„Dann hoffen wir, dass die Ausreißer zurückkehren“, sagte Dilo.
„Nein, das hoffen wir nicht! Ihnen war es egal, wie die Verdammten ohne sie zurechtkommen. Sie können sich nicht unterordnen. In ihrer Arroganz meinen sie, dass sie allein besser dran wären“, widersprach Fuzill.
„Älteste Fuzill hat recht. Sie werden weiter rebellieren, nur ihre eigenen Ziele verfolgen, bis die Gemeinschaft der Verdammten daran zerbricht“, stimmte Piri zu.
„Jeder macht einmal Fehler“, versuchte es Dilo noch einmal.
„Für die er die Konsequenzen tragen muss“, fiel ihr Piri ins Wort, „Es ist auch für mich nicht leicht – schließlich ist mein eigener Enkel unter ihnen – aber es wäre besser, sie kämen nie zurück. Für Querulanten ist in unserer Mitte kein Platz“
„Schon mit ihnen hatten wir zu wenig Nachtjäger. Wie sollen wir das Camp ohne sie vor den Wüstenratten schützen. Müssen wir zukünftig Angst um unsere Kinder haben?“, wollte Dilo wissen.
„Wir finden eine Lösung“, beendete Piri die Diskussion.
***
Noch immer fühlte sich Zemal nicht als Teil der Nachtjäger. Deshalb verkündete nun auch Beo den Vorschlag, der eigentlich von ihm stammte … wieder einmal. Zemal vermied jegliche Aufmerksamkeit, hielt sich im Hintergrund, mittendrin und doch nicht dabei. Es funktionierte nicht. Sicher, sie hatten einige Probleme. Ihre Abreise geschah abrupt, es fehlte am Nötigsten. Aber warum sollte Zemal diese Probleme lösen? Entscheidungen lagen ihm nicht. Und schließlich war Beo die Älteste, ein Mitglied des Rates, sie sollte die Gruppe führen. Natürlich ging dies nicht ohne Mo, das hatte auch Beo schnell erkannt. Mo wurde von den anderen quasi als Anführerin angesehen. Zemal unterstützte dies, Mo war eine gute Anführerin. Auch Beo arrangierte sich deshalb mit Mo und nach den wenigen Tagen seit sie ihr zuhause verlassen hatten, waren die beiden beinahe schon Freundinnen geworden. Jedenfalls steckten sie recht häufig ihre Köpfe zusammen. Älteste Beo wusste, dass im Zweifel Mos Wort bei den Nachtjägern mehr zählte als das ihre. Sie machte aus der Not eine Tugend und bezog Mo in die Entscheidungen ein, die für das Überleben aller von Belang waren. Auch das störte Zemal wenig, die beiden Frauen sollten so viel diskutieren wie sie mochten. Doch Mo fragte ihn anschließend stets nach seiner Meinung, erwartete von ihm Lösungen für Probleme, über die er noch nie in seinem Leben nachgedacht hatte. Oder sie wollte zumindest eine Bestätigung für ihre eigenen Vorschläge. Er konnte damit leben, für sich selbst verantwortlich zu sein, aber für die ganze Gruppe … Was, wenn es falsch war, in nördliche Richtung zu gehen? Sicher, nach Osten und Westen waren lange vor ihnen schon Suchtrupps der Verdammten aufgebrochen. Gäbe es dort Wasser, wären diese längst zurückgekehrt. Und von Süden her kamen die Stürme, dort zeigte sich die Einöde noch lebensfeindlicher als hier. Kein Verdammter ging in diese Richtung, zumindest nicht bei klarem Verstand. Norden erschien demnach die beste Wahl. Doch bisher hatten sie kein Wasser gefunden, irrten umher, ohne ein wirkliches Ziel. Mit Grauen dachte Zemal daran, dass sie der Durst nach Nadamal treiben könnte. Dorthin wollte er nun wirklich nicht zurück. Hatte er insgeheim diesen letzten Ausweg ins Kalkül gezogen, als er Mo Norden vorschlug? Wenn auch sein neuer Vorschlag keinen Erfolg brachte, könnte es dazu kommen. Ohnehin war die Idee nicht ganz ungefährlich, könnte einen von ihnen oder auch allen das Leben kosten. Die Zweifel nagten an ihm. Während Beo sich mit Mo beriet, Mo danach einfach ihn fragte, konnte sich Zemal an niemanden wenden.
„… wir werden uns deshalb aufteilen, unseren Weg in Sichtweite nebeneinander fortsetzen. Damit erweitern wir automatisch den Korridor, in dem wir nach Wasser suchen können“, verkündete Beo.
Wie üblich murrten Tikku und Preido. Sie akzeptierten keine Entscheidung klaglos, boten selbst aber auch keine Alternativen an.
„Was ist das den für eine Scheiße! Jetzt soll also jeder für sich durch die Einöde stapfen“, maulte Tikku.
„Und was machen wir, wenn ein Sturm aufzieht? Wenn wir uns aus den Augen verlieren?“, wollte Preido wissen.
„Scheiße genau, was machen wir dann?“, stimmte Tikku ein.
„Wie ich schon erwähnt habe, finden wir uns etwa alle zwei Stunden zusammen, indem einfach diejenigen ganz außen zu ihrem rechten beziehungsweise linken Nachbarn gehen und dann gemeinsam mit diesem zum nächsten Nachbarn und so weiter. Das gleiche machen wir natürlich auch wenn ein Sturm heraufzieht. Sollte jemand den Blickkontakt zu einem seiner Nachbarn verlieren, macht er sich mit Rufen und Winken beim anderen Nachbar bemerkbar. Der gibt das Zeichen weiter, so dass alle stoppen und nach dem Vermissten suchen können“, erklärte Beo.
„Ich und Zemal gehen ganz außen, Älteste Beo bleibt mit Ker zusammen in der Mitte, dazwischen verteilen sich die anderen“, fügte Mo hinzu.
„Scheiß Plan“, sagte Tikku noch einmal, stiefelte dann aber schon nach rechts davon, „Kommst du Preido?“
Zemal winkte Ilbi und Skio zu sich und machte sich auf den Weg in die andere Richtung.
„Es ist ein guter Plan“, raunte ihm Mo zu, als er an ihr vorbei ging.
***
Der Sturm kam so plötzlich, den Nachtjägern blieb gar keine Zeit mehr, sich wieder zusammen zu finden. Zemal schaffte es eben noch in den Windschatten eines Felsens. Eigentlich war es nur ein größerer Stein, viel Schutz bot er nicht. Staub fegte über Zemal hinweg, durchdrang die Kleidung und setzte sich überall fest. Das Atmen viel schwer, es kratzte im Hals. Mehr als einmal musste Zemal husten, der Gesichtsschal schützte nicht genug. Er hielt sich auch noch das Hemd vor Mund und Nase. Staub schmirgelte über die nun nackte Haut an Bauch und Rücken. Ab und an erhellten Blitze die Nacht, ihr Licht drang sogar durch die geschlossenen Augen. Zum Glück waren es aber nicht allzu viele, Zemal hatte bereits schlimmere Stürme überstanden. Doch die Zeit verging quälend langsam, der Sturm dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Hatten es die anderen ebenfalls an einen halbwegs sicheren Ort geschafft? Würden sie sich wiederfinden? Diese Fragen schlichen sich in Zemals Gedanken. Er war nicht optimistisch genug, mochte sie nicht positiv beantworten.
Beinahe so unvermittelt wie der Sturm aufgezogen war, ebbte er auch ab. Der aufgewirbelte Staub würde zwar noch für Stunden die Luft vernebeln, aber Zemal konnte wieder aufrecht stehen. Sofort suchte er nach den anderen. Er war sich jedoch nicht sicher, ob er wirklich in die richtige Richtung lief. In seinen Augen klebte der Staub, noch konnte auch er nur wenige Meter weit blicken. Er schrie nach Ilbi, sie war vor dem Sturm neben ihm gelaufen. Antwort bekam er keine. Er lief und schrie weiter, unermüdlich. Längst musste er den Abstand zwischen sich und Ilbi zurückgelegt haben, von der Nachtjägerin fehlte jedoch jede Spur. Zemal drehte sich einmal um sich selbst. Ringsum trübe Luft, die jegliche Kontur verschluckte. Dann tauchten vor ihm zwei Schatten aus diesem grauen Nichts auf.
„Zemal, bist du das?“, fragte einer der Schatten.
Es waren Skio und Ilbi. Zemal atmete einmal erleichtert aus. Ein Anfang, immerhin. Das nährte die Hoffnung, die restlichen Nachtjäger ebenfalls zu finden.
„Ja, ich bin hier. Habt ihr schon einen der anderen gesehen? Wir müssen sie suchen“, sagte er.
Es dauerte noch eine ganze Stunde, bis sich die ganze Gruppe zusammenfand. Aber immerhin, niemand hatte ernsthaft Schaden genommen. Für eine Weile rasteten sie, klopften sich ausgiebig den Staub aus den Kleidern, kicherten dabei wie kleine Kinder. Sie lebten, ein glücklicher Moment. Letztlich mahnte Beo aber wieder zum Aufbruch. Mo entfernte sich sogleich nach links von der Gruppe. Ungläubig starrten ihr die anderen hinterher. Als ihr niemand folgte, blieb Mo stehen und drehte sich um.
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