Ich zuckte mit den Achseln.
„Ich frage mich nur, weil du ja weißt, dass ich dich für deine Arbeit auf der Ranch nicht bezahlen kann und kein Interesse daran habe, dass du für immer da oben auf meinem Dachboden lebst. Was für Alternativen bleiben dir also, frag ich mich, ohne Collegeabschluss. Willst du bei Lance einen Aushilfsjob annehmen?“
Ich warf ihr einen giftigen Blick über den Tisch zu und machte mich anschließend über das Frühstück her. Lance war einer unserer Nachbarn. Er hatte eine Rinderfarm und meine Mom wusste sehr genau, dass ich Pferde liebte, mit Rindern aber auf Kriegsfuß stand.
„Das Frühstück ist lecker“, lenkte ich sie vom Thema ab. Ein Sonntagsfrühstück bestand bei uns aus geröstetem Toast, Rührei aus Eiern von unseren eigenen Hühnern, frischer Petersilie aus dem Kräutergarten und Erdbeermarmelade. Die war allerdings gekauft, seitdem meine Grandma nicht mehr lebte. Mit dem Einkochen hatte meine Mom es nicht so. Selbst der Kräutergarten lebte nur noch, weil ich mich so liebevoll um ihn kümmerte. Ihren grünen Daumen hatte meine Grandma ebenfalls nicht an Josie weitergegeben.
„Für den Kräutergarten wäre es ein Todesurteil, wenn ich fortgehe“, griff ich meinen Gedanken auf und spielte auf die Collegegeschichte an.
Meine Mom hatte ihre Kaffee ausgetrunken, spülte gerade die Tasse durch und sah nun über die Schulter zu mir.
„Ohne mich würde der ganze Kräutergarten den Bach runter gehen. Du schaffst es, einen Kaktus vertrocknen zu lassen“, argumentierte ich ausführlicher.
„Na und.“ Sie sah mich unbekümmert an. „Dir ist schon klar, dass ich die Kräuter jederzeit für deine Ausbildung opfern würde, oder?“
Diesmal war ich es, die mit den Augen rollte. „Du treibst mich noch zur Weißglut, Josie.“
Für Außenstehende war es sicher befremdlich, das merkte ich immer wieder, wenn neue Reitschüler zu uns kamen. Aber schon seitdem ich 13 war, sprach ich Josie nicht mehr mit Mom an. Es klang freundschaftlicher und so sehr es meine Mom liebte, sich einzumischen, so viel mehr war sie doch eine Freundin für mich. Wer sonst hätte den Job auch übernehmen sollen? Ohne eine Schule hatte es mir immer an Kontakten gefehlt. Natürlich kamen jeden Sommer Mädchen zum Reiten her. Ab und an blieben sie länger als die Reitstunden, aber richtige Freundschaften hatten sich daraus nicht ergeben. Zumal die meisten Mädchen im Alter von 8 bis 14 waren. Danach schien sich das Interesse an Pferden bei den meisten zu verlieren. Ein Phänomen, das ich nicht verstand und ganz sicher nicht teilte.
„Hast du vor, dich heute mit Hazel zu treffen?“
„Übst du dich im Gedankenlesen?“, konterte ich. Es machte mich nervös, wenn sie das tat. Ich war mir keinesfalls sicher, ob sie einfach eine verdammt gute Intuition besaß, junge Menschen grundsätzlich leicht zu durchschauen waren, oder ob es einfach an mir lag.
„Bin ich ein offenes Buch?“
Meine Mom grinste. „Nicht schon wieder diese Frage, Heather. Für mich bist du kein offenes Buch. Ich kann nur ganz gut erkennen, worüber du nachdenkst.“
Skeptisch sah ich sie an. „Ist das nicht das Gleiche?“
„Ach was“, sie winkte ab und bedeutete mir damit deutlich, dass das Thema für sie erledigt war. „Triffst du dich nun mit Hazel oder nicht?“
„Nein, sie hat abgesagt. Irgendwas Familiäres.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“
„Sollte es dich nicht interessieren, wenn es deiner Freundin nicht gut geht? Vielleicht braucht sie gerade jetzt wen zum Reden.“
„Josie“, unterbrach ich sie und warf ihr einen Blick zu, von dem ich behaupten würde, er sagte bereits deutlich, was ich von ihrer Einmischung hielt.
„Abgesehen davon, dass wir nur halb so enge Freundinnen sind, wie du immer behauptest, hast du Null Erfahrung auf dem Gebiet. Ratschläge von jemandem, dessen bester Freund der Ehemann unserer Nachbarin ist, ein Typ mit dem du Jahre kaum geredet hast, sind echt keine große Hilfe.“
„Du vergisst Ghita“, wehrte meine Mom sich und klang dabei nicht, als rechtfertigte sie sich. Ihr Selbstbewusstsein war bewundernswert, aber in Momenten wie diesen hasste ich es. Es war unmöglich gegen sie zu gewinnen.
„Was auch immer“, murmelte ich und gab damit zu, geschlagen worden zu sein. Daraufhin kam sie zu mir, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und lächelte.
„Es wird dir gut tun, mal rauszukommen. Fahr nach Boulder, verbring den Tag mit Hazel und vergiss den ganzen Rest.“
„Du erhoffst dir bloß, dass Hazel mich überredet, mich ebenfalls in Boulder an der CU einzuschreiben.“
„Ich halte es für sinnvolle Unterstützung.“ Sie lächelte. „Aber mehr als das, finde ich es gut, dass du endlich eine Freundin in deinem Alter hast.“
Ich verzichtete darauf, anzubringen, dass ich mit Ghita enger befreundet war als sie. Ghita war zwar 24, aber das merkte ich kaum. Spielte nämlich so gar keine Rolle, wenn man den ganzen Tag nur über Pferde redete und was sonst noch dazugehörte.
Als ich sah, dass meine Mom sich die Schlüssel von der Fluranrichte nahm, hob ich fragend eine Augenbraue. „Was hast du vor?“ Es war erst viertel vor sechs. Wohin konnte sie schon um diese Uhrzeit wollen?
„Ich fahre mal eben zu Alec rüber.“
„Du fährst mal eben um diese Uhrzeit zu Alec rüber? Warum?“
Und plötzlich verstand ich. Es konnte nur um mein Pferd gehen.
Grace war ein Thoroughbred . Ich hatte das Pferd von einem alten Freund meines Grandpas bekommen. Sein Sohn war Pferdetrainer, aber als er bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, ging der ganze Rennstall den Bach runter. Am Ende waren sie hoch verschuldet und mussten schließlich verkaufen. Josie hatte davon gehört, war bei der Auktion dabei und hatte zwei Pferde mitgebracht. Thunder, ein fünfjährigen Wildfang mit Feuer im Hintern und ohne nennenswerte Abstammung und dann Tiger Lilly. Für Rennen zu alt, aber mit einem hervorragenden Stammbaum. Und das Beste an Tiger Lilly war, sie war gedeckt worden. Sie war zwar schon alt und der Tierarzt hatte bei der Untersuchung behauptet, er könne nicht garantieren, dass sie das Fohlen überhaupt gesund zur Welt brächte, doch für Mom war es nicht nur ein Risiko, sondern sie sah vielmehr die Chance dahinter. Eine, die sich ausgezahlt hatte, denn Grace kam gesund zur Welt. Da Tiger Lilly vier Monate nach Gracies Geburt starb, kümmerte ich mich sehr intensiv um sie. Was bedeutete, wir beide waren nicht voneinander zu trennen. Sie war mein ein und alles und seitdem sie alt genug war, versuchte ich Mom zu überzeugen, sie für Rennen trainieren zu lassen.
„Geht es um Grace?“, fragte ich, obwohl ich mir schon längst sicher war, die Antwort zu kennen.
So wie meine Mom das Gesicht verzog, wusste ich, dass ich richtig lag.
„Ich dachte, wir fahren zusammen rüber. Alec wollte sich Grace heute Vormittag ansehen und du hast versprochen, dass ich dabei sein darf. Niemand kennt sie so gut wie ich, Josie.“
„Das mag sein. Aber es geht hier nicht darum, wie gut du Grace kennst, oder darum, Alec von ihren Qualitäten zu überzeugen, indem du ihm mit deiner liebenswerten Art das Herz weich klopfst.“
Ich stöhnte laut, aber sie überging mein Protest.
„Er kennt sich mit Pferden aus, Heather. Du hast gesehen, wie gut er ist. Sein Vater war einer der erfolgreichsten Trainer und später Züchter. Er versteht was von Rennen. Ich bin bereit, deinem Wunsch nachzugeben. Alec soll sich eine Meinung bilden, ob es sich für uns lohnt, Grace im Frühjahr für die Kentucky Derby Prep Season anzumelden.“
Im Oktober würde Grace zwei Jahre alt sein. Wir hätten jede Menge Zeit, sie zu trainieren und fit zu machen, bevor im Februar die Anmeldungen starteten. Die Anmeldegebühr war nicht so hoch, dass hatte ich bereits recherchiert. Wenn es für die Kentucky Oaks nicht reichte, konnten wir auch im April einige Rennen im Arapahoe Park bestreiten. Der Race Track lag nahe Aurora und war nicht weit von Boulder entfernt. Ich hatte mir alles gut überlegt und das Leuchten in meinen Augen musste Mom verraten haben, was ich geplant hatte.
Читать дальше