striche oder auch Zeichen – möglicherweise auch ein Fluch!“ Er klopfte sich an die Brusttasche. „Nur gut, dass ich immer ein Fläschchen Alkohol bei mir habe … Magenbitter!“, beeilte er sich, mich aufzuklären. „Mit dem Sacktuch habe ich die Farbe dann gut abbekommen. Vielleicht hat das Schlimmeres verhindert.“
Schlimm fand ich, dass er das schmutzige Ding noch bei sich trug und sich weiter bemüßigt fühlte, es mir unter die Nase zu halten. Leider hatte ich den Ruf, verschwiegen wie ein Grab zu sein, eine Eigenschaft, die man so schätzte, dass man mich gern als Klagemauer benutzte, um seine beruflichen Sorgen oder auch privaten Probleme bei mir abzuladen. Ich für meine Person aber kannte kaum jemanden, der sich für meine Geschichten interessiert hätte … Aber genau genommen gingen die ohnehin keinen etwas an.
„Und den Sack, haben Sie den auch noch dabei?“, fragte ich jetzt leicht verdrossen.
„Natürlich nicht, den habe ich entsorgt – vorsichtshalber.“ Er steckte das Tuch wieder ein.
„Gell, Isa“, sagte er in beschwörendem Ton und legte die Stirn in Falten. „Sie sagen es eh nicht weiter?“ Er schaute mich groß an und wartete, dass ich bestätige, was er hören wollte.
„Herr Hubert, Sie können sich darauf verlassen!“ Beschwichtigend klopfte ich ihm auf den Oberarm und versicherte ihm, dass er es gut gemacht hätte, wie er es gemacht hatte – besser als mit seiner Methode könnte ein hochbezahlter Restaurator die Farbe auch nicht abbekommen haben.
Er fühlte sich sichtlich geschmeichelt und sah auch wieder etwas entspannter aus.
Normalerweise bemühte ich mich nicht darum, von Männern als besonders bestrickend wahrgenommen zu werden, aber hier hatte ich Handlungsbedarf und einen Hintergedanken: Meine Neugierde war geweckt und daher erwog ich, noch etwas charmanter vorzugehen. „Herr Hubert, würden Sie bitte so freundlich sein“, säuselte ich und lächelte gezwungen, „darf ich die Sammlung sehen … und Ihren geretteten Horemhab?“
O Wunder, es hat gewirkt! Hubert zwinkerte mir zu und sagte: „Isa, Sie gehören ja so gut wie zum Personal … das kann ich verantworten.“ Dann kramte er in seinen Hosensäcken, fand scheinbar nichts, dann weiter in den Taschen seines Aufsehersakkos – da war er: der Schlüssel! Er reichte ihn mir. „Gehen Sie nur hinein, aber sperren Sie hinter sich zu, ich komme dann später vorbei und hole ihn mir wieder. Ich rufe Sie dann auf dem Handy an, damit Sie mir aufmachen können. In Ordnung?“
„Ja, danke! Alles klar.“
Bevor er in Richtung der Garderoben davonging, murmelte er noch etwas von einer Pause und einem deftigen Jausenbrot, das auf ihn warten würde, ansonsten könnte er diesen ganzen Stress im Museum nicht durchstehen. Vermutlich hatte er auch ein Rendezvous mit einem Dosenbier, oder zwei, das würde dann sicher länger dauern, und das war mir mehr als recht.
Die schwere, mit Intarsien verzierte Eichentür und den ornamental geätzten Glasfenstern fiel hinter mir ins Schloss. Ich sperrte – wie mir Hubert aufgetragen hatte – die Abteilung von innen zu und somit das Leben draußen aus.
Der erste Raum, Glanz einer versunkenen Epoche, tat sich vor meinen Augen auf wie ein Bühnenbild: das alte Ägypten!
Ich schöpfte tief Atem … ich war ganz allein und es war so still hier.
Die Stimmung in diesem Teil des Museums war eigentümlich andachtsvoll, fast wie in einer christlichen Kathedrale. Aber das hier war weit vor den ersten Christen – eine Kultur, so fremd und doch wieder nicht, obwohl mein Wissen darüber nur Bruchstückhaft vorhanden war. Sieht man denn nicht in jedem Museum der Welt die Grabbeigaben und in den Souvenierläden noch mehr Replikate und kitschig bedruckte T-Shirts mit altägyptischen Motiven?
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