„Du trinkst zu wenig, Ellen“, meldet sich Dave besorgt zu Wort. „Lass uns dort vorne in dem Lokal eine Kleinigkeit essen, die Pause, einwenig Sitzen nach dem langen Laufen, wird uns neue Kraft geben.“
„Meinst Du, wir haben uns zu viel vorgenommen, Dave? Ich bin jedenfalls schon recht müde. Aber Du brauchst Dir keine Sorgen um mich zu machen. Ich freue mich genauso wie Du darauf, unser Ziel zu erreichen und ich denke auch, eine kleine Rast wird uns gut tun. Wir haben schließlich alle Zeit der Welt und vor der Dunkelheit haben wir uns noch nie gefürchtet.“
Zu dem kleinen Lokal gehört auch eine Tankstelle, an der recht viel Betrieb herrscht. Nicht nur Einheimische, auch zahlreiche Touristen, die mit Wohnmobilen oder Geländewagen Australien erkunden möchten, sind auf dem Weg zum Uluru. Viele von ihnen nehmen die Gelegenheit des Tankstopps zum Anlass, eine kleine Pause einzulegen und, sofern sie nicht selbst am Steuer sitzen müssen, sich mit einem kühlen Bier zu erfrischen. Die Tische draußen sind somit recht schnell belegt. Ellen und Dave zieht es hinein, in den Innenraum der Schänke; hier sind noch wenige Tische frei. Sonne hatten die Beiden bereits genug und draußen sitzen eher die bleichen Touristen, die sich entgegen aller Warnungen, die Sonne ordentlich auf den Pelz scheinen lassen. Einige der Gäste schauen erstaunt, als sie Ellen und Dave bemerken und flüstern: „das sind Aborigines“.
Schon erstaunlich, dass die Urbevölkerung und Miteigentümer eines an Artenvielfalt und Bodenschätzen sehr reichen Landes, gleichsam bestaunt werden, wie andere Sehenswürdigkeiten. Sehr freundlich und aufmerksam werden Ellen und Dave bedient und doch ist zu bemerken, dass anderen Gästen eben noch mehr Freundlichkeit und Aufmerksamkeit entgegengebracht wird.
Ellen und Dave sind Australier, auf Ewigkeit Australier zweiter Klasse. Auch wenn Aborigines bereits vor mehreren zehntausend Jahren das Land besiedelten, wurde erst 2013 offiziell bestätigt, dass sie als die ersten Bewohner des Erdteils gelten.
Nach einer guten Stunde, durch kühles Wasser und einen kräftigen Imbiss gestärkt, fühlen sich Beide so wohl, den beschwerlichen Fußmarsch fortzusetzen. Die kleine Reisetasche in der Mitte, so dass sie sich auch diese Last teilen können, machen sie sich wieder auf den Weg.
Mit einem kleinen Startkapital der Eltern ausgestattet und mit einigen tausend australischer Dollar Bankdarlehen, hat sich Richard im Outback selbständig gemacht. Mit dem Geld erstand er einen sehr gut erhaltenen Verkaufswagen und damit ist er ebenfalls auf dem Weg zum Ayers Rock. Wenn die Abendsonne den Stein wie einem Chamäleon gleich, die Farben wechseln lässt und zahlreiche Schaulustige dieses Spiel bestaunen, dann verdient Richard sein Geld. Souvenirs bietet er ebenso an, wie kühle Getränke, frisch gepresste Obstsäfte, Snacks und Würste vom Grill. Die Würste und das Fleisch bezieht Richard von einem deutschen Metzger, der in Erldunda seine neue Heimat fand. Diese kleine Siedlung, knapp zweihundertfünfzig Kilometer vom Uluru entfernt, bietet vielen Touristen noch einmal Gelegenheit, für relativ günstiges Geld die Vorräte aufzubessern, denn im Nationalpark selbst gibt es üblicherweise nichts. Zwar befindet sich dort das Cultural Centre, das von den Anangu, den Aborigines betrieben wird. Traditionelle Kunstwerke und kunsthandwerkliche Gegenstände werden ausgestellt und können erworben werden. Aber ansonsten bietet der Nationalpark nur an zwei Stellen Gelegenheit Trinkwasser aufzunehmen. Bis Richard kam. Mit unermüdlicher Hartnäckigkeit gelang es ihm als Erstem und Einzigen, der Parkverwaltung eine Genehmigung für seinen Verkaufswagen abzuringen. Diese ist zunächst auf zwei Jahre befristet. Nun steht Richard Abend für Abend am Kunija-Parkplatz, von wo aus die Wanderungen um den Uluru begonnen werden können.
Mit seinen Preisen liegt er etwas über denen, die in Erldunda zu bezahlen sind. Aber und ein frisch gezapftes kühles Bier aus der im Wagen befindlichen Zapfanlage schmeckt allemal besser, als das günstigere Dosenbier, welches oftmals bis zum Verzehr längst warm geworden ist. Und der Duft der frisch gegrillten Würstchen lockt zudem viele Kunden an.
Eine gute Viertelstunde wird er noch brauchen, bis das Ziel erreicht ist. Für spektakuläre Sonnenuntergänge oder Farbenspiele ist es zwar noch eindeutig zu früh, doch den einen oder anderen Dollar wird er schon rasch einnehmen, noch bevor alle von der Romantik ergriffen nach seinen Grillwürstchen verlangen.
Wie immer, wenn er mit dem Auto unterwegs ist, läuft das Radio. Besondere Themen scheinen heute die Nachrichten zu dominieren; mal geht es um ein Wetterphänomen, dann wieder um tektonische Aktivitäten, die den Globus beherrschen, dann wieder um eine Vielzahl von Vulkanen, die sich bereit machen, ihre gleichermaßen tödliche, wie segensreiche Fracht auszuspucken. Ein Experte nach dem andren gibt seinen Senf dazu ab.
Kein Thema dabei für Richard, der seinen Blick vom Asphalt hebt und in den strahlend blauen Himmel schaut. Kopfschüttelnd schiebt er eine CD mit seinen Lieblingspopsongs ein und lässt diese geräuschvoll abspielen, so dass auch andere, die nicht mit im Wagen sitzen, gerne mitsingen können. Die Klimaanlage ist gewohnheitsgemäß angestellt und das rechte Seitenfenster offen, damit er seinen Arm dort auflegen kann. So genießt er sein Gefühl von Freiheit. Er fühlt sich sichtlich wohl und ist gutgelaunt; das ist Richard eigentlich immer, aber die Erwartung auf nette Einnahmen an diesem Tag machen in noch fröhlicher, als er es ohnehin ist. Zügig, jedoch keineswegs zu schnell, will er die wenigen noch vor ihm liegenden Kilometer hinter sich lassen.
Bei aller Lässigkeit fährt Richard stets aufmerksam, schließlich verdient er mit seinem Einkaufsmobil seinen Lebensunterhalt, darum achtet er sehr sorgsam auf die Umgebung. Passiert doch jeden Tag, dass Kängurus über die Straßen hüpfen und Fahrzeuge bei einem Zusammenprall völlig demoliert liegen bleiben. Und es ist nicht selten, dass dabei sogar das Känguru sein Leben verliert; eventuell auch mal der Fahrer eines Wagens.
So entdeckt er die beiden Fußgänger, die in seiner Fahrtrichtung gehen, lange bevor er auf deren Höhe ist. Mit einem gehörigen Seitenabstand fährt er an ihnen vorbei und schaut gewohnheitsgemäß in den Rückspiegel. „Völlig verrückt“, denkt Richard, „bei diesen doch unerwartet hohen Temperaturen gemütlich durch diese Einöde zu laufen“. Er steuert an den linken Fahrbahnrand, nimmt den Fuß vom Pedal und lässt das Fahrzeug ausrollen. Er streckt sich noch einmal genüsslich, bevor er das Fahrzeug verlässt und nun auf die Fußgänger wartet, die sich ihm langsam nähern.
„Hey Ihr Beiden, seid Ihr auf dem Weg zum Rock?“, fragt Richard in seiner überaus lockeren, gleichfalls freundlichen Art.
„Ja, junger Mann, wir sind auf dem Weg zum Uluru“, gibt Dave nicht minder freundlich, doch deutlich reservierter zurück.
„Ist auch meine Richtung, ich möchte dort den Touristen einwenig die Dollars aus der Tasche locken, bin aber heute recht früh dran. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr gerne bei mir mitfahren. Zu Fuß seid Ihr locker noch eine Stunde unterwegs, wenn Ihr einsteigt, sind wir in wenigen Minuten dort.“
„Vielen Dank junger Mann, wir wissen Ihr Angebot sehr zu schätzen“, entgegnet Dave und will gerade seinen Fußmarsch fortsetzen, als Ellen ihn am Arm ergreift.
Die vielen Stunden haben ihr doch mehr zu schaffen gemacht als Dave und sie ist gerne bereit, Richards Angebot anzunehmen.
„Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, junger Mann, dass Sie uns fragen; gerne fahren wir bei Ihnen mit.“
Mit den Worten: „dann nichts wie rein in die gute Stube“, öffnet Richard die Tür der Beifahrerseite. Er selbst schwingt sich natürlich auf den Fahrersitz, dreht den Zündschlüssel um und erschreckt zucken seine Passagiere zusammen. Laut, sehr laut, viel zu laut, schallt einer seiner Lieblingssongs aus der Musikanlage, „Highway to Hell“.
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