„Wenn sie der Wind nicht alle weggeweht hat“, entgegnete Mo.
***
Esrin hasste Kamele. Das ständige Schaukeln auf ihren Rücken schlug ihm auf den Magen und jeden Moment fürchtete er, sein Hosenboden würde durchscheuern. Die Alternative hieß laufen. Er hatte es versucht, ganz am Anfang – und zum Leidwesen seiner Frau –, als sie vom großen Fahrstuhl in die Einöde marschiert waren. Doch der staubige Boden bot seiner Krücke nur ungenügend Halt. Bald schon hatte er hoffnungslos zurückgelegen und war dabei so außer Atem geraten, er hätte dem Kameltreiber ein Vermögen für den Platz auf dem Rücken eines der Tiere geboten. Dank seiner Frau musste er dies aber gar nicht. Sie hatte derart eindringlich und lautstark lamentiert, dass sogar einer der Händler sein Reittier für ihn hergab, nur damit ihr Gezeter endlich verstummte.
Wenigstens ritten sie mittlerweile nicht mehr in der prallen Mittagssonne, allein schon weil sich die Tiere weigerten. Ihre Reise beschränkte sich nun auf die noch erträglichen Morgen und Abendstunden. Zwar beschwerte sich der ehemalige Großwesir mehr als einmal, dass sie dadurch viel zu langsam vorankamen und die Städte der Alten nie erreichen würden, doch es half nichts. Esrin selbst war das Ziel dieser Reise egal, sein Leben hatte mit der Fahrt im großen Fahrstuhl aufgehört. In dieser heißen, staubigen Wüste gab es nichts, das seine Neugier irgendwie reizen konnte. Hier gab es für ihn wenig zu tun, seine Fähigkeiten brauchte niemand. Die Kameltreiber verstanden ihr Handwerk, führten die Karawane mit lang eingeübter Routine. Nicht einmal der Verlust eines der ihren, so wie gestern an diesen seltsamen Ruinen der Alten, brachte sie aus der Ruhe. Houst hatte darauf gedrängt, jemanden über die Mauer zu schicken, gehofft, jener möge im Inneren einen Mechanismus zum öffnen des Tores finden. Was der Mann stattdessen fand, war sein Tod. Er hatte geschrien, doch wer sollte ihm helfen, ohne sein eigenes Leben zu riskieren. Wer oder was den Mann getötet hat, ist noch immer unklar. Zwar hatte ein anderer der Kameltreiber nachgesehen, sein Bericht von Tieren, die aussahen wie Ratten, aber so groß waren wie Hunde, erschien wenig glaubhaft. Vielleicht hatte ihm der Schreck einfach die Sinne vernebelt. Zumindest hatte Esrin von solchen Tieren noch nie etwas gehört.
Sie machten an einer der Felsformationen – die alle irgendwie gleich aussahen – halt. Es dämmerte bereits, in nicht einmal einer Stunde würde die Sonne hinter dem Horizont verschwunden sein. Zeit ihr Lager für die Nacht aufzuschlagen. Esrin wartete, bis der Kameltreiber sein Reittier dazu brachte, sich hinzusetzen. Wie immer rebellierte sein Hintern, als er mühselig vom Rücken des Kamels kroch. Sein verbliebenes Bein zitterte unter Esrins Gewicht. Wenigsten verhinderte der felsige Untergrund, dass seine Krücke gleich bis zur Hälfte im Staub versank. Man musste auch mit kleinen Erfolgen zufrieden sein. Seine Frau – die beiden Töchter im Schlepptau – näherte sich. Sie wirkte müde und schlecht gelaunt. Sie war schon auf seinem Anwesen kaum zu ertragen gewesen, hier in der Einöde war es noch schlimmer. Es verging kaum ein Tag, an dem sie Esrin nicht wegen des harten Schicksals, das er ihr eingebrockt hatte, anklagte. Esrin mochte sich dies heute nicht anhören. Er drehte sich einfach um und humpelte davon, dahin wo Houst zusammen mit dem Anführer der Karawane eine von Housts Karten studierten. In die Nähe des ehemaligen Großwesirs traute sich Esrins Weib nicht, ein sicherer Zufluchtsort. Esrin setzte sich in Hörreichweite auf einen Stein.
„Diese Stadt der Alten liegt viel zu weit im Westen. Bis dahin reichen unsere Vorräte nicht“, sagte der Anführer.
„Es ist aber die größte Stadt auf der Karte und damit auch für Euch das lohnenswerteste Ziel“, entgegnete Houst.
„Wer sagt uns, dass diese Karte überhaupt stimmt. Schon die letzte darauf verzeichnete Siedlung konnten wir nicht finden, es sei denn es war dieser unsägliche Klotz mit den jämmerlichen Steinhaufen Drumherum, an dem ich einen meiner besten Männer verloren habe. Euer Mann hat uns reiche Beute und neue Handelsrouten zu den Verdammten versprochen. Bisher sehe ich davon nichts“, wandte der Karawanenanführer ein.
Esrin musste unweigerlich Lachen. Houst und der Karawanenanführer blickten irritiert zu ihm herüber.
„Handelsrouten zu den Verdammten …“, Esrin japste nach Luft, „Warum nicht gleich zu den Alten … Die Verdammten sind eine verdammte Legende. Und selbst wenn es sie gäbe, schaut Euch um, was sollten sie zum Handeln haben außer Staub und Steine?“
„Wenn es die Verdammten gibt – und für unser aller Wohl hoffe ich das – haben sie Wasser und Vorräte mit denen sie handeln können. Noch ein paar Tage und ich wette, Ihr würdet Euer Weib dafür hergeben“, erwiderte der Anführer.
„Oh, das würde ich schon jetzt“, sagte Esrin und kicherte noch immer.
***
„Sie sind nach Süden abgebogen, laufen jetzt genau auf die Siedlung der Verdammten zu“, sagte Mo.
„Dann kommen wir wieder nach Hause“, meinte Ker.
Es klang eine gewisse Hoffnung in seiner Stimme. Die anderen schwiegen. Heimlich mochten sie ebenfalls Sehnsucht verspüren, offen zugeben wollte dies aber keiner. Zemal jedenfalls hatte verdammt großes Heimweh.
„Die Spuren sind frisch, spätestens bei Einbruch der Dunkelheit haben wir sie eingeholt. Sie laufen wesentlich langsamer als wir. Vielleicht liegt es an den seltsamen Geschöpfen, die sie dabei haben müssen. Diese ovalen Abdrücke stammen eindeutig nicht von Menschen. Hoffen wir, das sie friedlich sind“, meinte Beo schließlich.
„Scheiße, und was wenn nicht?“, fragte Tikku.
„Hast du etwa Angst?“, wollte Preido wissen.
„Ich bin nur vorsichtig, schließlich haben wir mit Ker noch halbe Kinder dabei“, entgegnete Tikku.
„Ich bin kein Kind!“, protestierte Ker.
„Hört auf zu streiten und lasst uns weitergehen. Ob sie gefährlich sind, sehen wir noch früh genug“, sagte Mo.
„Gefährlich oder nicht, sie haben besser Wasser für uns dabei. Unsere Vorräte reichen nur noch einen Tag“, sagte Preido und stiefelte hinter Mo her.
Auch der Rest setzte sich in Bewegung. Schnell holte Tikku Preido ein, die beiden waren mittlerweile unzertrennlich, verkrochen sich tagsüber sogar in einem Zelt. Beo hatte Ker unter ihre Fittiche genommen, wahrscheinlich aus Mutterinstinkt, er war der jüngste in der Gruppe. Ker störte sich nicht daran, genoss die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit. Schließlich kam ihm damit auch die verantwortungsvolle Aufgabe zu, nachts auf Beo aufzupassen. Ilbi und Skio liefen kurz dahinter, schnatterten dabei wie immer unentwegt miteinander. Zemal fragte sich, ob ihnen deswegen nicht irgendwann der Mund weh tun müsste. Er selbst bildete das Schlusslicht. Seit sie den Fremden folgten, stampften sie wieder zusammen durch den Staub. Sich aufzuteilen und in einer Kette zu laufen, hätte zu viel Zeit gekostet.
Die Sonne war noch nicht lange untergegangen, als sie vor sich einige Lichter entdeckten. Die Fremden rasten offensichtlich. Mo blieb stehen und wartete auf die anderen.
„Da vorn sind die Fremden. Wenn sie in der Nacht rasten, haben sie vielleicht nicht genügend Nachtjäger dabei“, sagte sie.
„Dann lasst uns einfach in ihr Lager stürmen, ihnen das Wasser abnehmen und ehe sie reagieren können, verschwinden wir schnell wieder“, schlug Tikku vor.
„Mit welchem Recht sollten wir ihnen ihr Wasser einfach wegnehmen? Verdammte sind doch keine Raubtiere! Wir werden mit ihnen verhandeln, sie um Wasser bitten“, entrüstete sich Beo.
„Sie werden uns ihr Wasser kaum freiwillig geben“, meinte Preido.
„Sie laufen direkt zur Siedlung. Sie könnten ihre Vorräte dort wieder auffüllen. Wenn sie das wissen, sind sie vielleicht bereit, uns etwas abzugeben“, mischte sich Zemal ein.
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