„Heather“, entgegnete meine Mom, aber ich ließ sie nicht aussprechen.
„Wenn es nach dir gegangen wäre, hätte ich glatt ausziehen sollen. Das wäre so viel praktischer. Denn dann hättest du der neuen Aushilfe gleich den Dachboden vermieten können.“
„Das ist nicht fair.“
Überrascht sah ich zu Ghita, die sich sonst aus diesen Dingen heraushielt. „Du weißt, dass deine Mom dich gerne hier hat. Sie möchte nur nicht deiner Zukunft im Weg stehen.“
„Oh das tut sie nicht“, erwiderte ich frostig.
„Schon gut.“ Meine Mom nutzte ihren nachsichtigen Ton, was mir bewies, dass sie ihre Worte an Ghita richtete, nicht an mich.
„Es ist eine Ausnahme, Heather. Christopher Channing kommt heute um zwölf. Ich hatte vergessen, dass ich die Gespräche mit den Alcotts und den Evans am Mittag habe, sonst hätte ich ihn gleich morgens herbestellt.“
Christopher Channing . Und da war er gefallen. Der Name, der das letzte bisschen meiner guten Laune in null Komma Nichts zerstörte.
„Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich mich um ihn kümmere?“
„Ich würde, dich nicht fragen, wenn ich es nicht müsste“, konterte Josie. „Ich weiß, dass du keine Lust hast, mit ihm zu reden.“
„Und du verstehst nicht warum?“
„Ich verstehe warum.“
„Das glaube ich nicht. Wenn es so wäre, hättest du dich niemals auf diesen verrückten Deal eingelassen.“
„Dass er für vier Monate bei uns arbeiten wird, hilft mir mehr, als ein bisschen Geld es getan hätte. Der Wagen ist nicht mehr der Neuste und der Transporter hätte nicht viel Geld von der Versicherung eingebracht. Und …“
Bevor meine Mom, ihren Namen aussprechen konnte, hielt ich sie auf. „Sag es nicht!“, giftete ich. „Ich weiß das alles. Da sie keine nachweisbaren Einnahmen für die Ranch erbracht hat, gibt es von der Versicherung nur den durchschnittlichen Entschädigungssatz.“ Wir hatten Grace nicht in die Versicherung aufgenommen gehabt.
„Der hätte nicht viel mehr als die Kosten des Tierarztes abgedeckt.“ Meine Mom sah mich an. In ihrem Blick bat sie um Verständnis. „Da die Channings unbedingt eine Anzeige verhindern wollten, konnte ich bei diesem Deal viel besser verhandeln.“
Sie hatten die Tierarztkosten übernommen, die Rechnung des neuen Transporters bezahlt und sich bereit erklärt, dass ihr Sohn für vier Monate auf unserer Ranch arbeitete. Dafür hatte Mom auf die Anzeige verzichtet. Es sollte Wiedergutmachung und Strafe in einem sein.
„Ich hasse dieses Arrangement trotzdem. Und das hast du auch gewusst, als du es vorschlugst.“
„Ich wusste, es würde dir nicht gefallen. Aber nur so können wir die nächsten Monate etwas Geld sparen und dir ein neues …“
An dem Punkt sprang ich regelrecht von meinem Stuhl auf. Er kippte nach hinten und meine Mom hielt in ihrem Satz inne.
Ohne sie oder Ghita anzusehen, verließ ich die Küche. Ich warf die Tür ins Schloss und es war mir egal, dass ich mich aufführte, wie ein trotziges Kind. Nicht mal als Kind war ich so kindisch gewesen. Das war mir wohl bewusst. Aber ich konnte nicht verstehen, dass niemand begriff, wie es mir ging. Wie es sich anfühlte, dass der Typ, der Schuld an Gracies Tod hatte, hier arbeiten würde. Dass ich ihn für vier Monate jeden Tag sehen musste. Es fühlte sich viel mehr wie eine Strafe für mich als für ihn an. Und ich hasste es.
„Morgen, Heather.“
Ich sah auf. Blind vor Wut hatte ich gar nicht gemerkt, dass Alec seinen Volvo auf dem Hof geparkt hatte. Er klopfte gerade seinen Hut ab, setzte ihn auf und kam dann zu mir. Obwohl ich stinksauer war, entfloh mir ein Lächeln, als er sich gegen die Säule des Verandadaches lehnte und mich prüfend ansah.
„Dicke Luft?“
„Wie kommst du denn darauf?“, wollte ich von ihm wissen und lehnte mich ihm gegenüber an die andere Säule.
„Nur so eine Ahnung.“
„Aha.“ Ich lächelte etwas breiter, als er mich weiterhin mit diesem durchdringenden Blick ansah, ohne etwas zu sagen. „Er kommt heute.“
Alec verstand ohne jede weitere Erklärung, von wem die Rede war.
„Wenn du willst, kannst du mit mir und Ghita mitkommen“, schlug er vor. „Hilft dir nicht für morgen und übermorgen. Aber ich hätte nichts dagegen.“
„Danke.“ Ich meinte es ehrlich und sah ihm an, dass er das auch herausgehört hatte.
„Du lehnst trotzdem ab?“
„Ich will mir keine anderen Pferde ansehen.“ Schon wieder hörte ich mich trotzig wie ein Kleinkind an.
„Wäre vielleicht gut für dich.“
„Sie sind nicht Gracie.“
Alec lächelte verständnisvoll. „Nein, sind sie nicht.“ Er belehrte mich keines besseren und er sagte auch sonst nichts. Er wusste, dass Worte meinen Schmerz nicht erträglicher machen konnten. Genau deswegen war er so ziemlich der einzige Mensch, mit dem ich seit dem Unfall über Grace gesprochen hatte. Der Einzige, der wusste, wie es in mir wirklich aussah.
„Ich hoffe, du bist nicht sauer deswegen.“ Vorsichtig sah ich ihn an.
„Ich bin nicht sauer, Heather.“ Er kam zu mir und strich mir übers Haar. „Ich mag Ghita. Sie hat nicht so ein gutes Auge für Pferde wie du, aber immerhin mag sie Countrymusik.“
Ich lachte über seinen Witz. Obwohl ich nicht wusste, ob das stimmte. Ghita war so umgänglich, dass ich mir nie sicher war, ob sie wirklich all das mochte, was sie vorgab zu mögen, oder ob sie nur gut darin war, sich anzupassen.
Ich war offensichtlich eine Niete darin. Ich konnte mich an keine Veränderungen anpassen. Alle anderen um mich herum waren stark genug, einfach weiterzumachen. Ich fühlte mich nicht dazu in der Lage, so zu tun, als ob ich an irgendetwas Interesse hatte. Geschweige denn, dass ich es empfunden hätte.
„Mach es ihm schwer, aber sei nett.“ Alec sah mich auffordernd an.
„Warum sagst du das?“, wollte ich wissen.
„Er hat es verdient.“
„Dass ich es ihm schwer mache, ganz sicher. Aber dass ich nett zu ihm bin?“
„Ja, das auch.“ Alec führte es nicht weiter aus. Doch sein Blick genügte, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen.
„Ich hatte mir vorgenommen, ihn zu hassen. Ich hasse ihn“, murmelte ich mit gesenktem Blick auf meine Reitstiefel.
„Das kannst du ruhig. Ich täte es an deiner Stelle sicher auch.“
„Aber er hat es nicht verdient, willst du damit sagen?“
„Er hat verdient, dass du nett zu ihm bist. Ich bin sicher, er kann es gebrauchen.“
„Ach ja?“ Ich begriff nicht, warum dieser Channing meine Nettigkeit brauchte.
Alec nickte und dann öffnete sich die Tür.
„Dachte mir doch, dass ich dich gehört habe.“ Meine Mom kam heraus und umarmte Alec freundschaftlich. Ghita folgte ihr und sah mich an.
„Hast du es dir anders überlegt, Heather?“
Ich schüttelte den Kopf. Immer noch beschäftigten mich Alecs Worte.
„Schade.“ Ghita seufzte und wandte sich Alec zu. Sie klinkte sich in das Gespräch zwischen ihm und Mom ein. Ich ließ ich die drei allein, um in den Stall zu gehen, die Pferde auf die Weide zu bringen und danach die Boxen auszumisten.
Im Augenblick waren im Stall bloß zehn der zwanzig Plätze belegt. Darunter befanden sich Penny und Rick. Penny war dabei die erste Wahl für die zögerlichen Anfänger. Sie war mittlerweile 15 Jahre alt. Auf ihr hatte ich reiten gelernt und daher war Penny für mich nach wie vor etwas Besonderes. Ich ließ mir immer besonders viel Zeit, wenn ich sie striegelte und verwöhnte sie mehr, als es Mom Recht war. Wobei ich annahm, dass sie nur so tat, als störe es sie. Rick war kein Shetland Pony , sondern ein American Shetland Pony und damit ein wenig schmaler und größer im Bau. Auf ihm konnten diejenigen sitzen, die für Penny zu groß waren.
Für die älteren Reitschüler oder erfahreneren Reiter hatten wir drei weitere Pferde: Esther, Lola und Terry. Alle drei gehörten der Rasse Missouri Foxtrotter an. Eine sehr beliebte und weit verbreitete Pferderasse in Amerika. Für uns waren sie wegen der weichen Gangart ideal, weil sie für ungeübte Reiter leicht zu reiten waren und über ausgesprochen gute Ausdauer verfügten. Bei Geländeausritten war das immer hilfreich.
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