1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Immer wieder warf die hochnäsige Dame auffällig bissige Blick in Richtung ihrer Sitznachbarin, die mit ihren vollen dunklen Wimpern und Augenbrauen, den schöngeformten Lippen und dem leicht spitzen Kinn so atemberaubend schön war, dass man vor Neid erblassen konnte. Die rehbraunen Augen blickten aufmerksam und wach in Richtung von Dr. Marvelus. An ihren Händen trug die Anführerin der berittenen Amazonenarmee des verborgenen Waldes fingerlose Handschuhe aus dunklem Leder, unter der schwarzen Kutte waren deutlich die Konturen eines massiven Schwertes zu erkennen. Dieses hatte die Hüterin des Waldes mit Namen Akra bereits in unzähligen Kämpfen erprobt. Die Amazonen waren für ihre Stärke bekannt und wegen ihrer unerbittlichen Kampfeskunst gefürchtet. Einmal in den Kreis der Amazonen aufgenommen, war man sich der lebenslangen Loyalität aller Mitstreiterinnen sicher und konnte darauf zählen, dass jede der herkulischen Frauen bedingungslos ihr Leben für die andere opfern würde.
Neben Akra nahm eine kleine Gestalt, die von einem hellen Glanz umgeben war, ihren Platz ein. Der junge Elf hatte stechende eisblaue Augen und helle samtige Haut, die im richtigen Lichtwinkel golden strahlte. Das schneeweiße schulterlange Haar war hinter den spitz anlaufenden Ohren mit einer silbernen, alt anmutenden Spange zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Elfen waren ein uraltes Volk, das in magischer Weise mit der Natur und den Elementen verbunden war. Durch wegen ihres unverblümten Gemüts und der neugierigen Gutgläubigkeit war es ein Leichtes die zierlichen Wesen in die Irre zu führen. In der Vergangenheit hatten sich so manche niederträchtigen Gestalten dies zu Nutze gemacht und beuteten das Elfenvolk schamlos aus. So war es nicht verwunderlich, dass die faszinierenden geflügelten Wesen über die Jahre ein Misstrauen zu anderen Gattungen entwickelt hatten. Sie lebten zurückgezogen im verborgenen Wald und scheuten den Kontakt zur Außenwelt. Es hatte Dr. Marvelus intensive Überzeugungskraft gekostet Prinz Efonijus als Ratsmitglied zu gewinnen. Als Gegenleistung für das unsagbare Wissen über die alten Künste der Magie erhielt das Elfenvolk den Schutz der Armee des Rates und wird seither von den Amazonen behütet.
Als letztes sehr umstrittenes Ratsmitglied fand sich links neben Dr. Marvelus ein buckliger Mann mit schwarzem aalglattem Haar ein. Sein Gesicht wirkte kränklich bleich, als ob es noch nie Tageslicht gesehen hätte. Unter seinen furchteinflößenden Augen bohrten sich tiefe dunkle Ringe in die Haut. Auf den trockenen Lippen bildeten sich fransige blutleere Risse. Die jämmerlich anmutende Gestalt wusste, dass sein voller Name Misstrauen und Furcht hervorrief, weshalb er sich stets nur mit seinem Vornamen vorstellte. Alexander Nox hatte viele Jahre lang der dunklen Seite gedient. Geblendet und machthungrig verfolgte er das Ziel wie eine Plage über die Unwesentlichen hereinzubrechen. Doch das große Leid und die unzähligen Morde zerrten an ihm, raubten ihm den Schlaf und zerrissen sein Inneres. Als er es nicht mehr ertragen konnte, fasste er den Mut sich vom Anführer des Bösen, der sich selbst Det Onda nannte, abzuwenden. So wandte er sich hilfesuchend an Dr. Marvelus. Als Gegenleistung für dessen Gunst und den Schutz vor todbringenden Racheakten offerierte er dem Rat sein Insiderwissen und trug dazu bei, den mächtigen schwarzen Magier auf ewig in ein Verlies im verborgenen Wald einzusperren. Es gab viele, die davon überzeugt waren, dass Alexander Nox nur aus Furcht vor dem bevorstehenden Fall seines Herrschers auf die andere Seite gewechselt war und verhöhnten ihn als Feigling. Andere glaubten, dass es Det Onda selbst war, der ihm im Bewusstsein des nahenden Unterliegens im Kampf befohlen hatte sich seinen Feinden anzuschließen, um als Spion seine Befreiung und Wiederkehr zu planen. Eines hatten sie jedoch gemein, sie alle straften Alexander Nox bei jeder Begegnung mit angewiderten Blicken. Dr. Marvelus hingegen hatte keine Bedenken dem düsteren Mann zu vertrauen.
„Wie ihr alle wisst, hat unser tapferer Marlon Bell vor acht Jahren im Kampf gegen Det Onda sein Leben gelassen“, Dr. Marvelus schluckte.
Seine Worte wühlten längst verdrängte Erinnerungen an einen grausamen Krieg auf.
„Aber es gibt etwas, was er all die Jahre vor uns allen geheim hielt. Er war verheiratet. Mit der wunderschönen Alice Bell. Einer Unwesentlichen.“
Lady Mc Grath fasste sich mit der rechten Hand stöhnend auf die Brust, als ob sie just in diesem Moment einen Herzinfarkt erleiden würde.
„Aus dieser Beziehung ging ein Kind hervor. Ein kleines Mädchen mit Namen Aurelie“, sprach der Ratsvorsitzende weiter.
„Vor wenigen Stunden zeichneten die Satelliten der Agency verbotene magische Aktivität im Antlitz Unwesentlicher auf“, Dr. Marvelus unterbrach seinen Vortrag kurz und überlegte, wie er die unglaubliche Botschaft am besten überbringen sollte.
„Wie es scheint, meine Freunde, ist Marlon Bells Tochter eine Zauberin.“
Ungläubig starrten die Ratsmitglieder in die Augen des kolossalen Mannes.
„Das ist absolut ausgeschlossen“, empörte sich Lady Mc Grath.
Die pompöse Frau schüttelte ihren Kopf so wild, dass sich die rotbraunen Haarsträhnen aus dem strengen Gefängnis ihrer gesteckten Frisur lösten. Dass aus einer Verbindung eines Wesentlichen mit einer Unwesentlichen niemals ein Spross magischer Natur hervorgehen konnte, wusste schließlich jedes Kind.
„Die Agency ist doch wirklich für nichts zu gebrauchen. Ich frage mich, wofür meine Familie Unmengen an Geldern investiert, wenn offensichtlich nur unfähigen Mitarbeiter beschäftigt werden“, die Stimme der schimpfenden Frau wurde bei jeder Silbe lauter und schriller.
„Ich kann Ihnen versichern, dass kein Fehler vorliegt, Teuerste. Ich habe mich höchstpersönlich davon überzeugt“, versuchte Dr. Marvelus die hyperventilierende Dame zu beschwichtigen.
„Das ist erstaunlich“, murmelte Dr. Dr. Marcelus Omnisciens unverständlich in sein faltiges Kinn.
Er blätterte wild in dem quadratischen Notizbuch, das er unter seinem Talar hervorgezaubert hatte. Der schwarze Einband war abgewetzt und mit klebrigen Essensrückständen übersäht. Auf den weißen Seiten fanden sich kreuz und quer gezeichnete Skizzen, Formeln und Anmerkungen in unleserlicher krakeliger Schrift.
„Es muss so sein, sie ist die Rettung oder das Verderben.“
„Marcelus, willst du uns etwas sagen?“, fragte Dr. Marvelus in Richtung seines alten Freundes, der ohne den Kopf nur eine Sekunde zu erheben, seine Gedanken mit den Anwesenden teilte.
„Vor acht Jahren gelang es uns mit Müh und Not Det Onda mit dem Excilium-Zauber an die Gitter des uneinnehmbaren Verlieses im verborgenen Wald zu fesseln. Fast hätten wir den Kampf verloren. Noch nie zuvor hatten wir uns solchen Kräften stellen müssen. Um so mächtig zu werden, muss sich ein Zauberer gänzlich der schwarzen Magie hingeben. Durch den Corrupta-Zauber verschließt sich das Herz für immer vor der Liebe und die Seele verfällt zu einer dunklen leeren Hülle. Der Corrupta erfordert den Verzehr von sieben Herzen unschuldiger Wesen und gilt als der grausamste Zauber überhaupt. Wie der Excilium ist er unumkehrbar. Einmal ausgesprochen, kann er nicht mehr zurückgenommen werden.“
„Wir sind ja alle sehr dankbar für die Aufklärung, mein Freund. Aber das ist doch nichts Neues. Was hat das alles mit Marlon Bell zu tun?“, versuchte Dr. Marvelus den Professor, der für seine langspurigen, oft in unverständliche Theorien ausufernden Vorträge bekannt war, anzuspornen endlich zum Punkt zu kommen.
„Natürlich, natürlich, Constantin“, Dr. Dr. Marcelus Omnisciens kritzelte während er sprach mit einem schwarzen Kugelschreiber Pfeile und Symbole in sein Notizbuch.
„Der Legende nach wird eines Tages ein besonderer Unwesentlicher geboren. Er allein soll in der Lage sein das Unumkehrbare aufzuheben.“
Читать дальше