Anders verhält es sich bei den Schlaganfallpatienten. Da es hier offensichtlicher ist, dass etwas nicht stimmt, wird auch gehandelt. Allerdings nicht in Form von Reha-Maßnahmen, die gibt es nur für die leichten Schlaganfälle als Physiotherapie. Bei den etwas schwereren Fällen werden die Patienten nach Hause geschickt, um dort von den Angehörigen gepflegt zu werden. Die Angehörigen sind mit dieser Krankheit oft hoffnungslos überfordert, weil sie nicht die erforderlichen Hilfsmittel wie beispielsweise Windeln, Toilettenstühle, Krücken oder Rollstühle haben. Auch hier versuchen wir immer wieder zu helfen. Mehr dazu im Kapitel „Unsere Arbeit“. Doch es gibt natürlich auch die schon länger bekannten Krankheiten, die in Gambia an der Tagesordnung sind.
Asthma ist ein sehr großes Problem in Gambia. Die relative Nähe zur Sahara beschert uns je nach Wetterlage einen Sandstaub-Niedergang. Der feine Sand setzt sich überall nieder. Gerade denkst du noch, du hättest Staub gewischt, schon ist wieder dieser Belag da. Eine Freundin von mir drückte es mal so aus: „Wenn ich dann jeden Tag meine Düne aus dem Zimmer kehre …“ . Eine andere, selbst Inderin, sagte, dieser feine Staub sei das Make-Up der Armen.
Doch allein damit ist das Asthmaproblem nicht erklärt. Jeder weiß, dass Autos, die in Deutschland nicht mehr fahren dürfen, containerweise nach Afrika geschickt werden. Da die Gambier, besonders die Taxifahrer, an ihren Autos hängen und sie buchstäblich fahren, bis ihnen die Achse unter dem Hintern bricht, und weil es keinen TÜV oder ASU gibt, verpesten in Gambia schwarze und weiße stinkende Autoabgase die Luft wie in kaum einem anderen Land. In Kombination mit den Saharastaub ist das für Asthmatiker eine kaum auszuhaltende Herausforderung.
Interessanterweise gibt es sehr viele Diabeteskranke, obwohl der Zuckerkonsum im Vergleich zu den Industrieländern eher gering ist. Hierfür muss es also eine andere Ursache geben. Doch leiden erstaunlicherweise immer mehr Menschen unter dieser Krankheit. Da Gambier aus Armut eher selten zum Arzt gehen, wird die Krankheit auch oft erst spät erkannt. Doch sie ist so verbreitet, dass es in der Hauptstadt sogar eine eigene Klinik dafür gibt. Der Chefarzt dort und einige Krankenschwestern sind in Deutschland ausgebildet worden. In der Klinik hängen überall Plakate, die darüber aufklären, woran man die Krankheit erkennt und welches die ersten Maßnahmen zu ihrer Verbesserung sein sollten.
Aus Erfahrung von Betroffenen sind die Beratung und die Anweisungen an Diabetes-Patienten seitens des Personals in den normalen staatlichen Kliniken jedoch eher unbefriedigend. So sind im ersten Halbjahr 2020 fünf unserer Freunde und Bekannte an Diabetes bzw. deren Folgen verstorben.
Gambier essen zwar eher wenige Mahlzeiten, die dafür dann aber umso reichhaltiger und zum Teil auch sehr fettreich sind. Wenn sie Fleisch kaufen, dann gerne „meat and bones“ 7, das ist billiger und mit viel Knochen und Fett. Das morgendliche Baguette wird gerne mit kleinen Falafeln mit Zwiebel-Öl-Sauce oder dick mit Mayonnaise bestrichen und mit hartgekochten Eiern belegt gegessen. Der Cholesterin-Spiegel lässt grüßen. So haben die meisten einen hohen Blutdruck und wissen es oft nicht einmal.
Sehr traurig war ich, als wir erfuhren, dass die Mutter unseres Wachmannes sich eines Abends nicht gut fühlte. Sie ging dann allein zum Krankenhaus, wo ein hoher Blutdruck festgestellt wurde. Sie konnten aber wohl nichts weiter tun, weil sie gerade keine Medikamente vorrätig hatten. Als sie sie mit einem Krankenwagen in die Hauptstadt fuhren, verstarb sie leider unterwegs, mit gerade einmal 46 Jahren.
Malaria ist wohl die häufigste Krankheit in Gambia. Sie wird durch die Anopheles-Mücke übertragen. Um sich davor zu schützen, ist es wichtig, verschiedene präventive Maßnahmen zu treffen, z. B. Moskitonetze aufzuspannen, Anti-Mücken-Spray zu verwenden, die Türen zur Dämmerung immer geschlossen zu halten oder den Moon Tiger anzuwenden (eine Spirale, die abgebrannt wird und deren Rauch die Mücken vertreibt). Wie schon im Kapitel „Heilpflanzen“ beschrieben, setze ich vor allem auf meine persönliche Präventivmaßnahme, den Artemisia-Tee.
Das Thema Bildung zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Buch und wird dem Leser noch an anderen Stellen begegnen. Es scheint, dass Bildung ein Schlüssel ist, um Armut und damit den prekären Lebensumständen zu entfliehen. Auch wir haben daher einen Schwerpunkt unserer Arbeit auf die Bildung gelegt.
Doch um das Bildungssystem in Gambia zu verstehen, ist auch ein Blick hinter die Kulissen nötig. Zu oft musste ich beobachten, dass gut gemeinte und Erfolg versprechende Regeln von den Verantwortlichen selbst gebrochen wurden. Welche Auswirkungen dieses Verhalten auf die gesamte Gesellschaft hat, könnt ihr in den nächsten Kapiteln nachlesen.
In Gambia gibt es staatliche Schulen und Privatschulen. Das Schulsystem ist dreigliedrig, d. h., es gibt die Grundschule von Klasse 1 bis 6, die Juniorschule von Klasse 7 bis 9 und die Oberschule, von Klasse 10 bis 12. In der senior school (der Oberschule) müssen sich die Schüler für eine Fachrichtung entscheiden. Neben einigen technisch orientierten Schulen sind die Hauptrichtungen an den meisten Schulen Naturwissenschaften, Finanzwesen und Geisteswissenschaften. Dabei sind die naturwissenschaftlichen Klassen oft recht klein, während die geisteswissenschaftlichen Klassen in manchen Schulen bis zu einhundert Kinder stark sind.
Bis vor einigen Jahren gab es ausschließlich Privatschulen, der größte Teil davon Missionsschulen. Ihr Engagement und ihre Bereitschaft zu helfen ehrt die Gründer dieser Schulen, doch dass sie die Bildungsnot eines Landes ausnutzen, um kleinen Kindern eine andere Religion aufzuzwingen, ärgert viele. So werden sie gezwungen, kurze Röcke zu tragen, das Kopftuch abzulegen und mit christlichen Gebeten den Tag zu beginnen. Nur dann dürfen sie lernen.
Für alle Eltern ist es etwas Besonderes, wenn das eigene Kind an einer Universität aufgenommen wird. Bisher habe ich das immer nur bei anderen beobachten können, nun durften wir es selbst erleben. Einige administrative Notwendigkeiten habe ich durch unsere gesponserten Studenten ja auch schon kennenlernen dürfen, doch dann hieß es für meine Töchter: „Rein in den Papierkram und Hacken ablaufen“.
Wie einfach ist es im Vergleich, Sponsorengelder zu erbitten, dann mit dem betreffenden Studenten gemeinsam zur Bank zu gehen, das Geld auf das Universitätskonto einzuzahlen, und gut ist. Nun sind wir gefragt. Vielleicht noch zur Erklärung: Die Universität ist etwa neunzig Minuten von uns entfernt, es sind 34 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Den Weg dorthin mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen heißt, sich in ein Sammeltaxi zu quetschen, das eigentlich für acht Personen ausgerichtet ist, in das aber sechzehn Sitze eingebaut wurden.
Zunächst müssen die Schüler mit ihrem Zeugnis bei der Universität vorstellig werden. Dort wird entschieden, ob das Zeugnis gut genug ist. Wenn man in allen neun Schulfächern ein A, B oder C (die Bewertung geht bis F) hat, wird man auf jeden Fall angenommen. Mit einem „nicht bestanden“ in Englisch oder Mathe gibt es Probleme. Dann müssen die Examen dieser beiden Fächer wiederholt werden. Das war bei unseren Kindern nicht der Fall, und so wurden sie angenommen. Mit dem „Letter of Admission“ (Zulassungsbescheid), in dem auch die Studiengebühr steht, geht es dann weiter, scholarships (Stipendien) suchen.
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