Simon betrachtete seinen Freund mit einer Spur Mitleid. Aber er verstand ihn genau. Diese Frau war etwas Besonderes, auch wenn er nicht erfassen konnte, woran das lag. Klar war, dass sie verdammt gut roch. Irgendwie nach Wolf, obwohl sie eindeutig keiner war. Und genauso wie Max verspürte er den deutlichen Drang, sie zu beschützen.
„Sie wirkte nicht wirklich überrascht über die Existenz von Werwölfen“, meinte er nachdenklich. „Zumindest war sie erstaunlich cool. Ob sie schon wissend war?“
Max zuckte die Schultern.
„Kann ich nicht sagen, aber sie roch erschrocken, als sie mich in Menschengestalt sah. Damit gerechnet hat sie nicht unbedingt. Obwohl ...“ Er überlegte. „Na ja, als ich als Wolf vor ihr stand, hat sie, glaub ich, sofort gerafft, dass ich kein gewöhnliches Tier war. Zumindest hat sie mich nicht so angesprochen.“
„Das sollten wir auf jeden Fall klären!“
„Und dann?“
Simon schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche, die aus dem Badezimmer drangen.
„Wir müssen ihr klar machen, dass es sehr ungesund für sie enden wird, wenn sie mit anderen über Wölfe quatscht.“
„Na toll, und wie willst du das anstellen? Drohst du ihr, sie zu zerreißen?“, spottete Max. „Ehrlich Simon, ich bezweifle, dass du das überzeugend rüberbringst. Keiner von uns hat jemals einen Menschen angegriffen, und ich für meinen Teil habe das auch nicht vor.“
„Das weiß sie aber nicht“, beharrte Simon. „Außerdem will ich ihr nicht vor uns Angst machen, sondern vor den anderen. Womit ich ja auch nicht falsch liege. Die Ältesten weisen einen ja ständig darauf hin, dass Wissende sterben müssen.“
Die Tür klapperte und Sara trat ins Zimmer, eingehüllt in ihren Bademantel. Als sie die Männer nackt vor sich sitzend sah, blieb sie stehen. Keine Frage, der Anblick war beeindruckend. Beide Männer waren muskulös, gut gebaut und wirkten auf Sara ausgesprochen anziehend. Zu ihrer eigenen Überraschung empfand sie die ungewöhnlich ausgeprägte Körperbehaarung der beiden sogar als attraktiv.
Langsam trat sie zu dem leeren zweiten Sessel und ließ sich darauf nieder. Zwei grüne Augenpaare fixierten sie.
„Du wirst uns was erklären müssen“, begann Simon. Sara ahnte, was da kommen würde. Schon unter der Dusche hatte sie sich eine Erklärungsstrategie zurechtgelegt.
„Und was?“, fragte sie, ohne ihre Besorgnis zu verstecken.
„Wie es kommt, dass du nicht überrascht über unsere Existenz bist. So cool wie du reagiert niemand, der vorher keine Ahnung hatte!“
Sara schluckte. Sie hatte also richtig vermutet.
„Na ja“, meinte sie zögernd. „Da war vor einigen Monaten so ein Kerl bei mir. Der hat behauptet, dass er übernatürliche Geschöpfe jagt, und er hat mir einiges über Hexen, Vampire und Werwölfe erzählt. Eigentlich hab ich ja gedacht, das wäre ein Spinner, aber was er da so erzählt hat, war irgendwie ziemlich überzeugend.“
„Wer war der Kerl und wo ist er jetzt?“ hakte Simon alarmiert nach.
„Äh, der hieß Nils Bogart oder so, aber ich glaube, er ist tot.“
„Glaubst oder weißt du’s?“
„Äh, ich weiß es. In der Zeitung stand da so ein Artikel. Irgendjemand hat ihn wohl getötet. Die Polizei hielt es für einen Raubüberfall.“
Max schnaubte.
„Vielleicht hat er bei seiner „Jagd“ ja einen würdigen Gegner gefunden.“
„Na gut.“
Simon war besänftigt. Er roch keine Lüge an ihr. Sara wirkte zwar beunruhigt, aber sie befand sich in einer stressigen Situation. Da war das nichts Ungewöhnliches.
„Trotzdem haben wir jetzt ein Problem.“
Er wechselte einen angespannten Blick mit Max. Dieser räusperte sich.
„Wie du ja schon vermutet hast, gibt es da so eine Regel.“
„Keiner darf’s wissen“, murmelte Sara. Er nickte.
„Genau. Und dummerweise wird diese Regel sehr ernst genommen.“
Er stockte und sah wieder hilfesuchend zu Simon. Sara entging seine Unsicherheit nicht und langsam glaubte sie, dass sie ein weiteres Mal Glück hatte. Die beiden Männer, die da nackt auf ihrer Sitzgarnitur hockten, wirkten auf sie nicht wie reißende Bestien, die mordlüstern über jeden Menschen herfielen. Und selbst in Wolfsgestalt waren beide nicht unbedingt furchterregend gewesen. Ob die gängigen Erzählungen über Werwölfe bezüglich Aggressivität, Blutrünstigkeit und Mordlust wahr waren? Im Moment hatte sie nicht den Eindruck und das erleichterte sie enorm. Die Wölfe rochen das sofort, und Simon gab ein unwilliges Knurren von sich.
„Sara, nimm das bitte ernst! Wir beide hier sind dir ... äh ... wohlgesonnen. Aber das gilt nicht für andere unserer Art. Die Regel ist ernst. Todernst! Wissende Menschen müssen sterben! Das mag brutal erscheinen, ist aber der beste Schutz, den wir gegen die Menschen haben. Wenn wir dem Rudel von dir erzählen, werden sie dich töten. Und Max und ich können dich nicht davor schützen. Wir sind keine Kämpfer.“
„Und wenn ihr einfach nicht’s von mir erzählt?“, wagte Sara vorzuschlagen.
Wieder wechselten die Männer einen Blick. Dieses Mal redete Max weiter.
„Das haben wir uns auch schon überlegt. Aber das geht nur, wenn du auch wirklich den Mund hältst. Falls jemals bekannt wird, dass du redest, werden unsere Leute nicht nur dich umlegen. Simon und ich gehen damit ein sehr hohes Risiko ein. Zum einen vertrauen wir dir die Sicherheit unserer Gattung an und zum anderen auch unsere eigene.“
Sara hörte durchaus, dass er nicht „würde“ sagte, und trotz seiner Warnung durchströmte sie wieder Erleichterung.
„Ich verspreche euch hoch und heilig, dass ich keinem Menschen auch nur ein Sterbenswort von euch erzählen werde“, versicherte sie ernst. Dass sie es ehrlich meinte, verströmte sie mit jeder Pore ihres Körpers, und die beiden Wölfe entspannten sich merklich.
Einige Zeit herrschte Schweigen. Dann grinste Max plötzlich.
„Tja, also wenn das geklärt ist, könnten wir den Rest der Nacht doch eigentlich noch nutzen.“
Sara stöhnte sofort auf.
„Das meinst du nicht im Ernst! Ich brauche zumindest ein bisschen Schlaf. Morgen muss ich mich etwa dreissig kleinen Monstern stellen, da brauche ich jede Energiereserve, die ich nur kriegen kann.“
Max erhob sich und langte über den Tisch nach ihr. Da Sara versuchte, ihm auszuweichen, erwischte er nur den Ärmel ihres Bademantels. Den hielt er aber fest. Sara gelang es, aus dem Mantel zu schlüpfen und landete bei ihrem Fluchtversuch direkt in Simons Armen.
„Keine Sorge, meine Hübsche“, brummte er in ihr Ohr, und presste ihren nackten Körper an sich. „Wir schenken dir so viel Energie, dass du den Rest der Woche locker durchstehst.“
Und als Maxs Hände sich von hinten über ihre Brüste legten und sein Unterleib sich an ihr rieb, war Sara völlig klar, dass sie in dieser Nacht keine Chance mehr auf Schlaf haben würde.
In den nächsten Wochen stellte Sara fest, dass „ihre“ Werwölfe mehr als anhänglich waren. Zwar kamen sie nicht täglich vorbei, doch einmal in der Woche stand mindestens einer von ihnen auf der Türschwelle, und der Grund war schlicht und ergreifend: Sex. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so oft und intensiv Sex mit Männern ausgeübt. Erst recht nicht mit zweien gleichzeitig. Die beiden forderten ihr einiges ab, aber zu ihrer eigenen Überraschung gefiel es ihr. Nie hatte sie das Gefühl, dass sie zu etwas gezwungen wurde, und ihre anfängliche Furcht war schnell verflogen. Zwar erzählten sie ihr wenig von sich selbst und von ihrer Lebensweise, doch das störte sie nicht weiter. Allerdings war da noch die Sorge schwanger zu werden. Sie wusste nicht, ob Werwölfe und Menschen kompatibel waren, aber sie war nicht unbedingt scharf darauf es herauszufinden. Nach reiflicher Überlegung ließ sie sich eine Hormonspirale legen und hoffte, dass dies für ihren Vampir akzeptabel war. Die Wölfe schien es jedenfalls nicht zu stören.
Читать дальше