Paul Landmann ist aus Worms gebürtig. Es ist dies, lieber Leser, (alle Wormser jetzt mal einige Zeilen überspringen, anderes bringt euch nicht weiter, Jungs und Mädels), eine rheinhessische Schnarchstadt, die außer einem elenden Fuselgesöff namens Liebfrauenmilch in den letzten hundert Jahren keinen mir bekannten Beitrag zum Fortschritt der Menschheit geleistet hat, noch vermutlich in Zukunft leisten wird. Früher, ja früher, war alles anders, Kaiser hat sie beherbergt, die Stadt Worms, Konkordate herausgegeben, Reichstage abgehalten. Aber danach? Nichts mehr weit und breit, nur noch Elend zuhauf in der Stadt Worms sowie in Wald und Flur, von denen sie umgeben ist, soweit keine Autobahn die um sich greifende Zerrüttung eingrenzend beschneidet oder einschneidend begrenzt. Wobei durch den Bau der Autobahn 61 im Westen, selbiger mit der Numero 6 im Süden und einem leidlich befestigten Teilstück einer mit der schönen Ziffer 44 betitelten Bundesstraße im Osten die Landesregierung schon einigen guten Willen gezeigt hat, ohne Frage. Allein der Norden wirkt, da lediglich durch die Ansiedlungen Westhofen, Osthofen, Rheindürkheim und Biblis nur leicht gesichert, noch einigermaßen durchlässig, aber man arbeitet daran.
Worms ist Scheiße, hat Wenzel sich einmal unmissverständlich verlauten lassen. Obwohl er noch nie in der von ihm unbewusst mit Recht so kloakig eingestuften Stadt war, hatte er instinktiv den richtigen Riecher. Oder aber einen Anflug von künstlicher Intelligenz.
Nun kann man ja nichts für seine Herkunft, soviel ist klar. Aber es bleibt immer was hängen, soviel ist auch klar. Damit ist man dann gezeichnet, in der Regel das ganze Leben lang. Und Worms ist schon ein extrem kräftiger Hieb, ohne Frage. Prägend und durchschlagend.
In derlei Gedanken vertieft kam ich zu Hause an und öffnete, das Kontinuum der nun einmal begonnenen Tagesgestaltung nicht zu durchbrechen, eine Flasche Bier, besetzte in meinem Studierzimmer den bequemen Lehnsessel und starrte das Telefon an. Am liebsten wäre es mir natürlich gewesen, Altschwager Landmann würde kraft Gedankenübertragung oder sonst welchem telepathischen Hokuspokus selbst zum Hörer greifen und mich anrufen. Dann wäre ich ohne Zweifel in einem Vorteil. Technisch und psychologisch, denn das Gespräch ginge auf seine, des munteren Landmanns Kosten und zudem müsste er sich überlegen, welches Begehr er hatte, mich fernmündlich zu kontaktieren. Rief er, was allerdings zu erwarten war, nicht an, musste ich es tun und hätte damit den Schwarzen Peter, ha ha, denn ich wusste genau genommen überhaupt nicht, was ich von ihm wollte und zahlungswillig war ich auch nur bedingt. Die Stunden im unmittelbaren Dunstkreis seines zum Aberwitz neigenden Nachfolgers aber verlangten, schrien geradezu nach einem auditiven Kontakt mit dem Vorgänger, ich musste ihn einfach hören, den schelmischen Finanzexperten. Nicht wegen des Ausgleichs sondern der Vollständigkeit halber. Wie sonst konnte ich dem Schwagerkomplex Gerechtigkeit in seiner Beurteilung ohne Ansehen der handelnden Personen willfahren lassen? Allein, das Gerät blieb stumm.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: es war nicht allein die Suche nach Objektivität im Schwagervergleich, die mich so beharrlich zum Anruf beim Vorgänger Wenzels drängte. Vielmehr gedachte ich ihm in einer Angelegenheit unauffällig den Zahn zu betasten, von der ich kürzlich eher zufällig Kenntnis erlangte und die mich seitdem, zugegeben, nicht wenig beschäftigte.
Herr Egbert Reißmüller nämlich, trotz seiner relativ jungen Jahre schon als Privatier mit einem unerschöpflichen Vorrat an Zeit und Muße in unserem Viertel agierend, hatte mir unter Einfluss mehrerer doppelt eingeschenkter Weinbrände nebst den dazu gehörenden Bieren am Tresen der von uns gern besuchten Gastwirtschaft Marieneck streng vertraulich Mitteilung davon gemacht, dass Paul Landmann vor nicht langer Zeit ein mehr als eindeutiges Verhältnis mit einer Person weiblichen Geschlechts namens Kathrin gehabt habe, die, so Reißmüller, von jedermann allerdings nur Muschi genannt werde und rappeldürr sein soll. Das allein wäre noch nicht der Beachtung wert, wohl aber der Umstand, dass besagte Muschi respektive Kathrin vor der Beziehung mit dem Altschwager ein ebenso unzweideutiges Verhältnis mit dessen Nachfolger Wenzel Wiener gehabt habe, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Landmann noch in trauter Zweisamkeit mit meiner Gattinschwester sich befand, die ja, wie schon erwähnt, nachdem sie ihm dann den Laufpass gegeben, bzw. aus der bis dato gemeinsam bewohnten Behausung geschmissen hatte, nunmehr mit Wiener fest liiert war.
Hier hatte somit ein Austausch aller Beteiligten untereinander derart stattgefunden, dass der Vorgänger des Nachfolgers bei meiner Schwägerin gleichzeitig zum Nachfolger des Vorgängers bei der schon erwähnten Kathrin oder auch Muschi geworden war, was zunächst für Außenstehende einigermaßen verwirrend klingen mochte, indes aber eine äußerst interessante Konstellation auftat.
Wie Herr Reißmüller mir weiters unter strengstem Verweis auf den Mantel der Verschwiegenheit anvertraute, ist in der reichhaltigen Beziehungswelt der Hauptakteurin Muschi bzw. Kathrin nun ein erneuter Wechsel eingetreten, indem sie dem immer heftiger werdenden Drängen des kiezbekannten Gossendichters Roland Meier erlag, und sich diesem zu- und somit von Landmann abwandte. Meier nun, der kurz vor Vollendung seines achtundsechzigsten Lebensjahres stand, soff sich die knochige Kathrin, respektive Muschi, offensichtlich zu einer Art kurvenreicher Vampirette zusammen und mobilisierte die letzten ihm noch verbliebenen Reserven derart aufdringlich, dass es der interessierten Öffentlichkeit nicht lange verborgen bleiben konnte, die den Galan fortan zunächst als Dr. Unrat bespöttelte. Im weiteren Verlauf der Affaire Meier/Muschi/Kathrin aber setzten sich im Volksmund die Bezeichnungen rolliger Roland oder schlicht geiler Meier eindeutig durch, welche weniger Allgemeinbildung voraussetzten und somit fast von jedermann sofort verstanden wurden. Außerdem trafen sie ohne intellektuelle Umschweife den Kern der Sache.
Es war nach gesicherter Erkenntnis des Herrn Egbert Reißmüller, der in unserem Viertel als seriöser und zuverlässiger Nachrichtensammler und -übermittler galt, nun schon seit Längerem bekannt, dass der Rinnsteinpoet Meier nach seiner Pensionierung sich unvermittelt von irgendeiner Muse geküsst wähnte und anfing, Unmengen Papier mit allerlei Selbst gemachtem vollzuschreiben, die Konvolute mit nicht unbeträchtlichem pekuniären Einsatz in Druck gab und Bücher daraus machen ließ, die allerdings aufgrund ihres wirren, wenig verständlichen Inhalts zunächst einmal Käufer nur in mäßiger Zahl fanden. Allerdings fühlte sich seine Familie in personae Frau und Sohn nebst einigen Tanten, Onkeln und sonstigen Anverwandten von den Meierschen Veröffentlichungen unangenehm berührt. Sie meinten, nicht einmal zu Unrecht, sich des Gespötts aller Welt preiszugeben und kauften deshalb schamhaft die Gesamtauflagen jeweils kurz nach ihrem Erscheinen, so sie ihrer habhaft werden konnten, fast komplett auf. Dabei half ihnen der Umstand, dass bei den von Meier mit großem Aufwand und allerlei Brimborium angekündigten Lesungen seiner Werke die zwei bis drei Leute, die erschienen waren, schon nach wenigen Sätzen auf Nimmerwiedersehen das Weite suchten.
Im Laufe der schriftstellerischen Karriere Meiers aber investierte die Familie nicht unbedeutende Finanzmittel, da der Schreiberling, ob des vermeintlichen Erfolgs seiner Werke, nicht nur zu immer neuen geistigen Exkursen, sondern auch immer höheren Auflagen sich angestiftet sah. Das hatte zur Folge, dass Roland Meier zusehend wohlhabender wurde, während die Familie in gleichem Maße verarmte.
Der zunehmende Wohlstand hingegen versetzte Meier in die Lage, der begehrten Muschi, in nomine Kathrin, finanzielle Mittel zum Erwerb des von ihr, so wiederum Reißmüller, arg verlangten Süßweins zur Verfügung zu stellen, die vordem weder ihr Geschenkartikelladen abwarfen, noch der geizige Landmann, sowieso eher ein Biertrinker, zu gewähren bereit war.
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