Schmunzelnd hatte der Verkäufer mich beobachtet.
„Gib mir ein Bier, bitte.“
Wortlos reichte er mir die Dose.
Sogleich war ich mit meinem Getränk wieder im Meer. Auf dem Wasser liegend, die Bierdose in der Hand, die sengende Sonne über mir, genoss ich diesen außergewöhnlichen Zustand.
„Dieses ist mein letztes Bier!“, sagte ich laut. Im Stillen gab ich mir selbst das Versprechen, künftig auf Alkohol vollkommen zu verzichten, machte ein kleines, inneres Ritual daraus. Anschließend stieß ich feierlich mit mir selber an und kam darüber zu meinem größten Wunsch. Leise betete ich: „Lieber Gott, bitte mach, dass ich ganz normal essen kann wie die anderen Menschen. Ich werde dir für immer dankbar sein und dich auch um nichts mehr bitten, lass mich nur normal essen können.“ Die Augen geschlossen, schickte ich diese Bitte ins Universum.
Fast eine halbe Stunde lang wusch ich mir unter der Dusche gründlich das Salz vom Körper. Meine alte, abgeschuppte Haut wurde weggespült.
Wie neugeboren stieg ich in mein Auto und fuhr geradewegs in die Hauptstadt Israels, Tel Aviv.
In einer Seitenstraße fand ich eine Bleibe, eine moderne Jugendherberge nahe der Haupteinkaufstraße Dizengoff. Auf dem Hof konnte ich mein Auto abstellen und von hier aus die Stadt zu Fuß abmarschieren.
Ein neues Gefühl zu mir und meinem Leben stellte sich ein, ich nahm mich und die Welt anders wahr, als wäre ich durch die Waschung und das Ritual im Toten Meer dichter an mich selbst herangerückt, als wäre ein Vorhang weggefallen, als könne ich klarer sehen. Ich schwang in einer anderen Grundfrequenz, war höher gestimmt.
In einer kleinen Boutique fand ich passende Kleidung für mich, zwei schwingende Röcke und drei Blusen. Mittlerweile war ich so dünn geworden, meiner Meinung nach konnte ich es mir jetzt leisten, eng anliegende Sachen zu tragen. Eleganter, weiblicher Look, das gefiel mir. Mein hartes Schwarz-Weiß-Rot verwandelte sich in weiche Pastelltöne. Ich wollte einfach nur schön sein wie die vielen verheirateten Israelinnen, nicht mehr einsamer Paradiesvogel. Unbewusst trieb mich die Sehnsucht nach meiner eigenen Weiblichkeit.
Aufgrund meiner inneren wie äußeren Wandlung änderten sich meine Einladungen.
Zu Pessach wurde ich offiziell von Isaaks Familie eingeladen. Sie wollten mich deutsche Nichtjüdin teilhaben lassen an ihrem religiösen Fest. Eine hohe Ehre für mich.
Isaaks betagte Eltern begrüßten mich herzlich, aber nicht überschwänglich, und geleiteten mich an die feierlich gedeckte Tafel. Alle setzten sich, auch Isaaks jüngere Schwester, die mir mit offenem Herzen begegnete. Die Kerzen leuchteten. Eine Zeremonie begann. Der Vater sang hebräische Worte und klang wie alle Pastoren, wenn sie Liturgien singen, unabhängig von der Sprache. Vor ihm kleine Tellerchen mit verschiedenen Kräutern. Während des Gesangs, nahm er einige Blätter von dem ersten Kraut zwischen zwei Fingerspitzen, um sie danach wieder zurückzulegen. Erneut erhob er die Stimme, griff bedächtig nach dem zweiten Kraut, hielt es in der Luft, besang es und legte es zurück in das Schälchen. Gleichermaßen verfuhr er mit den anderen Kräutern. Zu gerne hätte ich die Worte verstanden.
Isaak öffnete seine Thora, die Bibel der Juden, und begann daraus vorzulesen. Zwischendurch sang er einige Verse. Ich staunte über den langhaarigen, verwegenen Isaak, der jetzt fein angezogen wie ein braver Junge mit klarer Stimme Kirchenlieder sang. Thema war das jüdische Volk, das auserwählte, ihre Geschichte und ihr Glaube. In der Religion löst sich Persönlichkeit offenbar auf.
Die nächste Einladung, vom Besitzer des Einkaufszentrums, führte mich an einem Schabbat in die Synagoge. Schon auf dem Vorplatz des kleinen Gebäudes machte sich, wie bei allen Gotteshäusern dieser Welt, eine gewisse Ehrfurcht breit. Festlich gekleidete Menschen in der Morgensonne, leise spielende Kinder. Hin und wieder kamen Gläubige heraus oder gingen hinein.
Ich betrat die Synagoge durch den mir zugewiesenen Eingang und befand mich im hinteren Abteil für die Frauen. Ein schleierartiger Vorhang fiel von der Decke herab bis zum Boden, teilte den Raum in zwei Hälften. Dahinter durchscheinend sah ich die Reihen betender Männer, die sich gemeinsam verbeugten. Vorne sprach und sang der Rabbi. Seine Stimme drang durch den Schleier. Die Atmosphäre war von religiöser Tiefe getränkt, wie es bei solchen Zeremonien der Fall ist. Heilig, aber irgendwie auch schwer. Das merkte ich, als ich wieder hinaustrat ins Freie, in den Sonnenschein. Ich bedankte mich für die Einladung und fuhr wieder nach Hause, in meinen eigenen Tempel.
Zuhause verbrachte ich jetzt mehr Zeit als früher. Salomon besuchte mich fast jeden Tag. Rituell rauchten wir zur Begrüßung, tranken Tee und palaverten. Das gab mir Ruhe. Wenn er wieder ging, konnte ich gut mit mir alleine bleiben.
Ich begann zu malen. Seit meiner Kindheit hatte ich nicht mehr gemalt und doch immer Sehnsucht danach gehabt. Erstaunliche Bilder brachte ich hervor, wuchs über mich selbst hinaus, erlebte, dass eine Malerin in mir steckte. Auch das Schreiben fing ich an. Dinge, die mich bewegten, drückte ich auf Papier aus. Die Nähmaschine inspirierte mich, wunderschöne Kleider und Röcke zu nähen. Meine Kreativität kannte keine Grenzen.
Meist zu fasziniert von meiner Beschäftigung, dachte ich nicht an Essen. Doch gelegentlich brach der alte Zwang durch. Dann fuhr ich zum nächsten Laden, deckte mich ein mit Keksen und anderen Leckereien und machte zu Hause ein Festessen daraus. Anschließend spuckte ich alles wieder aus. Ich beachtete diesen Zwang so wenig wie möglich. Der Vorgang spielte sich routinemäßig ab und hinterher dachte ich auch nicht weiter darüber nach. Wie eine unangenehme Pflicht, die man absolviert ohne große Emotionen. Danach konnte ich wieder machen, was ich wollte.
Ich fühlte mich auf dem Höhepunkt meiner Entwicklung. Endlich lebte ich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich war so gut wie angstfrei. Ich sah so aus, dass ich mich wohl fühlte in meinem Körper, so mager, wie ich immer sein wollte. Ich trug die Kleidung, die mir am besten stand. Hatte die angenehmste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Lebte in der sonnigsten, schönsten und günstigsten Wohnung von Elat, dem besten Platz der Welt. War unabhängig, konnte tun und lassen, was ich wollte. Ich war so sehr eins mit mir selber und meinem Leben wie nie zuvor, hatte an mir gearbeitet und meine Möglichkeiten voll ausgeschöpft.
Ich fühlte mich reif für eine weitere Veränderung.
Nur der Richtige konnte meinen Zustand noch toppen.
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