Zur Erklärung schlug der Mann die Bettdecke zurück.
Sara schnappte nach Luft, und zwar nicht wegen seiner Nacktheit. Unter der Decke war alles in dunkles Blutrot getaucht. Riesige Einschusslöcher klafften im Bauch und in der rechten Schulter.
Saras Beine wurden erneut weich.
„Um Himmels Willen“, hauchte sie. Dann hastete sie zum Kleiderschrank und riss ihre Handtücher hervor. Damit beugte sie sich über den Mann und versuchte mit den Tüchern die Blutungen abzubinden.
„Sie brauchen dringend einen Arzt!“
„Nein!“ Die Aussage war knapp und eindeutig. „Kein Arzt, keine Polizei. – Niemand braucht das zu sehen!“
„Aber Sie werden verbluten“, protestierte Sara. Der Mann ergriff ihr Handgelenk mit Nachdruck.
„Nein! Das werde ich nicht. Das Einzige was ich benötige, ist etwas zu essen.“
Spätestens jetzt klingelten in Sara alle Warnglocken. Sie starrte ihn an.
„Äh … also … ich hab da noch eine Pizza …“
Er grinste jetzt wieder und schüttelte den Kopf.
„Nein, das bringt mir nicht viel. Ich brauche Fleisch. Proteine, und zwar jede Menge.“
Sara schaffte es nicht, seinem Blick auszuweichen. Schaudernd erkannte sie eine gewisse Ähnlichkeit zu Roberts Blick. Er war wild, gierig und hungrig.
„Fleisch“, murmelte sie. „Wer hätte das gedacht? Und in welchem Zustand? Gekocht, gebraten oder eher blutig?“
Das Grinsen wurde breiter.
„Nur keine Umstände. Am schnellsten geht es ohne Zubereitung.“
Sara wurde etwas blasser um die Nase.
„Also, da kann ich aber nicht viel bieten“, murmelte sie. „Ich hab da ein paar Koteletts im Kühlschrank. Reicht das?“
Jetzt lachte er sogar.
„Für den Anfang ja.“
Sie starrte auf seine Wunden. Tat ihm nichts weh? Das war kaum vorstellbar.
Der Mann fasste ihr Kinn und zwang sie, ihm wieder in die Augen zu sehen.
„Es tut weh“, sagte er leise. „Aber je schneller Sie mir Fleisch bringen, desto eher wird es mir besser gehen.“
Sara atmete tief durch und ging zur Küche. Hastig holte sie die Koteletts aus dem Kühlschrank und legte sie auf eine Platte. Kurz überlegte sie, ob Besteck nötig war, aber dann erschien es ihr überflüssig.
Als sie mit dem Fleisch den Raum betrat, richtete der Mann sich auf und fixierte die Fleischstücke mit gierigem Blick.
Sara stellte ihm die Platte auf den Beistelltisch.
„Ähm ... ich werde dann mal losfahren und mehr besorgen. Der nächste offene Laden ist eine Viertelstunde entfernt. Wie viel brauchen Sie?
„Zehn Kilogramm sollten erstmal reichen.“
Sie verbarg ihr Erschrecken und stand auf. Sein Blick hielt sie fest.
„Keine Polizei, kein Arzt, niemanden“, sagte er mit leiser Stimme. Doch sein Blick war alles andere als sanft.
Sara nickte. Diesen Ausdruck kannte sie. Sie hatte gelernt, dass man ihn besser ernst nahm.
Als sie etwa eine Dreiviertelstunde später wiederkam, betrat sie gleich die Küche und wuchtete das riesige Fleischpaket auf den Küchentisch.
Ein leises Geräusch hinter ihr ließ sie herumfahren.
Er stand direkt vor ihr: groß und einschüchternd.
Erschaudernd nahm sie wahr, dass die Wunden aufgehört hatten zu bluten. Inzwischen hatte er sich gereinigt und die Einschusslöcher sahen nicht mehr so riesig aus wie vorher.
Sein Blick ruhte voller Begierde auf den Fleischbrocken.
Sara schob sich langsam zur Seite.
„Ich ... äh … geh dann mal besser“, murmelte sie und floh aus der Küche.
Dann betrat sie das Schlafzimmer. Zumindest ihre größten Befürchtungen bestätigten sich nicht. Dieser seltsame Wolfmann hatte zu ihrer Erleichterung das Schlafzimmer gesäubert, so weit es ihm möglich war.
Seufzend betrachtete sie die durchgeblutete Matratze. Die war hinüber, das war klar.
Sie stemmte die Matte aus dem Bett und schleifte sie in die Ecke. Dann kramte sie nach verschiedenen Plastiktüten, um das ruinierte Stück zu verpacken.
Anschließend polsterte sie ihr Bett mit allen Decken und Kissen aus, die sie finden konnte.
Ein Räuspern ließ sie herumfahren.
Der Mann stand so dicht vor ihr, dass sie mit der Nase quasi an sein Kinn stieß. Nur nebenbei registrierte sie die ungewöhnlich dichte Körperbehaarung.
Mehr nahm sie die Tatsache gefangen, dass die Wunden an diesem muskulösen Körper bereits verschorften.
Eine eigentümlich animalische Ausstrahlung ging von ihm aus, die sie nicht nur erschauern ließ, sondern auch ein bisschen in Erregung versetzte. Sein Blick flackerte immer noch wild und gierig, aber diesmal auf eine andere Art und Weise - und weckte eine tief vergrabene Erinnerung in ihr.
Hastig trat sie einen Schritt zurück, was nur zur Folge hatte, dass er sich nachschob, bis sie mit den Kniekehlen gegen die Bettkante stieß.
Abwehrend stemmte sie ihre Hände gegen seine Brust.
„Bitte …“, stammelte sie. „Das geht mir ein bisschen zu schnell. Müssen Sie nicht erstmal ein Verdauungsschläfchen halten?“
Er wirkte belustigt – aber immer noch gierig.
„Das hatte ich vor“, antwortete er. Seine Stimme klang fast grollend, aber nicht unbedingt bedrohlich.
Sanft aber bestimmt umfasste er ihre Arme und zog sie eng an seinen Körper.
Seine harte Männlichkeit zwischen ihren Leibern ließ keinen Zweifel daran, was er unter Verdauungsschläfchen verstand.
„Du riechst gut“, grollte er ihr leise ins Ohr. „Unwiderstehlich gut.“
Sara entfuhr ein Keuchen. Wieder schwappte ein Erinnerungsfetzen in ihr hoch.
„Ich … ich schmecke aber bestimmt nicht. Ich mein – ich trag bestimmt eine Menge giftige Chemikalien in mir herum. – Ich …“
Aus dem Grollen wurde so etwas ähnliches wie Kichern, dabei drückte er sie aufs Bett und lag wie ein Stein auf ihr.
Sara war wie betäubt von seiner Nähe, seinem Geruch. Dieser war intensiver geworden und ließ sie erschauern. Er roch - vertraut.
Der Mann vergrub sein Gesicht an ihrem Hals und sog hörbar ihren Duft in sich auf.
Sara war sich sicher, dass er ihre Angst roch, aber das war ihr momentan egal. Seine Hände rissen ihr die Kleidung vom Körper, als wäre sie aus Papier.
Wieder entglitt ihr ein Keuchen, als er in sie eindrang.
Wild und ungestüm nahm er sie, aber erstaunlicherweise tat er ihr nicht weh.
Seine Leidenschaft überrollte sie wie ein Panzer. Sie verlor jedes Zeitgefühl, aber sie nahm trotzdem wahr, dass ihr „Partner“ alles andere als normal war.
Seine Gesichtszüge, sein Körper, alles schien sich zu verändern, vor allem, wenn er zum Höhepunkt kam.
Irgendwann lagen sie erschöpft nebeneinander.
Sara hatte die Augen geschlossen und versuchte ihre Gedanken zu sortieren.
Klar war, dass dieser Mann nicht normal war. Die Kombination Wolf und Mensch ließ ihres Wissens nur einen Schluss zu: Werwolf.
Hatte der Vampirjäger diese Kreaturen nicht auch erwähnt? Was wusste sie von Werwölfen? Im Grunde nur Legenden. Und wenn der Wahrheitsgehalt von diesen Geschichten genauso dürftig war, wie der über Vampire, dann durfte sie davon ausgehen, dass sie gar nichts wusste. Außer dass sie rohes Fleisch vertilgten und ihre Wunden schnell verheilten.
Sie schlug die Augen auf und sah in grüne nachdenkliche Pupillen.
„Ich dachte, so was passiert nur bei Vollmond“, murmelte sie.
Er zog seine buschigen Augenbrauen hoch.
„Ach, und was denkst du noch?“
„Keine Ahnung.“
Sie berührte zögernd seine Brust.
„Heilen Wunden bei dir immer so schnell? Oder hängt das mit dem Fleisch zusammen?“
Er blieb ihr diese Antwort schuldig, meinte aber: „Das mit dem Vollmond ist Blödsinn.“
„Ja, das hab ich wohl begriffen.“
„Es tut mir leid.“ Er zögerte kurz. „Ich hätte nicht hier hereinkommen dürfen. – Nicht auf diese Art. – Es war nur – es passte gerade – ich meine …“
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