Mit einer kleinen Lampe leuchtete mir der ältere der beiden Ärzte in die Augen. Auf seinem Schild am Kittel stand klein Primario darüber Dott. C. Buerto . Er bewegte meinen Kopf hin und her, streckte meine Arme zuerst gerade aus, dann nach oben und ließ sie wieder sinken. Danach inspizierte er meinen Rücken.
„Sie hatten Glück signorina !“, meinte er, als er sich auf einen Hocker neben mich setzte, „Riesenglück! Sie haben sich nichts gebrochen und wir mussten auch nichts nähen. Trotzdem würden wir Sie gerne eine Nacht zur Beobachtung hier lassen.“
„Aber was fehlt mir denn?“
„Sie haben eine schwere Gehirnerschütterung. Ihr Lebensgefährte hat uns mitgeteilt, dass Sie kurz nach dem Unfall erbrochen haben und eine Zeit lang bewusstlos waren.“
M-O-M-E-N-T!
„Mein Lebensgefährte?!“, fragte ich nochmals nach. Das muss ein Missverständnis sein. Niklas war nicht hier. Zusammen waren wir auch nicht mehr. Da war ich mir hundertprozentig sicher. Flynn war auch weg. Verneinend schüttelte ich den Kopf und wurde gleich mit stechenden Schmerzen bestraft. „Ahh“, entfuhr es mir, und ich rieb mir mit schmerzverzerrtem Gesicht meine Schläfe, „ich hab keinen Lebensgefährten“, klärte ich den Doktor in Weiß auf.
Verdutzt schauten sich die beiden Männer an, die Schwester zuckte nur mit den Achseln und mit einem Das-wird-schon-wieder-Blick tätschelte sie meine Hand.
„Der arme Kerl …“, brummte der schmale Doc arrogant und wandte sich ab. Die Frage nach dem dubiosen Unbekannten verkniff ich mir.
„Naja, wie auch dem sei, wir behalten Sie doch lieber zwei Tage hier. Bis Sie ihr vollständiges Gedächtnis wieder haben.“
Kurze Zeit später befand ich mich frisch geduscht auf einer Station, in einem sterilen Zimmer – allein. Ohne Radio und Fernseher. Modisch perfekt bekleidet mit einem karierten Baumwollnachthemd. Echt sexy! Aber mega bequem. Neben mir hörte ich das Tropfen einer Flüssigkeit, die über einen Schlauch in meine Adern floss, und saß mit einer dicken, fetten Halskrause und mit Gedanken, die sich überschlugen, im Bett. Ich fühlte meine aufgeplatzte Lippe, meine schmerzenden Glieder. Leicht fuhr ich mit meiner Hand über mein Gesicht, erspürte ein paar Schrammen, ein paar Schwellungen und an meinem Kopf befand sich ein Verband, der eine Platzwunde verdeckte. Zum Glück war sie nicht allzu groß und musste deshalb auch nicht genäht werden. Ich zuckte gleich nochmals zusammen als mir einfiel, dass einer der Ärzte zu mir gesagt hatte, dass es doch schade gewesen wäre, wenn wir die schönen Haare hätten abrasieren müssen. Das Zucken blieb nicht ohne Folgen. Aua! Dass es überhaupt möglich war, dass so viele Körperteile gleichzeitig schmerzen konnten.
Eigentlich sollte man sich nach einem Ausritt völlig frei, unbeschwert und geerdet vor Glückseligkeit fühlen. Diese Gefühle konnte ich absolut nicht bestätigen, denn ich fühlte mich, als wäre ich unter die Räder gekommen. Erschöpft starrte ich an die weiße Decke. Einzelne Erinnerungsfetzen flitzten durch meinen Kopf, die ich aber nicht richtig zusammenbekam, und die außerdem absolut keinen Sinn ergaben. Plötzlich klopfte jemand an die Tür. Mit der Fernbedienung ließ ich den oberen Teil meines Bettes hochfahren, und konnte so meinen steifen Körper einigermaßen aufrichten.
„Ja bitte.“
Ich dachte, es wäre eine Krankenschwester, die mir etwas zu trinken bringen würde, doch der Kopf, der sich durch den Türspalt zwängte, war mir sehr bekannt. Kraftlos sank ich zusammen.
„Ciao, bella!“
Auch das noch!
„Hallo“, brummte ich.
Tom schnappte sich einen Stuhl, stellte ihn verkehrt herum an mein Bett und setzte sich rittlings darauf. Er versuchte, lässig zu wirken, doch er war ganz anders als sonst. Sein Gesicht schaute ungewohnt angespannt aus, seine sonst so honigfarbene Haut wirkte blass. Er versuchte, sich ein Lächeln abzuringen, und ich merkte es ihm an, wie sehr er seine Anspannung zu überspielen versuchte.
„Na du Cowgirl, wie geht´s dir?“, fragte er mich betont locker und eine kleine Sorgenfalte zog sich über seine Stirn. Ich hätte schwören können, dass ich die zuvor noch nie gesehen hatte.
„Ich weiß nicht“, seufzte ich.
„Beim Rodeoreiten hättest du echt eine Chance. Ich würde auf dich setzen.“ Sein Grinsen wirkte so unecht.
„Du klingst so gar nicht witzig.“
„Ich weiß, … aber einen Versuch wäre es wert.“ Für einen Moment herrschte Schweigen.
„Ich kann mich kaum an etwas erinnern.“
Seufzend griff er nach meiner Hand, spielte mit meinen Fingern, zog leichte Kreise über meine verdreckten Nägel. Ich wehrte mich nicht. Vehement wich er meinem Blick aus, konzentrierte sich auf alles um mich herum. Fiel es ihm etwa schwer, mich anzusehen?
Dann fing er einfach zu erzählen an.
„Du und Malou, ihr wart reiten. Ihr seid am Strand entlang galoppiert. Ihr hattet einen ganz schönen Zunder drauf“, sichtlich nervös fuhr er sich durch die Haare. „Mein Bruder und ich waren zufällig spazieren, wollten ein paar Dinge besprechen … Wir hatten euch zuerst gar nicht erkannt, bis Ales Hund sich losriss und bellend auf euch zulief. Oh Mann! Da ist dein Pferd plötzlich völlig ausgerastet.“ Er klang wie ein ARD-Nachrichtensprecher. Nur kurz blickte er in meine Augen, musterte mein Gesicht und widmete sich wieder mit voller Aufmerksamkeit meiner in Mitleidenschaft gezogenen Hand. „Dein Pferd machte eine Vollbremsung, und du konntest dich gerade mal an seinem Hals festhalten, bis es anfing zu steigen. Wir wollten dir helfen, doch es stieg wieder, und als es mit den Vorderbeinen aufschlug, war das so heftig, dass es dich aus dem Sattel geschleudert hat. Keine Ahnung wie, aber irgendwie kamst du dann unter die Beine von diesem Vieh! Es ging alles so verdammt schnell!“ Fassungslos starrte ich ihn an, dabei atmete er tief ein. Mir fiel auf, dass er selbst ein paar Schrammen abbekommen hatte. Ich konnte kaum glauben, was er da erzählte und noch viel weniger, dass ich es war, die diesen Gaul geritten hatte. Räuspernd erzählte er weiter.
„Der blöde Hund hörte nicht auf zu bellen. Ale versuchte, ihn fortzuzerren und Malou stand komplett unter Schock, war wie gelähmt. Anstatt sich zu beruhigen, wurde dein Pferd nur noch nervöser, trat wild herum, … ich hatte echt Panik, es würde auf dich trampeln …“
Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach unser Gespräch. Er ließ meine Hand los.
„Ähm … ja“, sagte ich mit einem leichten Kratzen in der Stimme.
Malou kam herein, noch immer im Reitoutfit, begleitet von Gianni. Sie war extrem bleich im Gesicht, hielt sich die Hand vor den Mund und ich sah ihre verheulten Augen. Ohne nur auch ein Wort zu sagen, kam sie an meine Seite und umarmte mich vorsichtig.
„Es tut mir so leid … ich wollte nicht, dass dir etwas passiert …“, schluchzte sie mir ins Ohr.
„Malou, ist ja schon gut, … ich lebe ja noch …“
Gianni stellte ihr einen Stuhl hin, und sie setzte sich.
„Wie geht´s dir, Mia? … Haben sie schon etwas gesagt?“, fragte mich der Super-Ehemann, der mich ebenfalls die ganze Zeit über besorgt anstarrte.
„Ich habe ein paar Prellungen und eine Gehirnerschütterung.“
„Du hast dir nichts gebrochen?“, fragte er mich erstaunt.
„Nein … bis auf ein paar Erinnerungslücken ist es zum Aushalten. Eigentlich wollten sie mich morgen schon wieder loswerden, aber da mir entfallen war, dass ich einen Lebensgefährten habe, der hier in Italien ist, muss ich doch noch länger hierbleiben.“ Fragend guckte ich mit zusammengekniffenen Augen zu Tom.
„ Scusa, das war eine Notlüge. Sie hätten mir sonst nichts über deinen Zustand gesagt.“
Gianni grinste.
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