Zugang zum Gesundheitssystem
Im Prinzip hat jeder Zugang zum Gesundheitssystem. Die Registriergebühr von ca. fünfzig Cent können die meisten Kranken aufbringen. Nur die anschließend verschriebenen Medikamente sind oft nicht mehr im Budget. Oder sie werden gekauft und dann vergessen zu nehmen. Oft spielen sich in Krankenhäusern dramatische Szenen ab, weil die Patienten schlicht vergessen haben, ihr Insulin oder ihre Blutdrucktabletten zu nehmen.
Im Folgenden berichte ich nun über Krankheiten, die kaum jemand kennt, zumindest nicht in Deutschland. Vielleicht wird der ein oder andere schon von ihnen gehört haben, aber in der Häufigkeit, in der sie hier auftreten, bestimmt nicht. Da ich keine Ärztin bin, kann ich mir die Herkunft und Häufigkeit der Krankheiten oft nicht erklären, aber dennoch ist meine Verwunderung immer wieder groß. Anschließend führe ich Krankheiten auf, die in Deutschland wohl bekannt sind, aber eher nicht in die afrikanische Geschichte passen. Diese sogenannten Zivilisationskrankheiten sind ein immer häufiger auftretendes Phänomen, und meiner Beobachtung nach auf die Veränderung der Essgewohnheiten zurückzuführen. Dazu mehr im Kapitel „Kultur“
Bevor ich zu den „großen“ Krankheiten komme, erst einmal etwas zu den kleinen Blessuren. Ich schreibe darüber, um einfach einmal aufzuzeigen, wie unterschiedlich Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen mit Krankheiten oder Blessuren umgehen.
Eine kleine Geschichte dazu:
Bei einem unserer letzten Besuche in Kuloro, wo wir eine Moschee bauen, kam mir meine Freundin entgegen, eine Frau, die mich immer „my berry, berry good friend“ nennt. Sie trug Flip-Flops, von denen einer kaputt war und den sie deshalb bei jedem Schritt fast verlor. Instinktiv schaute ich auf ihre Füße. Ein Zeh war mit einem Blatt umwickelt. Als ich sie fragte, was das sei, zeigte sie mir eine schon weit fortgeschrittene Infektion. Ich wollte wissen, ob sie zum Arzt gegangen sei. „Nein“, das könne sie sich nicht leisten. Die Kosten dafür stellen sich etwa wie folgt dar:
Fahrt zum Krankenhaus und zurück(denn Hausärzte gibt es so gut wie gar nicht): 1 €
Registriergebühr: 0,50 €
Behandlung: kostenlos
eventuell Laboruntersuchung: 0,50 €
Medikamente: ca. 5 €
Das macht zusammen ca. 7 €
Da das niedrigste Einkommen bei dreißig Euro liegt (und sie gar kein Einkommen hat), ist dies eine kaum zunehmende Hürde. Also wird ein Blatt mit ein wenig Spucke um den Zeh gewickelt und gebetet. Nicht zu vergessen die Wege, die zurückgelegt werden müssen. Da es fast nur Kliniken gibt, müssen sie in ein Krankenhaus. Das bedeutet weite Wege und lange Wartezeiten, da vor dir in der Regel eine lange Schlange ist.
Was machen wir nun in einem solchen Fall?
Wir suchen in unserer Hausapotheke nach einer Wundsalbe, schlucken vielleicht homöopathische Kügelchen und desinfizieren die Wunde. Wenn es ganz schlimm wird, lassen wir uns beim Hausarzt Antibiotika verschreiben. In der Regel kostenlos und frei verfügbar. Soweit zu den kleineren Krankheiten.
Doch was, wenn du eine der zum Teil in Deutschland recht seltenen Krankheiten wie Elephantiasis, Hydrocephalus oder einen Kropf hast? Dann hast du in Gambia ein Problem. Denn diese Krankheiten sind hier nicht heilbar. Wenn du Glück und Geld hast, kannst du eine Behandlung im Senegal anstreben, oder ein Verein schafft es, einen Spezialisten aus Europa ins Land zu bekommen. Andernfalls bist du deinem Schicksal ausgeliefert. Im Folgenden berichte ich nun über Krankheiten, die in Gambia teils recht häufig vorkommen oder aber auch neue Krankheiten, für die es noch keine ausgewiesene Infrastruktur gibt.
Elephantiasis ist eine Lympherkrankung, bei der das Lymphwasser nicht mehr ablaufen kann. Die Arme und/oder Beine schwellen auf ungeahnte Größe an, und die Betroffenen sind mehr als gehandicapt. Drei Frauen unserer Bedürftigen haben diese Krankheit, und sie berichten auch von starken Schmerzen, die wahrscheinlich der Druck des Wassers auf die Gefäße auslöst. Wir haben schon mehrere Ärzte in Deutschland angeschrieben, einige waren auch im Prinzip bereit zu kommen, haben dann jedoch leider wieder einen Rückzieher gemacht. Wir bleiben aber dran und versuchen es weiter. Wer von den Lesern vielleicht einen Lymphologen kennt, darf ihn gerne fragen, ob er vielleicht in Gambia helfen möchte.
Wir betreuen eine Frau, deren Beine so dick sind, dass sie nicht alleine laufen kann. Sie bekommt jeden Monat einen Sack Reis, weil sie sich nicht selbst versorgen kann. Als ihre Tochter letztes Jahr ihr Fleisch zum Opferfest abholen kam, zeigte sie uns die Verschlimmerung ihrer Beine auf einigen Fotos. Sie braucht pro Monat Medikamente für zwanzig Euro, die sie aber nicht hat. Wenn sie die Medikamente absetzt, werden die Beine sofort dicker.
Hydrozephalus (auch Wasserkopf genannt) ist eine Wasseransammlung im Gehirn. Das Hirnwasser kann nicht abfließen und lässt den Kopf auf Übergröße anschwellen. Je nachdem, in welcher Region des Gehirns es passiert, haben die Patienten, meist Kinder, entsprechende Ausfälle. Die Lösung ist hier, einen Shunt einzusetzen. Er pumpt das Hirnwasser in den Magen, um von dort ausgeschieden zu werden. Diese OP kann im Senegal für sehr viel Geld durchgeführt werden. Wir haben zwar schon einen Arzt in Deutschland gefunden, der in Gambia operieren würde, doch das gestaltet sich im Moment organisatorisch etwas schwierig. Aber wir bleiben dran.
Einem zwei Monate alten Mädchen wollten wir sogar helfen, nach Deutschland zu kommen. In Deutschland hatte ich meine Recherchen gemacht. Dabei lernte ich den Arzt kennen, der bereit ist, nach Gambia zu kommen. Leider verstarb das Baby kurz nach meiner Rückkehr nach Gambia.
Ein Kropf ist eine Vergrößerung der Schilddrüse durch Jodmangel. Nun werdet ihr euch bestimmt fragen, wie jemand direkt am Atlantik mit den ganzen Fischen vor Ort einen Jodmangel haben kann. Was wir bisher herausgefunden haben, ist, dass es zum Teil Frauen sind, die nicht in Gambias Küstenregion aufgewachsen sind. Unser erster „Fall“ kam aus dem Landesinneren von Guinea, und der jetzige „Fall“ ist Senegalesin, ich weiß aber nicht genau, wo sie geboren ist. So kann es eventuell ein Schaden sein, den sie schon aus der Kindheit mitbringen. Dann gab es da noch ein anderes Erlebnis. Kürzlich kam eine junge Frau, die für UNICEF arbeitet, zu uns und wollte eine Umfrage machen. Am Ende, nach gefühlt hundert anderen Fragen, kam sie zum Thema Salz. Sie bat uns, unser Salz testen zu dürfen. Ich brachte ihr die Salzpackung, sie streute etwas auf ein Stück Papier und träufelte zwei Tropfen einer Flüssigkeit darauf. Das Salz verfärbte sich blau, und sie strahlte. Dann erklärte sie, dass unser Salz genug Jod enthielte. Auf meine unschuldig dumme Frage, ob es denn auch Salz ohne Jod gäbe, antwortete sie, dass man auf dem Markt billig loses Salz kaufen könne, das quasi ein Abfallprodukt der Industrie ist. Darin sind so gut wie keine Nährstoffe mehr enthalten.
Dieses und viele andere Beispiele zeigen wieder einmal, dass Gesundheit anscheinend doch eine Frage des Geldes ist. Doch kommen wir nun zu den neuen Krankheiten, für die es meiner Meinung nach noch keine echte Infrastruktur gibt.
Die Krankheit Krebs ist in Gambia noch weitestgehend unbekannt. Die Ärzte kommen auch selten selbst auf die Idee, entsprechende Untersuchungen durchzuführen. Sei es, dass sie nicht die erforderlichen Möglichkeiten haben, oder dass sie sich nicht auskennen. Wenn die Krankheit dann doch diagnostiziert wird, ist es oft schon zu spät.
In unserem unmittelbaren Freundeskreis beispielsweise sind nun schon mehrere Männer an Prostatakrebs erkrankt, mit unterschiedlichem Ausgang. Einer ist erfolgreich operiert worden, bei einem anderen sind so viele weitere Krankheiten gefunden worden, dass sich die Operation immer wieder verschiebt, wieder ein anderer hat niemanden gefunden, der die Kosten übernimmt, und so ist er relativ schnell verstorben. Zurzeit suchen wir für einen anderen Freund einen Arzt, der eine Diagnose stellen kann, denn der Freund ist nur noch ein Schatten seiner selbst, und die Ärzte in drei verschiedenen Krankenhäusern meinen nach wie vor, es sei „alles in Ordnung“, kein Befund. Ein Familienangehöriger hat ebenfalls Prostatakrebs, aber die Operationen sind so teuer, dass auch wir nicht immer helfen können.
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