Und damit meinte er meinen großzügigen Malerkittel.
“Lass dich ansehen – du hast ja Hüfte!“
Dann bemerkte er meinen Begleiter.
„He, das muss ja ansteckend sein, habt ihr denselben Schneider oder was?“, gab er dämlich grinsend von sich und verzog sich in Richtung Haupteingang, wo eine Reisegruppe für die nächste Führung Aufstand genommen hatte.
Blödmann!, dachte ich bei mir.
„Dieser Mensch ist nicht sehr gebildet“, bemerkte Tut lakonisch.
Da waren wir uns einig. Auch wenn er es aus einem anderen Grund feststellte.
Endlich, oben im Café angekommen, hatte es sich mein Gast, angesichts der breiten Auswahl in der Vitrine, überlegt – auch mein: „Ich esse nichts“ ignoriert – und statt der unscheinbaren Frankfurter – auf der Speisekarte stand: Wienerle – für uns einige der lustigen Petits Fours gewählt.
Die, mit blau, grün, rosa und gelber Zuckerglasur überzogenen Kunstwerke aus Biskuitteig, mit diversen süßen Cremes oder Marzipan gefüllt – mit den an der Spitze angebrachten kandierten Kirschen, Pistazien oder Schokopünktchen –entzückten ihn offensichtlich so sehr, dass er gleich ein Dutzend dieser kleinen Köstlichkeiten bestellte. Besonders die mit der Blattgold-Dekoration fand er außerordentlich einladend, da sie ihn an zu Hause erinnerten, wie er mir gestand. Dazu wählte er Tee.
Da es keinen mit Koriander und Sternanis und auch keinen mit Kornblumen und Kardamom gab, bestellte er Minze und Kamille, nachher probierte er noch von meiner Heißen Schokolade, weil er so etwas nicht kannte. Was mich bewog Heiße Schokolade zu bestellen, weiß ich nicht. Ich hatte schon seit Jahren keine mehr getrunken, deshalb, weil sie so ekelhaft süß schmeckt.
Aber gerade die hatte es ihm besonders angetan, und daher orderte er sie auch für sich; aber diesmal mit viel Obers, Zimt und Vanille und mit Honig gesüßt – nicht mit Süßstoff, so wie ich sie nahm, da ich mich noch rechtzeitig einzuschränken wusste. Davon hielt er nichts, denn Pillen seien nur etwas für Kranke.
Zum Drüberstreuen – und weil es vom Nebentisch so gut herüberduftete – bestellte er für mich den KHM-Toast, weil er der irrigen Ansicht war, ich hätte noch kaum etwas gegessen. Nach anfänglichem Sträuben verdrückte ich also – aber nur ihm zuliebe … Wieso eigentlich? – das gebratene Hühnerfilet, mit Sauce Mornay auf Weißbrot serviert, und musste meine Ansicht gegenüber fettigen Saucen revidieren: Dieses fremdartige Ding schmeckte überraschend köstlich! Währenddessen er mir weitere Petits Fours auf den Teller lud und ich auch noch die picksüßen Bomben wie paralysiert vertilgte, befragte er mich interessiert über meine Tätigkeit im Museum. Ich erzählte ihm selbstverständlich von Tizian und den anderen Renaissance-Malern – ein Spezialgebiet von mir. Dass er eigentlich gern etwas über mich erfahren hätte, wäre mir nie in den Sinn gekommen.
Erwähnen möchte ich, dass Tut gewiss über seine gefährliche Ausrüstung nachgedacht hatte, denn nachdem er sich in der Runde umsah und nicht nur die Gäste, sondern auch das Personal als harmlos eingestuft hatte, entledigte er sich der mit Griff geschätzten Dreißig-Zentimeter-Waffe unbemerkt unter dem Tisch und verstaute sie in seiner Reisetasche.
„Den brauche ich hier nicht“, meinte er. Er war sich also mittlerweile sicher, dass ich ihn nicht in eine Spelunke geschleppt hatte, in der man Ortsfremde überwältigt, häutet, um sie den Eingeborenen zum Fraße vorzuwerfen.
Später, angesichts der unvermeidbar hohen Rechnung, die sicher nach dem Gold-Index berechnet wurde, sagte ich dem Zahlkellner – der mich gottlob kannte –, ich würde dann am folgenden Tag den Rest bezahlen, sobald ich einen Bankomaten geplündert hätte. Er lächelte säuerlich, verlangte aber trotzdem schon sein Geld.
„Wir geben ihm den Ring“, flüsterte mir Tut verschwörerisch zu.
„Nein, der will Geld!“
„Ah ja, Geld! – Ein Mittel, das die Tauschgeschäfte von Naturalien überflüssig macht“, zitierte er wie aus einem Lehrbuch. „Ich finde es aber als nutzlose Einrichtung, ohne bleibenden Wert. Im Übrigen ist Verteilungswirtschaft der Marktwirtschaft vorzuziehen – zum Wohle des Volkes.“
Ich grinste und sagte zu dem Kellner: „Na sehen Sie, mein Kollege hier …“, und deutete auf den Mann in meinem Arbeitsmantel, „der meint auch, dass Geld keinen Wert hat … Wollen Sie, dass ich Ihnen stattdessen etwas male?“
Der Mann mit dem Kassenbon zog die Augenbrauen hoch, produzierte Dackelfalten auf der Stirn und selbst das säuerliche Lächeln war verschwunden.
Warum es bei dieser Art von geldloser Gesellschaft zu keinem Preiswucher kommen kann, wollte er dann von Tut überhaupt nicht mehr hören, denn er zeigte erneut – diesmal sichtlich erbost – die Rechnung vor.
Ich versicherte ihm, dass es bloß ein Scherz war und dass ich gleich zum nächsten Bankomaten gehen werde. Mein Begleiter würde einstweilen hier warten.
„In Ordnung.“ Der Kellner verzog sich, murmelte aber im Gehen noch etwas wie Künstlervolk , und das klang eher geringschätzig.
Beschwörend wandte ich mich an Tut: „Bitte geh hier nicht weg, sonst haben wir das gesamte Kaffeehauspersonal auf den Fersen – ich bin gleich wieder da!“
Er versprach es, sagte mir aber noch in entschuldigendem Ton: „Normalerweise ist der Pharao für die Verteilung der Güter zuständig. Ich bedaure sehr, dass ich nun mit dieser Tradition brechen muss, aber ich werde mich gewiss, und nicht zu deinem Nachteil, anders revanchieren.“
Was er damit meinte, das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Er winkte einen Ober herbei und bestellte ein neues Schüsselchen mit Wasser, um sich darin die Finger zu baden, genauso wie er es vor dem Essen auch getan hatte. Die Blütenblätter einer Nymphaea caerulea obendrauf wollte oder konnte man ihm nicht bringen, deshalb legte man ihm beide Male nur eine Zitronenscheibe ins Wasser.
Die Suche nach einer Geldausgabe außerhalb des Museums erschien mir zu aufwendig, daher ging ich nur ins Untergeschoss zu der netten Garderobiere, die sich immer nach dem Fortschreiten meines Ölschinkens erkundigte, und bat sie, mir die restlichen 50 auf die 85 Euro der Rechnung zu leihen.
Sie tat es bereitwillig, bedachte aber den Pächter des Cafés nebenbei als Halsabschneider und das noble Etablissement als Touristenfalle. Natürlich verschwieg ich ihr das konsumierte Blattgold, um nicht als versnobt zu gelten.
Erleichtert lief ich die Treppe zum Café hoch – und traute meinen Augen nicht: Auf meinem Sessel saß Charlotte! Ich erkannte sie bereits von hinten. Und das nicht nur an ihrer Haartracht, die sie seit Kurzem in Fuchsrot trug, sondern insbesondere daran, dass niemand sonst außer ihr die Courage hat, sich mir nicht dir nichts an einen belegten Platz zu setzen, obwohl es noch reichlich Auswahl an freien Tischen gab.
„Ah, hallo Isa?!“ Sie setzte einen überraschten Ausdruck auf. „Ich habe mich gerade mit unserem Kollegen unterhalten wollen“, sagte sie gedehnt und funkelte Tut mit ihren graublauen Augen an. Ihre Pupillen waren erweitert, und daran merkte ich gleich, was in ihr vorging. Nur widerwillig stand sie auf und überließ mir den Platz, als ich andeutete, dass dies mein Sessel sei.
„Er hat mir noch nicht viel erzählt“, säuselte sie kokett, stellte sich dann neben ihn und nestelte mit ihren langen Fingernägeln, die sie an diesem Tag in Aubergine trug, an Tuts bzw. meinem Arbeitsmantelkragen herum, klappte schnell das angesteckte Kärtchen um, zumal sie wohl dachte, es wäre seines.
Enttäuscht zog sie die Finger zurück, da stand ja nur … mein Name: Isa Lindenbaum – Kopistin . Sie blickte mich verdutzt an.
„Ich hab ihm meinen Mantel geborgt, weil … weil ich mit meiner Farbpalette … natürlich völlig unabsichtlich, seine Klamotten streifte“, log ich rasch, noch bevor sie Fragen stellen konnte. „Seine Sachen lasse ich von der Reinigung…“ Das schien sie jedoch nicht die Bohne zu interessieren, denn sie hatte ihre ganze Aufmerksamkeit wieder voll und ganz ihm zugewandt.
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