Tom lag schräg auf meinem Bett, als wäre es das Normalste auf der Welt. Gemütlich blätterte er in einer Fernsehzeitschrift und tat so, als würde er nicht bemerken, dass ich, nur mit einem Handtuch umwickelt, im Raum herumspazierte. Dabei spürte ich jeden Blick von ihm, wie er mich über den Zeitungsrand beobachtete, und ich muss ehrlich sagen, ich genoss es. Ordentlich wie ich plötzlich war, hängte ich meine Sachen zum Trocknen über die Stuhllehne und spazierte federnd in den Vorraum zu meinem Schrank, an dem mein Bild lehnte. Es war kein Drama, dass es verschmiert war. Ganz im Gegenteil, es hatte eine gewisse Eigendynamik entwickelt – da konnte man wirklich noch was daraus machen.
Ich suchte mir Jeans und ein langärmeliges schwarzes Top, dazu noch die neuen, schicken Schuhe und verschwand wieder im Bad.
Er blätterte gerade um und meinte nebenher: „Ach, meinetwegen kannst du dich auch hier umziehen, lass dich von mir nicht stören.“
„Machos die Tom heißen, warten für gewöhnlich vor der Tür!“
„Tatsächlich?!“ Die Zeitung raschelte erneut. „Pack noch ein paar Sachen mit ein, wir bleiben über Nacht.“
Verblüfft lugte ich aus dem Badezimmer-Türspalt und starrte ihn fragend an.
„Was ist? … Ich denke nicht, dass einer von uns zwei noch fähig sein wird, ein Auto zu fahren. Schon vergessen – wir fahren zu einer W-e-i-n-v-e-r-k-o-s-t-u-n-g.“
„Nur, wenn ich ein eigenes Zimmer haben kann!“
„Aber sicher doch.“ Das klang zwar nicht so, als würde er es ehrlich meinen, dennoch begann ich ohne Widerrede meinen Rucksack zu packen und wir düsten los.
Wir waren schon eine Stunde mit dem Auto unterwegs, befanden uns außerhalb der Stadt und fuhren in eine ganz andere Gegend als sonst. Zufrieden genoss ich die idyllische Hügellandschaft.
„Wohin fahren wir eigentlich?“
„Zu Giannis Onkel, Fernando Salvatore. Er ist Weinbauer. Ist eine sehr schöne Gegend da … ich hab da ein Teil meiner Kindheit verbracht … ich bin mir sicher, es wird dir gefallen.“
Das Gewitter hatte sich verzogen, am Horizont blinzelte die Sonne wieder durch, und die noch dunklen Wolken verzogen sich allmählich. Die Landschaft dampfte vor sich hin, war wie reingewaschen. Tom fuhr einen Hügel hoch, neben uns prächtige Weinstöcke. Von weitem sah ich einen einsamen Bauernhof, auf den wir zusteuerten. Durch ein großes, rustikales Tor aus massivem Holz gelangten wir in den Innenhof. Weißer Kies knirschte unter den Reifen, und Tom stellte sein Auto in einer Ecke ab.
„Wir sind da, bella!“
Neugierig stieg ich aus dem Auto, blickte mich um. Mitten im Hof befand sich eine kleine Garteninsel mit einem winzigen Teich, Ziergräsern und kleinen Olivenbäumen. Steinskulpturen und verrostete Gegenstände dienten als Deko. Die liebevolle Renovierung des Bauernhofs im Vintage-Stil fiel mir als Erstes auf. Die Mauern des Hauptgebäudes bestanden zum größten Teil aus antiken Steinen, wobei der obere Stock in warmem Karminrot gehalten war. Bunte Balkonblumen schmückten jedes Rundbogenfenster, was diesem Platz hier ein besonders romantisches Flair gab, und die dunkelgrünen Fensterläden fand ich einfach nur originell. Während ich mich umsah, beobachtete Tom mich genau.
Bellend eilte ein kleiner Hund auf uns zu, gefolgt von seinem massigen Herrchen in gelbem Hemd und mit Hosenträgern.
„Keine Sorge, der tut nix“, sagte Tom zu mir. Ja, ja, ich weiß, fast ein jeder Hund trägt den Namen TUTNIX! Aber ich glaubte ihm, denn der Kleine sah nicht gerade gemeingefährlich aus. Als hätten sie sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, umarmten sich die beiden Männer herzlich.
„Benvenuto, Tom! Benvenuto!“ Giannis Onkel klopfte ihm kräftig auf die Schulter.
„Come stai, Fernando?“
„Bene, grazie!“, erwiderte der und rieb sich dabei erfreut seinen Bauch.
„Fernando, ich darf dir jemanden vorstellen … das ist la signorina Mia!“
„Buona sera“, fröhlich riss er seine Augen auf, „bella donna!“ Höflich streckte ich ihm meine Hand entgegen. Er verbeugte sich, zwinkerte meinem Kollegen zu, zog seine Baskenmütze vom Kopf und küsste meinen Handrücken. Wie vornehm dachte ich noch, aber da zog er mich auch schon an sich, schloss mich genauso herzlich wie Tom vorhin in die Arme, und drückte mir noch links und rechts einen fetten Schmatz auf die Backe. Völlig überrumpelt und mit aufgerissenen Augen starrte ich verlegen zu Tom rüber.
„Italien halt“, gab er achselzuckend von sich.
Giannis Onkel stellte sich zwischen uns, zeigte uns den Hof, wobei mein Fotografenauge so einige gute Motive fand. Nach dem Rundgang führte er uns durch eine in die Jahre gekommene, knarrende Holztür, hinaus zu einer wunderschönen Weinlaube. Kaum saßen wir auf den Holzbänken, war der quirlige Hausherr auch schon im Haus verschwunden, kam aber gleich darauf mit einem Dekanter und ein paar Rotweingläsern zurück. Derweilen genossen wir den unbeschreiblich herrlichen Ausblick auf die Landschaft vor uns. Das Ambiente, die Weinberge mit den reifen Trauben und in weiter Ferne die Stadt, waren einfach wunderschön. Am Horizont verfärbte die Sonne bereits den Himmel in den schönsten Rosa- und Orangetönen. Es war herrlich, und ich genoss dieses friedliche Stückchen Land in vollen Zügen. Er goss einen Schluck Rotwein in ein Weinglas, ließ Tom zuerst kosten und wartete gespannt dessen Reaktion ab. Mein Kollege nickte ihm anerkennend zu, dann erst füllte er die anderen Gläser. Während sich die beiden unterhielten, spürte ich, wie mich der alte Mann, der so eine enorme Ruhe ausstrahlte, immerzu musterte. Da Fernando nur gebrochen deutsch sprach, übersetzte Tom mir alles. Es schien ihm gar nichts auszumachen, obwohl es bestimmt mühselig für ihn war. Die beiden witzelten, lernten mir ein paar italienische Ausdrücke und lachten herzhaft, als ich mich in ihrer Sprache übte.
Nebenbei bemerkt war Giannis Onkel ziemlich neugierig. Er wollte alles Mögliche wissen, wie es im Hotel so lief, wie es seinem blonden Neffen und dessen Frau so erging und natürlich auch alles über Lorenzo. Seine Fragerei ging so lange weiter, bis eine unausweichlich war, und Tom mich spitzbübisch anlächelte.
„Er möchte wissen, wo ich meine bella donna kennengelernt habe.“ Das hatte sogar ich verstanden. Ich schluckte laut. Zwei auf mich gerichtete Augenpaare starrten mich erwartungsvoll an.
„Deine Frau?! … Tom, du stellst das sofort klar!“ Er grinste nur, ließ mich zappeln und erst nach einer kurzen Weile begann er weiterzureden.
Er erklärte ihm, dass ich die beste Freundin von Malou bin und seit ein paar Monaten im Hotel aushelfe. Ganz korrekt. Als er dann von meinen Fotos schwärmte, wurde ich tatsächlich rot.
Aber am allermeisten schmeichelte mir die bestimmte Art, wie er ständig meinen Namen aussprach. Mein Vorname ließ nicht allzu viele Kosenamen zu. Hatte ich etwas angestellt, klang er betont ruppig – vorwiegend die Tonlage meiner Mom. Aber Toms Mia hatte plötzlich so viel Weiches an sich, und es schwang darin auch eine gehörige Portion Achtung und Respekt mit.
„Ahh, sì, sì!“ Fernando Salvatore tätschelte unsere Hände, die ruhend auf dem Holztisch lagen und mir entging nicht, dass er Tränen in den Augen hatte. Dann eilte er wieder ins Haus zurück.
Tom lehnte sich entspannt zurück und streckte seinen Arm über die Rücklehne der Bank, auf der wir saßen. Nur ein kleines Stück hätte ich mich bewegen müssen, um seine Hand an meinem Rücken zu spüren. Da wäre gar nicht mal viel nötig gewesen und es hätte völlig unbeabsichtigt passieren können. Aber ich blieb starr wie ein Stein und bewegte mich keinen Millimeter. Innerlich fühlte ich mich wie ein durcheinandergeratener Ameisenhaufen, äußerlich allerdings nippte ich scheinbar völlig relaxed an meinem Rotwein. Ich versuchte, mich wieder voll und ganz auf die herrliche Aussicht zu konzentrieren, und probierte etwas abzuschalten.
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