„Ich will gar nicht daran denken, … was wäre gewesen, wenn dich Tom nicht rausgezogen hätte“, stammelte Malou vor sich hin.
„ Du hast mich herausgezogen?“
Mit gesenktem Blick starrte er auf meine zugedeckten Beine.
„Hat er und wäre selbst fast unter Novio gekommen.“
„Keine große Sache. Das hätte jeder getan …“, stammelte er leise.
„Dann wurdest du auf einmal ohnmächtig … Mensch Mia, da hast du uns echt einen Schrecken eingejagt!“, erzählte die Beste weiter, doch meine Gedanken hingen am vorletzten Satz fest. Tom blickte mir tief in die Augen. Nur für einen kurzen Augenblick lang ließ er mich erahnen, wie sehr er Angst um mich hatte.
Ich war … gerührt.
„Bevor ich es vergesse“, meinte meine Freundin und wühlte in ihrer Jackentasche, „ich hab dein Handy mit. Es lag im Sand, aber es müsste noch funktionieren.“ Mit zitternden Händen legte sie es auf meinen Nachttisch.
Erneutes Klopfen. Der Arzt und sein Team traten mit dicken Mappen in den Händen ins Zimmer.
„Warten Sie bitte kurz vor der Tür“, wandte er sich gleich an Gianni und Malou, „der Lebensgefährte kann selbstverständlich hierbleiben.“ In sich hineinschmunzelnd verließ Gianni den Raum mit seiner Frau, und Tom blieb neben mir sitzen. Ehrlich gesagt war ich ganz froh, nicht alleine sein zu müssen.
„Va bene!“, bemerkte der Arzt, „die Erinnerung an Ihren Lebensgefährten ist auch wieder da.“ Leicht verlegen wollte ich gerade auf meine angeschwollene Unterlippe beißen, ließ es aber dann doch lieber sein. Tom starrte Doktor Buerto an. Die ganze Zeit über ließ er meine Hand nicht los. Kurz war ich irritiert. Wollte er mich stützen, mir Kraft spenden oder brauchte er selbst welche?
„Wie geht es Ihnen denn?“
„Ganz gut, … denke ich.“
„Haben Sie nochmals erbrochen?“
„Nein.“
„Mal di testa? … Oder tut Ihnen etwas anderes weh?“
„Kopfschmerzen“, übersetzte mir Tom.
„Ähm … ja mein Kopf brummt ziemlich stark und mein Rücken schmerzt ein bisschen.“
Er wandte sich ab, gab ein paar Anweisungen an die Krankenschwester, die ihm zunickte. Der Rest der Herrschaften in weißen Kitteln blieb stumm.
„Sie bekommen noch ein zusätzliches Schmerzmittel verabreicht. Eine Schwangerschaft steht ja außer Frage?“ Der Arzt schaute zu Tom. Oh Mann! Wenn der die Wahrheit wüsste, wobei mein Lebensgefährte verlegen auf die weiße Bettdecke blickte und ich geistesgegenwärtig die Frage mit einem klaren Nein beantwortete.
Ermahnend erinnerte mich der Doc noch, dass ich unbedingt Ruhe brauchte und nicht alleine aufstehen sollte. Dann wünschte mir das Team noch eine gute Besserung und rauschte wieder ab.
Vorwurfsvoll betrachtete ich Tom.
„Was?“
„Du hast den Doc belogen!“
„Na und – er wird´s überleben … ich hab mir echte Sorgen um dich gemacht … Verdammt! Ich hatte einfach eine Scheißangst … dass dir etwas Schlimmes … warum um alles in der Welt steigst du auch auf solche Viecher?!“ Er war richtig süß, wenn er sich Sorgen um mich machte.
„Tom!“, unterbrach ich ihn – er blickte auf, wirkte durcheinander. „Danke, dass du mich da rausgeholt hast.“ Unsere Blicke trafen sich, ließen für einen Moment nicht voneinander ab. In dieser Sekunde spürten wir wohl beide, diese intensive Anziehungskraft zwischen uns, mit der wir nicht fertig wurden und mir wurde klar – er würde mich beschützen, egal was passierte.
„Mia, sorry. Ich denke, ich fahr jetzt besser nach Hause. Es war ein harter Tag. Ich brauche dringend eine Dusche und will einfach nur aus meinen Klamotten raus.“ Sein Shirt war schmutzig und mit Blut verschmiert – mit meinem Blut.
Schwerfällig stand er auf, küsste mich sanft auf die Stirn.
„Tu mir einen Gefallen, pass auf dich auf, solange ich weg bin. Und komm bloß nicht auf die Idee, alleine aufzustehen!“ Sein Blick war ermahnend. „Ach ja, und dein Geheimnis über deinen neuen Lebensgefährten ist bei mir bestens aufgehoben.“
„Das beruhigt mich aber.“
„Bis morgen dann bella .“ Dieses Mal war er es, der flüchtete.
Mit Bechern, gefüllt mit wässrigem Kaffee, kehrten die Salvatores wieder zurück. Die freundliche Schwester kam auch nochmals ins Zimmer, verabreichte mir eine Tablette, drehte am Tropf herum und ging lächelnd wieder. Malou fing sich wieder, sie hatte wieder ihren zartgebräunten rosa Teint im Gesicht und erzählte mir meinen Unfall zu Ende, bis ich nur mehr mit einem halben Ohr zuhören konnte. Das Medikament wirkte, die Schmerzen fühlten sich wie betäubt an, und meine Augenlider wurden allmählich zu schwer, um sie offen zu halten. Ich bekam nur mehr verschwommen mit, wie sich die beiden verabschiedeten und nach Hause fuhren.
Kapitel 2
Immer fleißig weiterüben
Zu der unchristlichsten Zeit, die man sich für einen Morgenmuffel wie mich nur vorstellen konnte, wurde ich geweckt. Nach ein paar Anläufen fiel es mir wieder ein, wo und weshalb ich mich im Krankenhaus befand. Ich glaubte es kaum, als ich mit halb geöffneten Augen auf mein Handy starrte und die Zahlen fünf – Punkt – drei und eine Null las. Ich rieb mir nochmals die Augen, als bereits eine kleine, wohlgeformte Dame mit einem Tablett hereinspazierte.
„Buongiorno signorina! Prima colazione!“
Frühstück?
Was jetzt schon?
Ich war sicher, dass mein Magen noch keine Lust auf Frühstück hatte und zog mir grimmig die Decke über den Kopf. Vor sich hinsummend und mit geübten Griffen, baute sie an meinem Nachtkästchen herum. Sie stellte das Tablett ab. Kaffeegeruch drang mir in die Nase und mein flauer Magen knurrte. Zögernd richtete ich mich auf, diese blöde Halskrause nervte, und checkte meine Glieder. Meine Infusion war ich vorher bereits losgeworden, die mussten mir die Nadel entfernt haben, als ich noch im Schlummerland weilte. Stumpf starrte ich auf mein Tablett. Vielleicht sollte ich es wenigstens versuchen …
Ich aß alles auf, bis auf den letzten Krümel, trank sogar den dünnen Kaffee aus und sank zufrieden in mein Bett. Die nette Dame räumte wieder alles weg und brachte mir noch eine Kanne ungesüßten Tee, bis sie von der Putzfrau abgelöst wurde. Das war ein Start in den Tag. Bevor ich selig wegnicken konnte, besuchte mich noch eine blondhaarige Krankenschwester. Sie maß mir den Blutdruck, kontrollierte, ob ich Fieber hatte, dokumentierte die Werte in einer Akte und befreite mich endlich von meiner Halskrause. Mein Nacken sank kurz in sich zusammen, denn er spürte unvermittelt das Gewicht meines Kopfes. Aber ab sofort musste er wieder ohne Unterstützung klarkommen. Was aber dann auch schon wieder ging. Nachdem die blonde, zierliche Dame noch mein Bett machte, verließ sie wieder mein Zimmer. Ganz normaler Krankenhausalltag dachte ich und wunderte mich umso mehr, dass es Menschen gab, wie beispielsweise meine Mom, die das Tag für Tag machten und das auch noch gerne taten. Ich starrte wieder einmal an die Decke, studierte jeden einzelnen Riss und die Stellen, wo die Farbe abbröckelte. Kein Fernseher. Kein Radio. Keine Zeitschriften, die ich ohnehin nicht hätte lesen können. Oh Mann! Ein sehr, sehr langer Tag stand mir bevor. Zwar war ich hundemüde, konnte aber dennoch nicht schlafen, da gegenüber dem Krankenhaus gerade Bauarbeiten im Gange waren. Mir war so langweilig, dass ich seufzend meine SMS-Nachrichten durch-switchte. Da waren ein paar alte Nachrichten von Ben und Niklas und einige von Tom, die ich mir vielleicht ein paar Mal zu oft durchlas. Teilnahmslos mistete ich meine Kontakte aus. Leute, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern konnte, wurden gleich gelöscht und die, an die ich mich nicht mehr erinnern wollte, ebenfalls. Ich war gerade dabei, meine Klingeltöne durchzustöbern, als mir plötzlich ein kleines Briefsymbol auf meinem Display entgegenleuchtete und mir eine neue Nachricht versprach. Bitte lass das jetzt nicht die SMS von meinem Telefonanbieter sein, der mich pünktlich wie jeden Monat darauf aufmerksam machte, meine Online-Rechnung herunterzuladen. Ich blinzelte – italienische Vorwahl …
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