Diese machtbewusste, aber undogmatische, pragmatische Herangehensweise, gepaart mit einer nüchternen Kosten-Nutzen-Abwägung eröffnet Spielräume für Vereinbarungen, die es mit einem hoch dogmatischen Gegenspieler in der Hochphase des kalten Krieges mangels der nötigen Flexibilität nicht geben konnte. Im Gegensatz dazu kann man beobachten, wie die Türkei unter Erdogan seit seinem Wechsel ins Präsidentenamt immer ideologisierter und dogmatischer wird. Hier werden die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei eher immer schwieriger als immer leichter werden.
Jalta – dort, wo alles begann, wird es auch wieder enden und von neuem beginnen. Mit einem Zuwachs an Erfahrung, mit einem Zuwachs an Rationalität und mit erheblich mehr politischem Gestaltungsspielraum als damals nach einem verheerenden Weltkrieg.
1.3. Das fehlerhafte Titelbild
Wer sich das Titelbild dieses Buches nur flüchtig anguckt, dem wird es vertraut vorkommen. Europa, Afrika , Russland, der Nahe Osten . Wer jedoch genauer hingesehen hat, der wird, teilweise erst nach mehrfacher Überprüfung und unter Zuhilfenahme eines Atlas, insgesamt zehn Abweichungen entdecken. Es folgt eine Auflistung der Abweichungen, zusammen mit den Gliederungspunkten, in denen diese Abweichungen jeweils begründet und erklärt sind:
7.3.12. Warum ist die Ukraine geteilt und zweifarbig?
7.4.1. Wo ist Moldawien geblieben?
7.4.3. Warum ist die Türkei zweifarbig?
7.4.3. Soll das da etwa ein Staat namens Kurdistan sein?
7.4.5. Warum ist Ägypten zweifarbig?
9.1.2. Der kleine Knubbel südlich von Ex-Moldawien, ist das noch Ukraine oder kann das weg?
9.1.3. Warum ist Zypern zweifarbig?
11. Wo ist der Kosovo geblieben?
13.2.1. Wo ist Belgien geblieben?
13.2.6. Warum liegt der Sitz der Europäischen Union plötzlich in Bratislava?
Eine gemeinsame Antwort auf die Frage nach diesen Abweichungen kann jedoch bereits vorab gegeben werden. Die Konferenz von Jalta 1945 hat die Landkarte Europas tiefgreifend und nachhaltig verändert. Zudem bewirkte sie, und das geht aus Landkarten selten hervor, die Vertreibung und Umsiedlung von fast 20 Millionen Menschen, wohlgemerkt, nach dem Zweiten Weltkrieg . Die damit verbundenen menschlichen Schicksale und Traumata prägen das Denken und Fühlen auch nachfolgender Generationen in weiten Teilen dieses Kontinents auch heute noch. Die hier diskutierten Grenzveränderungen haben den Zweck, weiteren Traumata vorzubeugen.
Wer das Buch zu Ende gelesen hat und sich dann das Titelbild erneut anschaut, dem wird auffallen, dass sämtliche in 13.2.1. skizzierten Veränderungen, namentlich Neugründungen sezessionistischer Staaten auf dem Gebiet der Europäischen Union grafisch ignoriert wurden. Die Gründe dafür sind:
a) Die politische Innenwirkung auf den jeweiligen Rest der Europäischen Union ist gering
b) Die politische Außenwirkung außerhalb der Europäischen Union ist ebenfalls gering
c) Aufgrund der proportionalen Repräsentanz in den meisten Gremien der EU wird sich das Machtgefüge innerhalb der EU durch jede einzelne Abspaltung nur marginal verändern.
d) Die in 13.2.1. diskutierte Transformation in ein Europa der 80 Regionen würde alle diese Abspaltungen in ein modifiziertes Gesamtkonzept einbinden, welches mit der jetzigen Landkarte im Titelbild überhaupt nichts mehr zu tun hätte
e) Das Titelbild ist auch so schon verwirrend genug
f) Noch mehr Änderungen zum Status Quo hätten die beabsichtigte grafische Unterstützung der Kernthesen dieses Buches in ihr Gegenteil verkehrt
g) Dem Autor war es nachvollziehbarer weise irgendwann nicht mehr möglich, die Landkarte nach der Fertigstellung jedes weiteren Kapitels zum wiederholten Male neu zu zeichnen (Dieser Punkt wurde hinzugefügt, nachdem bereits 10 von 14 Kapiteln fertiggestellt waren)
1.4. Die Methodik des Buches
Wer die Gliederung dieses Buches gelesen hat, erwartet einen riesigen dicken Wälzer und ist möglicherweise darüber enttäuscht, dass das Buch in seinen Abmessungen doch einigermaßen moderat ausgefallen ist. Die Gliederung dieses Buches ist bewusst bis ins feinste aufgefächert, um den Kerngedankengang bereits beim ausschließlichen Lesen der Gliederung begreiflich zu machen. Den gleichen Zweck verfolgt im übrigen auch die Landkarte auf dem Titelbild.
Diese Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern es ist ein politisches Buch. Da es eine mögliche Zukunft beschreibt, entzieht es sich in diesem Punkt empirischer Nachprüfbarkeit. Aus diesen beiden Gründen wird es hier auch keine Wüste von Zitaten und keine Quellenliste geben. Darüber hinaus soll das Buch als Denkanstoß dienen und nicht einen dogmatisch zu befolgenden Fahrplan vorgeben.
Im Umkehrschluss davon auszugehen, dass im Vorfeld überhaupt keine Fakten recherchiert worden sind, ist allerdings genau so irreführend. Wer bis hier her gelesen hat, wird bereits bemerkt haben, dass hier etliche Begriffe bei ihrer ersten Nennung kursiv gesetzt worden sind. Die kursiv gesetzten Begriffe (in ihrer Nominativ-Flexion) sind alle in der deutschsprachigen Wikipedia abrufbar. Insbesondere bei geografischen, historischen und politischen Fakten ist es oft hilfreich, sich die Kenntnis derselben immer wieder mal ein wenig aufzufrischen.
Im übrigen hat dieses Buch auch den Mut, subjektiv zu postulieren, Dinge als wünschenswert in den Raum zu stellen, ohne vorher die Mehrheitsfähigkeit dieser Wünsche demoskopisch zu erfassen. Politik, und das wird in den Zeiten der Alternativlosigkeit gerne vergessen, ist eine Sache des Willens, nicht der Fakten. Ein kurzes Beispiel dazu:
Der Himmel ist blau. Ist dieses Blau alternativlos? Nein. Nachts ist er schwarz, abends und morgens ist er rot und an Regentagen ist er grau. Können wir die Farbe des Himmels selber ändern? Nein. Können wir uns der Farbe des Himmels entziehen? Ja, indem wir ein Gebäude betreten oder unter eine Bettdecke schlüpfen. Ein Zelt oder ein Wohnwagen sind auch nette Alternativen.
Wir müssen uns mit nichts abfinden, wenn wir den Mut haben, über Alternativen nachzudenken, wie wir verschiedene Probleme so miteinander verknüpfen, dass sie gemeinsam eine Lösung ergeben. Dieses Buch soll jeden einzelnen dazu ermutigen, Lösungen zu entwickeln, auch wenn sie im ersten Schritt einer Überprüfung durch den TÜV oder eines wissenschaftlichen Gremiums nicht stand halten würden.
Im übrigen erleben wir auch in der Politik immer wieder das Phänomen, dass sie sich im Dunkeln tastend fortbewegt, ohne das Ende überhaupt zu kennen. Wenn von Politikern, insbesondere, wenn sie aus den Naturwissenschaft kommen, behauptet wird, dass sie „Dinge vom Ende her denken“ und so ihre politischen Lösungswege entwickeln, so muss festgestellt werden, dass der politische Raum an sich in keiner Weise ein deterministisches System darstellt.
Auch, und das an die Neoliberalen, der Homo oeconomicus wäre in diesem Zusammenhang ein unvollständiges Modell und im Vergleich zur Realität zu deterministisch. Politik und Wirtschaft sind keine Naturwissenschaften , sondern Geisteswissenschaften , weil ihre Versuchsanordnungen mit Menschen bestückt sind. Menschen sind keine Laborratten und schätzen es überhaupt nicht, wenn sich im Vorfeld jemand anders darüber Gedanken macht, was gut für sie sein könnte, ohne sie selbst je gefragt zu haben. Sie rauchen, sie fahren zu schnell, sie lassen sich scheiden, sie sind nicht perfekt.
Auch dieses Buch wird keine perfekte, sondern lediglich eine anwendbare Lösung anbieten. Dies, zumal Politik grundsätzlich nicht unter Laborbedingungen stattfindet. Bereits während des Schreibens dieses Buches traten politische Entwicklungen ein, die es immer wieder erforderlich machten, bereits fertiggestellte Kapitel in Teilen zu überarbeiten oder gar komplett neu zu strukturieren.
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