Seufzend schlängelte ich mich durch die Gruppierungen, die mir herzlich wenig Aufmerksamkeit schenkten. Genauso wenig wie ich ihnen. Als ich das zentrale Gebäude der Universität erreichte, war es stiller geworden. Weniger Studenten liefen hier herum. Nur diejenigen, die heute tatsächlich an der Einführungsveranstaltung teilnahmen. Und zu meinem Glück gab es weniger Vernünftige, als Unvernünftige unter den Erstsemestern. Andernfalls wären meine Chancen, Hazel in der Menge ausfindig zu machen, in sich zusammen gefallen. So aber entdeckte ich sie nach einigen Minuten Suchens. Sie hatte mich nicht gesehen und ich machte sie auch nicht auf mich aufmerksam. Ich wusste ja nicht, ob sie mich überhaupt sehen wollte. Erst als ich sie fast erreicht hatte, sah sie doch in meine Richtung. Sie erkannte mich, weswegen ich schüchtern die Hand hob und ihr zuwinkte. Danach sah ich sie unsicher an. Ich war stehen geblieben und unglaublich erleichtert, als sie mich hier nicht vor all den Leuten stehenließ, die plötzlich zu mir sahen, als sei mein Winken eine offizielle Einladung gewesen, mich anzustarren.
„Heather.“ Sie klang genauso zögerlich, wie ich mich fühlte. „Ich wusste nicht, dass du heute hier sein würdest.“
Ich fragte mich, ob sie damit sagen wollte, dass sie unter den Voraussetzungen nicht gekommen wäre. Sie musste es mir im Gesicht abgelesen haben, denn plötzlich lächelte sie zurückhaltend.
„Aber ich freue mich darüber.“
Keine Ahnung, weshalb ich mich so erleichtert bei ihren Worten fühlte. Aber ich war es. Erleichtert.
„Ich bin gar nicht wegen der Veranstaltung hier“, gab ich zu. In ihren Augen glaubte ich zu lesen, dass sie sich das schon gedacht hatte. Vielleicht erinnerte sie sich auch nur gut genug daran, wie skeptisch ich dem ganzen Projekt Studium entgegen sah.
„Ich wollte mich bei dir entschuldigen, Hazel“, sprach ich weiter. Motiviert von ihrem Lächeln, das gleich noch eine Spur fröhlicher nach meinen Worten wurde.
„Ich hoffe, du weißt, dass ich nicht wirklich sauer auf dich war, wegen …“ Ich kam ins Strudeln und brach den Satz ab. Stattdessen sah ich sie ehrlich an. „Du weißt schon, was ich meine. Es lag nicht an dir. Ich war einfach nur ziemlich verwirrt und traurig und wollte allein sein.“
„Das verstehe ich sehr gut. Ich wollte dir auch gar nicht auf die Nerven fallen.“ Sie zupfte an ihrem T-Shirt herum, das knallgelb war und auf dem eine riesige Kirsche abgebildet war. Ich verstand nicht, was es für eine Bedeutung hatte. Aber ein Urteil erlaubte ich mir nicht. Immerhin trug ich eine fast zwei Jahre alte Mädchenbluse, eine langweilige Leinenhose und noch langweiligere Sandalen, die ich mir von meiner Mom geliehen hatte.
„Warum wolltest du mich dann sehen und mit mir reden?“, fragte ich sie geradeheraus und sie sah sich um.
„Wollen wir vielleicht wohin gehen, wo es etwas ruhiger ist?“
„Aber fängt die Veranstaltung nicht gleich an?“
Sie lächelte. „Ich schätze ich verpasse nichts Wichtiges, solange ich rechtzeitig wieder da bin, um mich einzutragen.“ Sie ging an mir vorbei und ich folgte ihr.
„Wo willst du dich denn eintragen?“, wollte ich von ihr wissen.
„Sie bieten für Neulinge diverse Orientierungskurse an. Um sich mit den Onlinetests und all dem Kram zurechtzufinden, den man erstmal machen muss, bevor man sich im November für das Frühlingssemester einschreiben kann.“
Ich wollte sie fragen, warum sie nicht ihre Mutter fragte. Die war immerhin Professorin an der Universität und musste sich demnach doch mit allem Wichtigen auskennen. Aber dann fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, das Hazel ihrer Mutter nicht auf die Nase binden wollte, weshalb sie erstmal nur eine Auswahl an Kursen belegen wollte, ohne schon so genau zu wissen, was sie damit machen wollte. Dabei wusste sie es sehr genau. Das war neben ihrem Interesse an Pferden der Grund gewesen, dass wir beide uns überhaupt näher kennengelernt hatten.
„Du willst das also immer noch wie geplant durchziehen?“
„Natürlich. Ich habe mir schon ausgedruckt, welche Vorkurse ich brauche. Ich hoffe bei den Orientierungsveranstaltungen wird mir klar, für welche Angebote ich mich am besten entscheiden sollte und wie ich die Credits möglichst schnell zusammen bekomme, um mich dann an der CVMBS einzuschreiben.“
CVMBS stand für College of Veterinary Medicine and Biological Science . Das College ermöglichte einem den PhD und andere Abschlüsse für Tiermedizin hier in Colorado. Es war Teil der Colorado State University in Fort Collins. Mit dem Zug fuhr man etwa 1,5 Stunden, mit dem Auto wohl nur eine Stunde. Behauptete Hazel. Ich wusste nicht, ob ich es wollte. Aber nach Gracies Tod dachte ich ernsthaft darüber nach, mich an der CU einzuschreiben und mich Hazel anzuschließen, wenn sie die Vorkurse belegte. Um die erforderlichen 60 Credits zu sammeln, würde ich eine Weile brauchen. Mindestens ein Jahr, eher zwei. Und bis dahin würde ich auch wissen, ob ich wirklich Tierärztin werden wollte, oder es nicht eine andere Möglichkeit gab, meine Mom auf der Ranch zu unterstützen und mit Pferden zu arbeiten.
Hazel setzte sich auf eine Bank in die Sonne und ich setzte mich neben sie. Sie zog aus ihrer Tasche einen grünen Schnellhefter und reichte ihn mir.
„Ich habe dir auch alle Unterlagen ausgedruckt.“
„Was für Unterlagen?“ Verwirrt erwiderte ich ihr Lächeln halbherzig.
„Die erforderlichen Vorkurse, die Möglichkeiten, wie sie sich hier umsetzen lassen und sämtliche wichtigen Emailadressen und Kontaktpersonen, wenn du Fragen hast.“ Sie sah mich an. „Das war es, was ich dir geben wollte.“
„Deswegen wolltest du mich sehen? Die Mappe hier war der Grund für deine Anrufe?“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Ich dachte mir, dass du keinen Kopf dafür haben würdest. Aber das Zeitfenster für die Einschreibung ist nur begrenzt und ich wollte dir helfen.“
„Mir helfen?“
„Dir eine Möglichkeit zeigen, dass du sowohl deine Mom zufriedenstellen, als auch das tun kannst, was du gern machst.“
So wie sie. Nur ich war nicht wie sie.
„Das ist sehr nett, Hazel. Aber du weißt doch, dass du diejenige bist, die immer schon Tierärztin werden wollte. Ich dagegen …“ Ich senkte den Blick, „ich wollte eigentlich bloß mit Pferden arbeiten. Jockey werden, Trainerin oder Pferdewirtin, so wie meine Mom.“ Ich brauchte keinen medizinischen Titel und ich träumte auch nicht davon, eine eigene Tierarztpraxis zu eröffnen. Meine Träume waren vielleicht in den Wolken schwebend, aber ich blieb dabei bescheiden.
„Natürlich, ja.“ Unsicher nickte Hazel. Ich sah wie sie auf ihre Hände starrte.
„Es war trotzdem sehr nett von dir“, überwand ich mich. Sie hatte nur freundlich sein wollen. Ich nahm an, das Studium war leichter durchzuziehen, wenn man einen Verbündeten hatte und nicht alleine damit war.
„Ich danke dir, wirklich“, fügte ich ehrlich an und endlich lächelte sie wieder. „So viel Arbeit und alles.“
„Ach das war doch nichts.“
„Doch das war es. Ich habe den Dschungel doch gesehen und mich kaum darin zurechtgefunden.“
Sie kicherte. „Ich weiß, was du meinst. Es hat auch eine Weile gebraucht, bis ich‘s kapiert habe und alle Informationen zusammen hatte, die ich finden konnte.“
„Das hättest du nicht tun brauchen. Ich meine, wir sind nicht mal richtige Freundinnen.“
Ich erkannte sofort, dass ich etwas Falsches gesagt hatte. Wobei meine Worte nicht so sehr das Problem waren. Es hatte so geklungen, als wollte ich betonen, dass ich nicht ihre Freundin war. Aber das hatte ich gar nicht gewollt. So war es nicht gemeint gewesen.
Hazel stand bereits auf und mir war klar, dass es für jeden Versuch, mich zu erklären zu spät war. Ich konnte meine Worte nicht zurücknehmen.
Читать дальше