Nähe Huntsville, Texas
Sara schreckte aus dem Halbschlaf hoch. Irritiert sah sie sich um.
Sie lag auf der Couch, gekleidet in ihren Bademantel, und war während des Lesens eingeschlafen. Seufzend betrachtete sie ihr Buch, das vom Sofa auf den Boden geglitten war. Offensichtlich waren die neuesten Erziehungsmethoden bei hyperaktiven Kindern doch nicht so spannend.
Sie horchte auf und lauschte. Erneut vernahm sie den Grund für ihr Hochschrecken.
Schüsse!
In der Nähe wurde eindeutig geschossen.
Unruhig erhob sie sich.
Ihres Wissens nach war die Jagdsaison noch nicht eröffnet. Und in diesem Teil des Waldes war Schießen sowieso nicht erlaubt. Schließlich standen hier Häuser.
Wieder zuckte sie zusammen.
An ihrer Haustür kratzte etwas.
Leise trat sie näher und lauschte. Ein Winseln drang an ihr Ohr.
Sara schluckte. Ob das ein Jagdhund war? Oder ein verwilderter Hund? Doch so einer würde wohl kaum an einer Tür kratzen.
Das Winseln und Scharren wurde drängender.
Sie atmete tief durch und öffnete vorsichtig die Haustür.
Kaum war die Tür einen Spalt auf, da drängte sich mit Wucht ein großer dunkler Körper ins Zimmer.
Sara wurde zurückgeschleudert und stieß einen erschrockenen Schrei aus. Fassungslos starrte sie auf das riesige Tier, das mitten in ihrem Wohnzimmer stand.
Dies war eindeutig ein Wolf, das sah sie sofort. Doch dieses Exemplar war deutlich größer als die Wölfe, die Sara aus dem Zoo kannte.
Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach.
Um Himmelswillen, was wollte ein Riesenwolf in ihrem Haus?
Jetzt erst sah sie die Blutlache, die sich unter dem Tier auf ihrem neuen cremefarbenen Teppich ausbreitete. Ihr Blick wanderte an dem Tier entlang. Es stand seitwärts zu ihr gerichtet, mit zotteligem grauschwarzem Fell, in welchem deutlich mehrere große Einschusslöcher zu sehen waren.
Das Tier zitterte am ganzen Körper und sah sie unverwandt aus seltsam grünirisierenden Augen an.
Sara atmete einmal tief durch.
Sie hatte von Wölfen, Hunden und anderem Getier nur wenig Ahnung, aber dass sich dieser Wolf nicht normal verhielt, das war ihr sofort klar. Und die grünen Augen irritierten sie. Sie kamen eindeutig in ihren Träumen vor.
Eine Ahnung kroch langsam in ihr hoch.
„Ach du große Scheiße“, murmelte sie. Dann schloss sie die Haustür und starrte den Wolf an.
„Geh bloß von meinem Teppich runter“, verlangte sie und versuchte dabei, drohend zu klingen. Ihr selbst kam es zwar wie ein erbärmliches Piepsen vor, aber das Tier reagierte und verließ seinen Standort.
Langsam trottete es auf das Schlafzimmer zu.
Sara wartete nicht lange, sondern lief hinterher und schloss die Zimmertür.
Dann rollte sie vorsichtig den Teppich zusammen und trug ihn ins Badezimmer. Sie legte das gute Stück in die Badewanne zum Einweichen, dann ergriff sie den Putzeimer und wischte die restlichen Blutspuren im Wohnzimmer auf.
Von draußen drang immer lauter werdendes Gebell zu ihr herein.
Diesmal war sie sich sicher, dass es sich um Jagdhunde handelte, und die Beute, der sie auf der Spur waren, hatte sich anscheinend gerade in ihrem Schlafzimmer verkrochen.
Hastig räumte sie den Putzeimer weg und schaltete den Fernseher an.
Da schellte es auch schon an der Tür.
Sara ging wieder hin und öffnete mit einem etwas flauen Gefühl.
Vor ihr standen drei bis an die Zähne bewaffneten Männer. Einer hielt zwei wild kläffende große Hunde an der straffen Leine.
Mit fragenden Augen blickte sie die Männer an.
„Kann ich …. kann ich ihnen helfen?“
Der Vorderste der Männer nickte grimmig.
„Hier läuft irgendwo ein Wolf herum. Ein Riesenvieh. Den Hunden nach befindet sich dieses Monster hier bei Ihnen!“
„Ein Wolf?“ Sara kicherte etwas hysterisch. „Sowas gibt es hier doch gar nicht.“
„Nein, normalerweise nicht“, knurrte der Mann. „Und ich möchte auch dafür sorgen, dass das so bleibt. Dieses Biest hat bereits drei von meinen Schafen gerissen und – bei Gott – das von heute war sein Letztes. Das schwör ich!“
Sara schluckte und starrte auf das riesige Gewehr, welches er in den Händen hielt. Diese Waffe war mit Sicherheit kein normales Jagdgewehr, sondern ein deutlich größeres Kaliber.
„Äh, aber die Wölfe sind doch geschützt, oder?“, wagte sie einzuwenden. Statt eine Antwort zu geben, drängte sich der Mann rabiat an ihr vorbei.
„Wo ist das Vieh?“, blaffte er.
„He“, rief Sara empört. „Was soll das? Glauben Sie allen Ernstes, hier in meinem Wohnzimmer steckt ein Wolf?“
„Keine Ahnung“, fauchte der Mann. „Aber den Hunden nach zu urteilen, ist er hier!“
„Das ist ja lächerlich. – He, wagen Sie es ja nicht, die Hunde hier reinzulassen!“
Sara funkelte den Hundehalter drohend an. Der zweite Mann drängte ebenfalls herein.
„Das ist Hausfriedensbruch!“
Sara wurde jetzt ehrlich wütend.
„Sieh mal in dem Raum da nach“, befahl der Anführer ungerührt und ging Richtung Küche.
Sara war fassungslos. Dass diese Männer so hemmungslos in ihr Haus eindrangen, war schon ein starkes Stück. Sie waren offenbar ziemlich auf Adrenalin. Wenn sie den Wolf sahen, würde es Mord- und Totschlag geben. Wobei sie nicht sicher war, welche Partei die besseren Karten hatte. Ihr Überraschungsgast war sehr groß!
Aber sie sah keine Möglichkeit, dies zu verhindern, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben. Diese Jäger sahen zu allem entschlossen aus.
Der zweite Mann öffnete die Schlafzimmertür und trat hinein.
Dann stutzte er.
Sara sah wie er halb im Raum stand und sichtlich erschrocken war. Schließlich meinte er in einem entschuldigendem Tonfall:
„Bitte vielmals um Entschuldigung. Das … äh … war nur ein Missverständnis. Entschuldigen Sie.“
Hastig drehte er sich um und verließ den Schlafraum. Er schloss die Tür und grinste Sara verlegen an. Sein Freund kam aus der Küche und sah ihn fragend an, aber der schüttelte nur den Kopf.
„Ne, kein Wolf. Komm, lass uns verschwinden.“
Der Anführer knurrte nur etwas Unverständliches und stapfte wütend hinter ihm hinaus.
Sara sah ihnen irritiert hinterher. Als die Haustür krachend ins Schloss fiel, zuckte sie zusammen. Dann schielte sie zum Schlafzimmer und überlegte, wie sie sich gerade fühlte.
Es war wohl eine Mischung aus Erleichterung und Besorgnis.
Was hatte der Mann im Schlafraum gesehen?
Kurz schloss sie die Augen, murmelte ein leises Stoßgebet und öffnete die Tür zum Schlafzimmer.
Der Boden war zu ihrer Überraschung mit einigen ihrer Kleidungsstücke bedeckt. Dann fiel ihr Blick auf’s Bett und sie erstarrte.
Unter ihrer Bettdecke lag eindeutig kein Wolf, sondern ein Mann.
Er war etwas blass und unter den wirren schwarzen Haaren blitzten ihr bekannte grün-irisierende Augen entgegen. Keineswegs drohend, aber wachsam und angespannt.
„Au Mann“, stieß Sara hervor und spürte, wie sich ihre Beine mit Pudding füllten. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass da erneut eine ungewöhnliche Begegnung auf sie zukam. War das normal?
Dann gab sie sich innerlich einen Ruck. Viel schlimmer als die Begegnung mit Robert konnte es ja nicht werden – hoffte sie jedenfalls.
Sie trat näher und räusperte sich.
„Also, äh – es ist ja nett, wenn Sie sich in meinem Bett wohl fühlen, aber eine Erklärung hätte ich schon ganz gerne.“
Der Mann verzog sein Gesicht zu einem Grinsen, das Sara – wölfisch? – vorkam.
„Nun.“ Seine Stimme klang dunkel, aber durchaus angenehm. „Erstmal danke und dann brauche ich erneut Ihre Hilfe.“
„Ach.“
Mehr fiel Sara zunächst nicht ein.
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