„Was ist meine Bestimmung, Apollon? Wohin führt mich mein Weg? Wozu bin ich da?“ Seine Stimme hallte in dem Raum und kam mehrmals gebrochen zurück und blieb ohne Antwort. Wieder schrie er ungeduldig werdend die Fragen. Schließlich drehte er sich zu mir um, als hätte ich Schuld daran, dass man ihm nicht antwortete. Mein Traumgesicht hatte ihn schließlich darauf gebracht hierher zu kommen und ich wollte ihm helfen und rief dem Apollonkopf zu: „Was ist Alexanders Bestimmung?“ Meine Stimme verhallte. Der Gott antwortete nicht.
Mit vorwurfsvollem Blick nahm Alexander seinen Helm und stand auf und wir wandten uns dem Ausgang zu. Doch nun kam eine Antwort. Anders, als wir es erwartet hatten. Aus dem marmornen Mund des Apollon begann ein Rinnsal herauszulaufen. Wir stürzten zum Beckenrand zurück. Das Rinnsaal wurde zu einem Strahl. Die Quelle des Apollon war zurückgekommen. Dampfendes Wasser fiel in das Bassin und ich setzte mich wieder auf die Bank und schloss die Augen, und nun hörte ich den Gott und er sagte, dass Asien Alexander gehören würde und ihm dennoch weder Glück noch Zufriedenheit beschieden sei, bis zu der Stunde, in der er seine letzte Sehnsucht erkenne.
Alexander schüttelte mich. „Was ist mit dir, Leonnatos? Hörst du etwas?“
„Ja. Er spricht zu mir!“ flüsterte ich.
„Was sagt er? Was?“
„Was ist die letzte Sehnsucht Alexanders?“ rief ich.
„Er muss das finden, das ihn wertvoll macht“, hörte ich im Rauschen des Wassers.
Ich flüsterte Alexander dies zu. Er war über diese Botschaft nicht sehr glücklich.
„Ich bin Alexander! Zu meinen Ahnen zählen Herakles und Achilleus!“ rief er trotzig.
Apollon mutete ihm ganz schön etwas zu. Aber das ist uns Menschen von den Göttern nicht so ganz unbekannt. Jeder von uns hat dies schon einmal erfahren. Für jemanden, der sich als Abkömmling eines Göttergeschlechtes versteht, ist das natürlich schwer zu verdauen.
„Asien zu erobern ist gar nichts! Nur wenn er den Menschen etwas gibt, erweist er sich der Gaben würdig, die ihm die Götter gaben“, raunte die Stimme.
Ich sagte dies Alexander, war ihm die Stimme des Gottes.
„Nichts?“ fragte Alexander wild. „Ich würde Achilleus übertreffen und Herakles. Kein Mensch würde mir gleichen.“
Ein Stöhnen hörte ich in der Fontäne aus dem Mund des Apollon. Es klang, als würde sich der Gott über die Dummheit der Menschen ärgern.
„Nur wenn du mehr bist als ein Landeroberer und Städtezertrümmerer wirst du unsterblich werden.“
Ich zögerte ihm dies zu sagen. Denn das wollte Alexander gewiss nicht hören. Aber ich war der Bote des Gottes und gehorchte ihm und sagte Alexander seine Worte.
„Mehr zu sein als Herr Asiens? Was will er mir sagen? Frage ihn! So frage ihn doch!“
Ich tat es. Aber ich hörte nur noch das Rauschen des Wassers aus dem Mund des Gottes. Wir lauschten noch lange in die Dämpfe hinein und Schweiß lief über unsere Gesichter. Alexander sank auf die Bank zurück und wir atmeten tief die Dämpfe ein. Wir warteten. Ich weiß nicht wie viel Zeit verstrich. Die Dämpfe rochen merkwürdig. Traumgesichte gaukelten vor meinen Augen. Ich sah uns in riesige Städte einziehen. Menschen jubelten uns zu. Ich sah uns brandschatzen, sah Alexanders Gesicht inmitten von Flammen und dann Menschen, die Gefährten, an ihm vorbeiziehen. Er lag schweißnass auf einem Lager und ich sah ihn mir einen Befehl geben, aber ich hörte nicht die Worte, sah mich schließlich durch eine Wüste reiten.
Alexander zog mich hoch. Benommen taumelten wir zum Ausgang. Als wir in die Vorhalle des Tempels traten, hörte ich noch einmal die Stimme raunen:
„Leonnatos, gib auf ihn acht!“
Ich drehte mich um. Aber es kam keine weitere Erläuterung.
„Sehr auskunftsfreudig war dein Gott nicht!“ klagte Alexander unzufrieden. „Was ist es, was größer ist als Herr Asiens zu sein?“
„Er sagte mir zum Schluss, daß ich auf dich achtgeben soll. Vielleicht ist es eine Warnung, daß du an einem Abgrund entlang gehst. Du bist ständig in Gefahr.“
„Das weiß ich seit meiner Kindheit, als man eine Schlange in meinem Bett fand“, erwiderte er unwirsch.
Nun kamen die Priester auf uns zugeflattert. Erregt wedelten sie mit den Armen.
„Ein Wunder! Ein Wunder für Alexander! Die Quelle ist zurückgekommen.“
„Der Gott hat gesprochen. Asien gehört mir!“ sagte mein König und befahl den Priestern den Tempel zu reinigen und dem Apollon zu opfern und diese Botschaft zu verkünden.
„Du bist mir ein wertvoller Freund, Leonnatos!“ sagte Alexander, als wir dem Ausgang zueilten. „Wenn der Gott das nächste Mal zu dir spricht, dann frage ihn, was das ist, was mich erst wertvoll macht. Hörst du, das ist wichtig für mich, für uns, für alle Makedonen.“
Er schüttelte mich freundschaftlich und als wir draußen waren, sagte er zu Hephaistion. „Apollon hat durch den Mund Leonnatos’ zu mir gesprochen. Wir werden Asien unterwerfen.“
Alexander sah zum Himmel. Die Sonne stand bereits hoch. Wir waren viele Stunden im Tempel gewesen, doch uns erschien es nur wie Augenblicke. Ich weiß, in meinem Bericht ist viel von den Göttern die Rede. Aber wer Alexander begreifen will, der muss wissen, dass er sich mit den Göttern auf gleicher Augenhöhe fühlte. Ich habe immer an Apollon festgehalten. Ohne die Götter ist das Leben nicht zu ertragen und wir werden stumpf wie die Tiere, gleichgültig und ängstlich und der Glaube an die Zukunft schwindet. Ohne die Götter gibt es keine Träume, keine Phantasie. Wenn ich heute manchmal verzweifelt bin, dann gehe ich im hohen Mittag in einen Olivenhain und lege mich in den Schatten der Bäume, und nach kurzer Zeit höre ich im Rauschen der silbern schimmernden Blätter das Tollen der Satyrn, das Gurren der Sirenen und manchmal höre ich sogar noch immer die Stimme des Gottes. Der große Pan lebt. Er wird nie sterben, sondern in sich wandelnder Gestalt zu uns Menschen gehören. Die Götter sterben nicht. Würden sie sterben, wären wir verloren und würden zu Tieren werden.
Wir stiegen auf die Pferde. Eine Abordnung von Dydima kam heran und entbot dem König ihren Gruß.
„Ich werde dem Apollontempel einen Tribut vom nächsten Schlachtfeld schicken!“ versprach Alexander. „Lasst in die Mauern des Tempels einmeißeln: ‚Hier versprach Apollon Alexander die Herrschaft über Asien’.“
Er nickte ihnen zu, schnalzte mit der Zunge und wir ritten weiter und aus der Stadt, und die Gefährten warfen Alexander verwunderte Blicke zu, da er sehr einsilbig blieb. Er wirkte immer noch in sich gekehrt, als wir vor dem Palast in Sardes von den Pferden stiegen.
„Wenn ich nur wüsste, was das Mehr bedeutet?“ sagte er zu mir, als wir die Treppen hochstiegen. „Was ist es, was mehr ist, als der Herr der Welt zu sein?“
„Vielleicht wollen die Götter, dass du in dir etwas findest, was du noch nicht kennst.“
„Sie behandeln mich … wie einen Menschen!“ sagte er unzufrieden.
Ich hielt dazu lieber den Mund.
Als wir die Königshalle betraten – Hephaistion hatte sie so getauft, weil sie mit ihren vergoldeten Säulenkapitellen wirklich prächtig aussah – kam uns Parmenion aufgeregt entgegen.
„Den Göttern sei Dank, dass du wieder da bist. Wir haben schlechte Nachrichten.“
Alexander nickte gleichmütig und reichte mir seinen Helm. Diener eilten herbei mit Tabletts voller Früchte und Schalen mit Käse, Brot und Oliven und Bechern mit Wein. Wir legten uns auf die Liegen und tranken, und nun erst forderte Alexander Parmenion auf zu sprechen.
„Unsere Kundschafter sind von Halikarnassos zurückgekommen. Memnon hat sich dort verschanzt. Er hat jetzt den Oberbefehl über Westasien bekommen und er hat griechische Söldner angeworben. Sphialtes und Thrasybulos, die uns damals in Theben so viel Ärger gemacht haben, sind zu ihm gestoßen.“
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