„Ich sollte wohl Abbitte bei Euch leisten. Wahrscheinlich habt Ihr mir eben das Leben gerettet“, bedankte sich Houst.
„Bildet Euch nicht zu viel darauf ein. Ohne Euch kehrt die Karawane zur Stadt zurück und ich bleibe allein in der Einöde. Euer Freund hat sich da klar ausgedrückt. In dieses Loch da krieche ich deswegen aber nicht für Euch“, antwortete Esrin und zeigte mit der Krücke zur Felsspalte.
„Trotzdem Danke. Gehen wir zurück zum Lager. Für die Felsspalte brauchen wir ohnehin Fackeln“, sagte Houst.
***
Gänge, schmale und breite, hohe und welche durch die sie auf ihren Knien kriechen mussten, so wie jetzt. Vor allem aber Gänge, die so dunkel waren, dass selbst die Nachtjäger darin kaum etwas erkennen konnten. Unterbrochen wurden die Gänge nur von ebenso variantenreichen Höhlen, auch diese natürlich bar jeden Schimmers von Licht. Ohne die kleine Lampe mit der Drehkurbel, die Zemal einst von Telek für seine Initialisierung erhalten und an die er sich erst jetzt wieder erinnert hatte, wären sie verloren gewesen. Beos anfänglicher Zorn war mittlerweile weitgehend verflogen, doch noch immer grollte sie mit ihm. Sie hatte Zemal die Lampe sofort aus der Hand gerissen, geradezu getobt und sich nicht nur einmal beschwert, warum sie sich all die Tage durch die Finsternis hatte quälen müssen, während in seinem Gepäck dieses Kleinod aus der Zeit der Alten schlummerte. Endlich konnte sie den Weg bestimmen, endlich war sie es die voranschritt, oder aktuell vorankroch. Die Luft war feucht, mancherorts liefen bereits winzige Rinnsale an den Felswänden herab. Sie folgten dem Rauschen, soweit dieses Labyrinth aus Gängen und Höhlen dies zuließ. Nicht nur einmal waren sie dabei in einer Sackgasse gelandet, mussten umkehren und einen anderen Weg wählen. An jeder neuen Kreuzung wurden ihre Diskussionen mürrischer. Doch sie kamen ihrem Ziel offensichtlich näher, Wasser rauschte hier so laut, dass sie sich kaum noch unterhalten konnten. Ihre Kleidung fühlte sich inzwischen klamm an. Zemal fröstelte es sogar ein wenig. Häufig rutschten seine Hände auf dem glitschigen Fels weg und er schlug irgendwo gegen die Wand. Manchmal stieß er mit dem Kopf auch gegen einen Felsvorsprung oder der Vorsprung schrammte über seinen Rücken. Sein ganzer Körper musste inzwischen mit blauen Flecken übersät sein. Hinter sich hörte er Tikku beständig fluchen. Zemal war nicht der einzige, dem der Weg Schwierigkeiten bereitete. Es ist nicht immer von Vorteil, groß gewachsen zu sein.
Die im Schein der Lampe glänzenden Felswände weiteten sich, eine weitere Höhle tat sich auf. Und mitten hindurch floss, nein toste Wasser. Derartige Wassermengen hatte noch nie einer der Nachtjäger gesehen. Sie ließen sich am Rand des unterirdischen Flusses nieder, probierten. Das Wasser war kalt, klar, es schmeckte herrlich. Welch ein Unterschied zu den lauwarmen und abgestanden Resten aus ihren Wasserbeuteln. Die vom Durst Geplagten versetzte dieser Augenblick in Hochstimmung. Mo schaufelte mit beiden Händen Wasser aus dem Fluss und spritzte es in Richtung Zemal. Selbst noch mit Trinken beschäftigt, konnte Zemal nicht mehr ausweichen. Ein kalter und nasser Schauer ergoss sich über seinen Rücken. Mo kicherte, tauchte ihre Hände bereits für eine weitere Fuhre ins Wasser.
„He. Na warte!“, rief Zemal und spritzte zurück.
Der Rest der Gruppe, selbst Beo ließ sich davon anstecken und bald schon tobte eine wahre Wasserschlacht, die erst abebbte, als alle bis auf die Haut pitschnass waren. Erschöpft und bisweilen immer noch glucksend saßen oder lagen sie am Rand des Flusses.
„So viel Wasser. Das würde für alle Verdammten dieser Welt reichen“, sagte Beo.
„Wir müssen in der Siedlung davon erzählen“, meinte Ker, „Sie werden stolz auf uns sein“
„Bei Ältester Piri wäre ich mir da nicht sicher“, entgegnete Mo.
„Das Überleben der Verdammten bedeutet meiner Großmutter viel. Auch sie wird sich über eine neue Wasserquelle freuen“, widersprach Zemal.
„Scheiße, dazu müssen wir aber erst einmal einen Weg aus diesem Loch finden. Ich krieche jedenfalls nicht wieder durch diesen Scheißgang zurück. Hat sich einer von euch überhaupt den Weg gemerkt? Ich kenne ihn nicht mehr“, sagte Tikku.
Die Frage war berechtigt. Auch die anderen mussten zugeben, dass sie die Orientierung verloren hatten. Eine neue Wasserquelle machte auch nur Sinn, wenn die Verdammten den Weg zu ihr sicher wiederfanden, es nicht derart mühselig war, zu ihr vorzudringen.
„Wie wir hierhergekommen sind, weiß niemand mehr sicher. Ich denke, wir sollten nach einem einfacheren Weg an die Oberfläche suchen“, schlug Beo vor.
Dabei drehte sie kräftig an der Kurbel der Lampe und ließ den Lichtkegel durch die Höhle gleiten. Am gegenüberliegenden Ufer des Flusses wichen kleine, gelb schimmernde Punkte vor dem Lichtschein zurück. Augenpaare, sie waren nicht allein. Natürlich, Wüstenratten konnten auch nicht ohne Wasser leben. Und schließlich hatte eine Ratte Ker den Weg zum Eingang der Höhle gewiesen. Dass sie es unbehelligt bis hierher geschafft hatten, war wohl nur ein glücklicher Zufall. Die Nachtjäger nahmen ihre Speere zur Hand, doch die Ratten zogen sich zurück. Da wo der Fluss die Felswand zur Höhle durchbrochen hatte, zeigten sich einige Reste von Mauerwerk. Die Nachjäger beschlossen, diesen Weg zu nehmen. Schließlich waren die Alten, die diese Mauer vermutlich einmal errichtet hatten, sicher nicht auf derart verschlungenen Wegen hier hinunter gestiegen.
***
„Das ist eine Sackgasse, verengt sich in etwa vierzig Metern zu einem Loch, durch das nicht einmal ein Kind passt“, meldete der Kameltreiber, als er aus dem letzten von der Höhle abzweigenden Gang wieder herauskam.
„Gut, dann bleiben immer noch zwei Gänge die zumindest in einer weiteren Höhle enden. Wasser gibt es dort noch nicht, das Rauschen kommt von tiefer unten. Einer der Männer ist auf eine dieser Riesenratten gestoßen, konnte sie aber abwehren. Zumindest scheuen sie wohl wie gewöhnliche Ratten das Feuer“, fasste der Karawanenanführer zusammen.
„Und von den Verdammten keine Spur?“, wollte Houst wissen.
„Nichts. Wie auch, auf dem nackten Fels hier lässt man keine Fußabdrücke zurück. Wenn sie tatsächlich in diesen Höhlen leben, dann tiefer unten, dort wo es Wasser gibt vermutlich“, antwortete der Anführer.
„Das würde zumindest erklären, warum sie in der Nacht aufgetaucht sind. Vielleicht haben sich ihre Augen an diese Dunkelheit angepasst und sie scheuen das Sonnenlicht“, meinte Houst.
„Möglich. Soll ich die Männer noch weiter hinunter schicken?“, fragte der Karawanenanführer.
Houst überlegte eine Weile. Einerseits zwickte ihn die Neugier unter den Fingernägeln – er hätte die Verdammten zu gern kennen gelernt –, andererseits blieb ihnen nicht viel Zeit für die Suche. Schon so waren ihre Vorräte knapp bemessen. Dass die Verdammten diese auffüllen könnten, schien zweifelhafter denn je. In den Höhlen gab es nur diese Riesenratten und vereinzelt herumkriechendes Kleingetier. Kamele fraßen weder das eine noch das andere. Wenn Houst mit seiner Karawane wenigstens eine der Städte der Alten erreichen wollten, mussten sie sich beeilen.
„Nein, wir ziehen weiter“, sagte Houst schließlich.
Hitze schlug ihm entgegen, als Houst aus der Höhle wieder ins freie trat. Das grelle Sonnenlicht blendete ihn.
„Und, seid Ihr Euren Verdammten begegnet?“, empfing ihn Esrin.
„Keine Spur mehr von ihnen“, antwortete Houst.
„Ich habe gleich gesagt, in dieses Loch hinabzusteigen, ist Zeitverschwendung. Die Verdammten – oder wer immer diese Menschen sind – haben sich heute Nacht nicht gezeigt, warum sollten sie es jetzt tun“, meinte Esrin.
Houst ignorierte ihn und ging zu den warteten Kamelen hinüber. Zeit aufzubrechen. Weit würden sie an diesem Vormittag ohnehin nicht mehr reisen können. Doch sie hatten ihre Zelte am Morgen bereits abgebaut, eine oder eineinhalb Stunden Weg waren besser als nichts. Sie zogen nach Süden, darauf hatte sich Houst vor wenigen Tagen mit dem Karawanenführer geeinigt. Zwar war im Westen eine wesentlich größere Siedlung der Alten auf Housts Karten eingezeichnet, die Stadt im Süden lag jedoch um einiges näher. Houst hoffte, dort nicht nur die Überreste der Alten zu finden. Niemand wusste, wie weit die Einöde wirklich reichte. Doch dass sie sich unendlich ausdehnte, war unwahrscheinlich. Vielleicht gab es auf der anderen Seite mehr als Staub und Steine, vielleicht lebten dort Menschen.
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