1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 „Ganz so würde ich es nicht ausdrücken“, argumentierte er, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Unterbrich mich nicht“, fuhr ich ihn stattdessen wütend an. „Du bist hier, damit du nicht vor Gericht stehst, weil du betrunken Auto gefahren bist und dabei dein eigenes Leben und das anderer in Gefahr gebracht hast. Vielleicht sind alle Menschen in deinem Leben bisher zu nett zu dir gewesen, weil du der Sohn des Bürgermeisters bist, aber mich interessiert ganz und gar nicht wer du bist, Chris Channing. Für mich zählt nur, dass du versuchst, dich durchzumogeln. Aber nicht mit mir. Das kannst du gleich vergessen.“
„Was ist denn hier los?“
Ich drehte mich um und erkannte, dass meine Mom auf uns zukam. Sie sah wütend aus. Und das bedeutete nichts Gutes. Man konnte Josie zwar schnell auf die Palme bringen. Sie war genauso explosiv wie ich. Aber das sie es so offensichtlich zeigte, noch dazu in Gesellschaft, war ungewöhnlich.
„Wie es aussieht, kommt die kleine Heather ganz nach ihrem Grandpa.“
Mr. Alcott trug ein Lächeln im Gesicht. Und nur damit ich nicht doch noch irgendwelche Verträge zerstörte und die Alcotts für immer vergraulte, ließ ich es zu, dass er mich vor Chris „kleine Heather“ nannte. Es war demütigend, aber was sonst blieb mir anderes übrig, außer zu lächeln?
Meine Mutter lachte, aber ich kannte sie gut genug, um ihrem Lachen anzuhören, dass das hier noch nicht ausgestanden war.
„Na dann werden wir uns mal verabschieden und Sie mit dieser Sache allein lassen, Josie.“
„Danke, Joseph.“ Meine Mom schüttelte seine Hand und drückte Mrs. Alcott höflich zwei Küsse rechts und links auf die Wange. Aber erst als die Alcotts außer Hörweite waren, stemmte sie die Hände in die Hüften und sah erst Chris und dann mich scharf an.
„Also! Was in Gottes Namen ist hier los? Ich führe in meinem Büro wichtige Gespräche und meine Tochter schreit im Stall herum, wie ein Bauarbeiter.“
„Ich habe nicht geschrien“, verteidigte ich mich.
„Chris?“
Er sah zu meiner Mom.
„Ja, Ma’am?“
„Hat meine Tochter geschrien?“
Er lächelte. „Sie haben sie ja gehört, Ma‘am.“
Und damit meinte er nicht, sie habe gehört, was ich gesagt hatte. Er meinte, sie habe mich schreien gehört. Wenn Blicke hätten töten können, hätte Chris jetzt umfallen müssen. Stattdessen grinste er nur.
„Worum ging es dabei, Heather?“
„Willst du das überhaupt wissen?“, konterte ich und funkelte meine Mom an.
„Nicht in diesem Ton!“, ermahnte sie mich streng. Sie hasste es, wenn ich patzig wurde. Aber es fiel mir schwer, mich zurückzuhalten. Heute mehr als sonst.
Ich seufzte schließlich einlenkend. „Chris kam eine Stunde zu spät …“
„Ich habe den Bus verpasst. Ich bin es nicht gewohnt, Bus zu fahren.“ Entschuldigend sah er meine Mom an. „Es wird nicht wieder vorkommen, Ma‘am.“
„Na ja. Heute ist ja noch nicht dein erster Arbeitstag.“
„Was?“ Bei Moms Worten vergaß ich ganz die Wut auf Chris, weil der mich schon wieder unterbrochen hatte und sich einem billigen Trick bediente, in dem er versuchte sich bei meiner Mom einzuschmeicheln. „Findest du das etwa richtig? Er kommt eine Stunde zu spät und jetzt muss er auch gleich wieder weg, dabei habe ich ihm gerade mal erzählt, wie das mit dem Stall ausmisten funktioniert.“
Meine Mutter lächelte, als sei das alles ganz wunderbar.
„Na prima. Dann weiß Chris ja schon mal, was morgen früh auf ihn zukommt.“ Sie sah ihn an. „Den Rest können wir dir auch morgen zeigen. Es ist viel einfacher, wenn du es siehst, als wenn wir dir alles erzählen. Du kannst mit den Worten nicht viel anfangen, oder?“
„Ich bin kein Pferdenarr und habe noch nie was darüber gelesen oder davon gehört.“
„Das musst du auch nicht, um zu kapieren, wie man eine Mistgabel benutzt, einen Sattel oder ein Halfter säubert.“ Giftig sah ich ihm in die Augen. „Das kann jedes Kind lernen, wenn es sich Mühe gibt.“
„Na dann hat deine Mom wohl Recht und es gibt keinen Grund, mir das alles jetzt zu erzählen. Wenn es so einfach ist, lerne ich das morgen im Handumdrehen.“
Josie besaß die Frechheit über ihn zu lachen, statt sich auf meine Seite zu stellen und Chris nutzte den positiven Moment gleich aus.
„Sind Sie einverstanden, wenn ich dann jetzt gehe?“
„Natürlich. Du bist morgen allerdings pünktlich um 6:30 da. Du kannst bei uns frühstücken und um sieben mit Heather zusammen den Stall ausmisten. Es ist immer einfacher, wenn man es beim ersten Mal nicht allein machen muss. Außerdem geht es schneller.“
Ich wollte mich wehren, aber Chris kam mir zuvor.
„Klasse. Danke Ma‘am.“ Er schüttelte ihre Hand. „Dann bis morgen.“
Chris drehte sich um, besaß die Unverschämtheit mir dabei ein Grinsen zuzuwerfen und verließ den Stall. Bevor ich vor Wut platzte, wandte ich mich an meine Mom.
„Wie konntest du das zulassen?“
„Was zulassen?“
„Das er zu spät kommt, dass er jetzt wieder verduftet? Ist das alles nur ein verdammter Witz hier?“
„Schatz, für Witze habe ich weder die Zeit noch das Geld. Seine Eltern hoffen, etwas Arbeit könne ihm im Augenblick den Kopf zurechtrücken.“
„Im Augenblick?“ Ich lachte. „Wahrscheinlich müsste er dafür jeden Tag von morgens bis abends hier sein, um zu begreifen, was Arbeit wirklich ist.“
„Heather“, meine Mom kam auf mich zu und sah mir in die Augen. „Ich weiß, du bist sehr wütend auf Chris. Und ich kann das durchaus verstehen, Schatz. Aber vergiss bitte nicht, dass er betrunken war.“
„Oh und das entschuldigt alles? Er hätte sich eben nicht betrinken sollen, oder wenn er betrunken war, kein Auto fahren dürfen. Ich kann nicht verstehen, wie du das in Schutz nehmen kannst? Tätest du das auch bei mir?“
„Es ist nicht zu entschuldigen. Aber im Gegensatz zu dir glaube ich daran, dass Chris seinen Fehler selbst kennt und ihn sehr bereut.“
„Davon habe ich aber gar nichts gemerkt.“
„Vielleicht weil du nicht hinhörst.“
„Wie bitte?“
Meine Mom seufzte. „Jede Geschichte hat einen Ursprung. Einen Anfang. Und jede Wahrheit zwei Seiten. Du hast so ein gutes Herz, Heather und du hörst damit besser, als andere Menschen. Zumindest wenn es um Tiere geht.“ Sie lächelte mich an. „Gib ihm doch einfach eine Chance und hör auf das, was er dir sagt, ohne es laut auszusprechen. Ich bin sicher, dann werdet ihr beide miteinander arbeiten können, ohne dass du ihn dauernd anschreist und am liebsten mit der Mistgabel aufspießen würdest.“
Das bezweifelte ich ganz gewaltig. „Ist das dein Wunsch oder ist es eine Bitte?“
Sie sah mir in die Augen und ich verstand. Es war eine Bitte.
Seufzend wandte ich mich ab. „Na dann.“
„Wo willst du hin?“
„Auf die Weide.“ Ich griff nach der Harke. „Ein bisschen sauber machen.“
„Wirst du mir mit Autumn Fire helfen, wenn die Evans hier sind?“
„Was soll ich denn machen?“
„Führ sie ein wenig herum, mach sie vertraut mit den anderen Pferden und schau mal, wie sie das alles aufnimmt. Dann kann ich in Ruhe die Details mit der Familie besprechen.“
Ich nickte und dann ließ ich meine Mom allein. Ich brauchte jetzt unbedingt ein paar Minuten für mich, um diesen furchtbaren Vormittag möglichst schnell zu vergessen. Selten hatte eine Woche so beschissen wie diese angefangen.
K.o. in der zweiten Runde
Zweimal waren die Evans auf unserem Hof gewesen. Das erste Mal für einen gemeinsamen Ausritt. Da hatten sie bei uns Pferde geliehen. Beim zweiten Mal kamen sie, um sich die Ranch genauer anzusehen und um über Autumn Fire zu sprechen.
Autumn Fire war die zweijährige Stute ihrer Tochter Milly. Milly war siebzehn und hatte sich scheinbar immer für Pferde interessiert. Als ihr Vater von Denver nach Boulder versetzt wurde und die Familie hierher ziehen musste, brach für Milly die Welt zusammen. Um seine Tochter aus dem tiefen Loch zu holen, in dem sie die ersten Wochen verlebt hatte, hatte Greg Evans Milly eine Stute gekauft. Er glaubte ihr damit einen großen Wunsch zu erfüllen.
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