„Nehmen Sie die beiden mit. Er scheint sie zu brauchen.“
Stefanie schaut den Arzt ungläubig an.
„Therapie mit Stofftieren?“
„Im Moment haben wir keine anderen Lösungen. Er lacht zwar noch nicht, aber zu weinen hat er aufgehört. Jakob, passt du gut auf die beiden auf?“
Jakob nickt.
„Du darfst sie mit heim nehmen. Sie werden auf dich aufpassen und wenn du abends mal nicht schlafen kannst, erzählst du ihnen ein paar Geschichten, bis sie zusammen mit dir müde werden, okay?“
Jakob nickt und lässt sich von seiner Mutter hinaus tragen. Den Weg nach Hause gehen beide Hand in Hand. Jakob weiß, wo er wohnt. Er geht fast von selbst in die richtige Richtung mit Drache und Krokodil im Arm.
„Möchtest du deinen neuen Freunden Namen geben?“, wagt Stefanie den Versuch mit ihrem Sohn ein Gespräch zu führen.
Jakob schüttelt mit dem Kopf, lässt die Hand seiner Mutter los und stapft ihr mit seinem neuen Krokodil im einen Arm und seinem neuen Drachen im anderen hinterher.
Stefanie schlägt heute einen anderen Nachhauseweg ein, um für Ablenkung zu sorgen. Die beiden kommen an einer Wiese vorbei, auf der ganz viele Kühe grasen.
„Jakob, schau mal. Kühe.“
Er blickt zu ihnen und schaut sie sich an.
„Wir könnten auf den Bauernhof da drüben gehen und fragen, ob du mal eine Kuh streicheln darfst. Was hältst du davon?“
Jakob nickt und läuft voran, an der Kuhweide vorbei, Richtung Bauernhof.
Stefanie muss schmunzeln, als sie den Kinderwagen auf den Bauernhof schiebt. Der Bauer könnte nicht typischer aussehen. Klein. Dicker Bauch. Kariertes Hemd und darüber eine grüne Latzhose. Gerade war er wohl am Stall ausmisten, denn er hat eine Mistgabel in der Hand.
In den Ställen stehen noch viel mehr Kühe als erwartet. Stefanie spricht kurz mit dem Bauern, der ihr erklärt, dass oft Kinder zu Besuch kommen. Der Kindergartenausflug führt die Gruppen oft hierher, um die Tiere zu streicheln, das Leben auf dem Bauernhof kennenzulernen und um den Bauern mit Fragen zu löchern.
Jakob strömt keine Begeisterung aus, als er durch den langen Gang des Kuhstalls schreitet und die Kühe beobachtet, aber sein Kopf schaut nicht zu Boden.
Welch laute Geräusche die Tiere von sich geben und was für ein unangenehmer Geruch, der einem in die Nase steigt. Original Stallgeruch.
„Den Kindern tut die frische Bauernluft gut. Es ist schön, sie mit den Tieren agieren zu sehen. Sie sind so kreativ und lustig. Mich macht es glücklich, ihnen zusehen zu können, wie sie größer werden. Leider habe ich keine Enkel“, erzählt der Bauer erst begeistert. Im letzten Satz schrumpft seine Freude allerdings etwas. „Ihr Sohn ist so still. Geht es ihm gut?“
„Das wüsste ich selbst gerne…“ Stefanie berichtet dem Bauern ihre Sorgen.
„Ich kenne Ihren Sohn nicht. Von außen betrachtet würde ich sagen, er ist in einer Trauerverarbeitung. Ist sein Haustier gestorben?“
„Er hatte nie ein Haustier, aber danke für den Denkanstoß.“
Eine Weile schaut sich Stefanie weiter auf dem Hof um, bis sie auf ihrer Armbanduhr bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist.
„Ich denke, wir sollten gehen. Jakob, kommst du?“
„Sie dürfen gerne jederzeit wieder vorbeischauen. Tiere können etwas in Kindern wecken, was Erwachsene nie verstehen werden.“
An den leuchtenden Augen des Bauern und dem Lächeln in seinem staubigen Gesicht erkennt man, dass er sich wirklich über ein Wiedersehen freuen würde.
Jakob steht noch vor einer Kuh, die gemütlich ihr Heu genießt. „Diese Kuh heißt Gerda und ich mag sie besonders gerne“, erzählt der Bauer fröhlich. Jakob formt mit seinen Lippen etwas, als wollte er Muh sagen, dann geht er auf seine Mutter zu. Vielleicht bildet sie es sich ein, aber der Mundwinkel ihres Sohnes könnte zucken, als ob er ihr ein Lächeln schenken will. Glücklich darüber spaziert Stefanie mit Jakob nach Hause.
„Hat es dir bei den Kühen gefallen?“, will sie schließlich wissen.
„Muh.“
…
„Was hast du gerade…?“ Fassungslos starrt Stefanie ihr Kind an. Dann nimmt sie Jakob in ihre Arme und wirbelt ihn durch die Luft vor Freude. Sie lacht und erwartet, Jakob würde mit ihr Lachen, aber ein Ton muss ihr für heute reichen. Wie sehr man sich über einen Tierlaut freuen kann.

Kapitel 3
„Du bist eine einzigartige Geschichtenerzählerin. Du verrätst nicht zu viel, aber in den richtigen Momenten schmückst du deine Worte mit Details. Du solltest sie aufschreiben.“
Ich lächele in mich hinein und bin selbst erstaunt über meine heutige Fantasie.
Plötzlich wird Nikolas von einer Frau angerempelt. Sie wirkt so entnervt, dass das eigentlich nur die Handy-Frau mit ihrem Hund sein kann. Die Leine ist straff und der Hund wird von ihr durch das Abteil gezogen.
„Armer kleiner Kerl. Achtet diese Frau denn gar nicht auf ihren Begleiter?“, seufzt Nikolas.
„Die habe ich auch am Bahnhof beobachtet“, gestehe ich und grinse.
„Was beobachtest du nicht?“
Nikolas zieht belustigt eine Augenbraue nach oben.
„Ich sauge alles in mich auf. Daraus entstehen meine Geschichten.“
Mein Sitznachbar nickt mir anerkennend zu: „Gutes Argument.“
Die blonde Frau läuft schließlich doch wieder in die andere Richtung und bleibt bei uns stehen.
„Entschuldigen Sie. Sie kennen sich doch bestimmt mit Handys aus? Da ist man kürzlich dreißig geworden und kommt jetzt schon mit der heutigen Technik nicht mehr klar.“
Wir nicken beide gleichzeitig, als hätten wir es einstudiert.
„Mein Handy hat sich aufgehängt und ich muss doch meinen Fans berichten, wo ich gerade hinfahre.“
Nikolas und ich tauschen skeptische Blicke aus, aber er zeigt sich als Gentleman.
„Lassen Sie mich mal sehen.“
Nikolas nimmt ihr das Handy aus der Hand. Ihr Hund stößt dazu, nachdem er den ganzen Boden beschnuppert hat. Er beugt sich hechelnd über Nikolas Schoß und sein Frauchen schnauzt ihn an.
„Hektor. Mach Sitz. Nein, bleib hiiiiiiiiier. Bin gleich zurück…“ Schon hat Hektor an der Leine gezogen und weg sind die beiden.
Ein paar Minuten später streift sie in die andere Richtung hinter Hektor her. Die hat ihren Hund wirklich gar nicht unter Kontrolle. Dafür der Hund jetzt sie.
Inzwischen tatscht Nikolas auf dem Handy der Hundebesitzerin herum und es scheint wieder zu funktionieren. „Ich habe es nur aus- und wieder angeschaltet.“
In diesem Moment schlittert die Frau mit Hektor voran wieder an uns vorbei.
„Ihr Handy geht wieder. Können Sie sich dann bei uns abholen. Anscheinend kommen Sie noch öfters vorbei“, ruft Nikolas ihr hinterher. Das ganze Abteil fällt in ein Gelächter.
„Vielleicht ist sie eine Berühmtheit in einer anderen Galaxie und wir kennen sie nur nicht?“
„Oder sie hat auf Instagram drei Follower und will diese nicht auch noch verlieren?“
Wir rätseln noch ein bisschen und lachen, aber erfahren werden wir es wohl nie.
Der Hund kommt gerade angehechelt. Nikolas beugt sich über die Armlehne und hält ihn am Halsband fest. Völlig außer Atem hängt seine Besitzerin an der Leine und versucht durchzuatmen.
„Danke. Dass Sie. Ihn. Aufgehalten haben.“
Nikolas fragt neugierig: „Wieso nehmen Sie einen Hund mit in den Zug, wenn er Ihnen nicht gehorcht?“
„Ich dachte, er legt sich auf seine Decke und verschläft die Zugfahrt.“
„Haben Sie einen Kauknochen für ihn dabei?“, erkundigt sich Nikolas.
„Nein.“
„Spielzeug?“
„Nein.“
„Haben Sie irgendetwas für den Hund dabei?“
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